NABU-GAP-Ticker: Böses Foulspiel im EU-Parlament
20.10.2020 – In Luxembourg tagen derzeit die Agrarminister der EU und verhandeln offiziell über die GAP, die EU-Ernährungsstrategie und die Fischerei. Mit der Verhandlungsposition des Rates zur GAP wird heute gerechnet. Es scheint Zufriedenheit seitens der Minister und auch der Agrarverbände darüber zu herrschen, dass man einem Kompromiss sehr nahe ist. Ministerin Julia Klöckner hat für die deutsche Ratspräsidentschaft den Green Deal als eine reine „Vision“ der EU-Kommission abgetan hat, die mit der Realität der GAP ersteinmal nicht viel zu tun habe. Das hat der Lobby sicher einige Ängste genommen, dass mit der kommenden GAP-Reform grundlegende ökologische Änderungen zu erwarten sind. Von den Agrarministern ist – wie es schon eine gewisse Tradition ist – nicht viel Ungemach für die Industrie zu befürchten.
Nervöser ist man auf Seiten der Lobbyverbände anscheinend beim Blick auf das Europäische Parlament, das demnächst auf Augenhöhe mit dem Rat verhandeln wird. Wie wir berichtet haben, ist dort bereits eine unheilige Allianz aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen zustande gekommen, die nur in sehr wenigen Punkten fortschrittliche Positionen zu GAP vertreten – den eigentlichen Anforderungen von Naturverträglichkeit und Klimaneutralität aber überhaupt nicht gerecht werden. Ihr Kompromisspaket wurde kürzlich bekannt und wird seitdem heftig kritisiert, auch aus den Reihen der eigenen Leute, vor allem bei den sich „The Progressives“ nennenden Sozialdemokraten. Neben diesem Paket wurde aber auch eine Vielzahl konkurrierender und weitergehender Änderungsanträge eingebracht, die von Mittwoch bis Freitag zur Abstimmung gestellt werden sollten. Durchaus Potenzial für Bewegung, daher nun ein vorsorglicher Gegenschlag, den man nur als übles Foul bezeichnen kann?
Üblicherweise werden die mehr als Tausend Änderungsanträge Abstimmungslisten sortiert, zusammengefasst, übersetzt und dann in den Fraktionen diskutiert. So können sich die Abgeordneten eine Meinung bilden. Der Zeitplan war bereits äußerst ambitioniert, doch am gestrigen Montag Abend (19.10.) schlug plötzlich eine Nachricht aus dem Inneren des Parlaments wie eine Bombe ein. Der Präsident des Europäischen Parlaments, der Sozialist David Sassoli, habe beschlossen, die Abstimmung bereits am heutigen Dienstag Nachmittag zu beginnen, und zwar direkt mit einem en-bloc Votum über den schwarzrotgelben „Kompromissvorschlag“. Separate Abstimmungen über dessen Einzelbestandteile würden ausgeschlossen. Sollte dieser „Deal“ angenommen werden, würden danach alle „komplementären“ Anträge obsolet sein, das heißt es würde nicht mehr über Anträge abgestimmt, die die Themen des angenommenen Blocks berühren. Somit kämen auch viele progressive Anträge zum Beispiel des Umweltausschusses nicht zur Abstimmung.
Praktisch bedeutet dies auch, dass der Anti-Reform-Deal durchgewunken werden soll, bevor überhaupt alle Abstimmungslisten finalisiert und die Änderungsanträge ordnungsgemäß in alle Sprachen übersetzt wurden. Die Fraktionen hätten überhaupt keine Möglichkeit mehr, ihr Abstimmungsverhalten angemessen zu diskutieren. In ersten Reaktionen macht sich Empörung und auch der Hinweis auf klare Regelbrüche des Präsidenten breit.
Wenn jemand die EU-Institutionen für Hinterzimmerdeals kritisieren will, dann ist dies ein besonders dramatischer. Denn hier wird über die Verwendung von einem Drittel des EU-Budgets entschieden und über die Frage, wie die Hälfte der Landfläche der EU künftig bewirtschaftet wird. Offenbar im Interesse derer, die an dem lukrativen System nichts ändern wollen, werden Verfahrenstricks angewendet um die Reformer auszubremsen.
Daher haben wir uns im Kreis der europäischen Umweltnetzwerke verständigt, den unten stehenden Brief an alle Mitglieder des Europäischen Parlaments zu schicken und sie dazu aufzurufen, die GAP-Debatte abzubrechen. Sie können dies tun, in dem sie dem Änderungsantrag 1147 (PDF) zustimmen (der als allererstes zur Abstimmung stehen wird), mit dem der GAP-Vorschlag an die EU-Kommission zurückgeschickt würde. Diese könnte einen neuen „Green Deal kompatiblen“ Vorschlag erarbeiten. Dies wäre wohl die einzige Chance, diese Agrarförderpolitik und mit ihr die Glaubwürdigkeit der EU zu retten. Angesichts der ohnehin großen Verzögerungen des Prozesses wäre dies auch zeitlich verkraftbar.
Unterstützen Sie uns und rufen Sie ihre Abgeordneten an! Bitten Sie sie, den GAP-Vorschlag zurück an die EU-Kommission zu schicken, damit diese größte EU-Politik endlich im Sinne von Mensch und Umwelt gestaltet werden kann.
Eine Empfehlung von uns zur Abstimmung der Änderungsanträge zur GAP gibt es hier.
Aufruf an die Mitglieder des Europäischen Parlaments durch die europäischen Umweltverbände BirdLife Europe, EEB, Greenpeace und Client Earth:
Subject: Subversion of democratic process on CAP regulation vote
Dear [MEP]
On behalf of BirdLife Europe and Central Asia, EEB, Greenpeace and Client Earth, we are writing to you concerning a disturbing and undemocratic development regarding the vote on the Future of CAP.
It appears that the vote on the most important aspects of the CAP green architecture (AMD 1127-1141, ‘Amendments put to the vote under Rule 183(3)’) has been brought forward one day at the very last minute (to Tuesday 20th 14h30). This is without due attention to Parliamentary process, given that voting lists are not even finalised. In addition, any amendments that are complementary to those put to vote under rule 183 will also fall, in apparent contradiction with Parliament’s Rules of Procedure. This all happened behind closed doors, while it is well known that democracy is grounded both on the representation of the people in the public institutions and on the people’s right to know about institutions’ activity.
Given this development, which can only be motivated by getting the compromise deal passed without democratic oversight, in complete disregard for the European Green Deal, we urge you to:
Vote FOR AM 1147 to send back the CAP to the Commission, in order for them to come up with a Green-Deal compatible proposal in line with their legal duties under the EU Treaties (there is ample time now the current CAP will be now be extended for two years, not one). Preventing species extinction and climate breakdown is worth a proper, democratic and coherent law-making process.
We attach our voting recommendations, including our red lines on the compromise amendments under Rule 183(3), should they be voted.
Der NABU-GAP-Ticker
Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv – #FutureOfCAP
Titelfoto: Europäische Union 2013
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4 Kommentare
Barbara Dau
20.10.2020, 11:20Denn hier wird über die Verwendung von einem Drittel des EU-Budgets entschieden und über die Frage, wie die Hälfte der Landfläche der EU künftig bewirtschaftet wird. Meine Frage ist, wie will die Menschheit in Zukunft leben? Und können wir die Demokratie schützen?
AntwortenElke Voß
20.10.2020, 16:04Wir legen jetzt fest, mit wie wenig und wie schlecht wir und die nachfolgende Generationen leben müssen. Artenvielfalt bedeutet ein langfristiges Überleben auf unserem Planeten. Warum geht das nicht in die Köpfe? Geld und Besitz kann man nicht essen, trinken oder einatmen... Ich bin schockiert über diese Verblendung in den Herzen und Hirnen der Entscheidungsträger! Grüße Elke Voß
AntwortenUte Hasenbein
20.10.2020, 19:21Auszug: "Ministerin Julia Klöckner hat für die deutsche Ratspräsidentschaft den Green Deal als eine reine „Vision“ der EU-Kommission abgetan , die mit der Realität der GAP ersteinmal nicht viel zu tun habe." Entschuldigung, aber was hat Frau Klöckner genommen? Klingt wie ein LSD-Trip! Die Visionen der Frau Klöckner haben mit der Realität rein gar nichts zu tun. Was in aller Welt geht in den Köpfen von Klöckner, Sassoli und Konsorten vor? Politiker, die entgegen der mehr als deutlichen Faktenlage die Weichen für ein "weiter wie bisher" stellen, sind entweder verstandesmäßig völlig blockiert oder sie täuschen bewußt, aber dann wird es kriminell! In letzterem Fall sollte eine Strafanzeige wegen Körperverletzung mit Todesfolge in XXX Fällen in Erwägung gezogen werden. Es wird höchste Zeit, dass das BMEL und das BMU zusammengelegt und unter die Leitung einer fachlich, sachlich und empathisch kompetenten Persönkichkeit gelangt. Bei aller Liebe, aber inzwischen versucht man sich in der Bundesregierung wie auch in der EU an Frechheit und Dreistigkeit gegenseitig zu überbieten. Gibt es niemanden mehr, der genug A.... in der Hose und ein stabiles Rückgrat hat, der der scheinbar übermächtigen Lobby die Stirn bieten kann , der sich gegen deren Einflüsterungen wappnet und auch die mehr als berechtigten Einwände der "Gegenseite" mit in die Wagschale wirft? Wer ist in der Lage, die Vorstellungen und Wünsche der Bürger, der Landwirte und auch die Erfordernisse zum Erhalt der Lebensgrundlagen so zusammen zu führen, dass ein von allen tragfähiger Konsenz erreicht wird, der sicherstellt, dass unsere Zukunft, unser Fortbestehen auch dauerhaft gewährleistet ist? Es ist so zermürbend, Jahr um Jahr wird verschleppt, Chancen werden vertan, hochtrabende Worte lassen die Taten, die folgen müssten vermissen. Es wirkt in der Tat so, als ob ein interner Wettbewerb ausgeschrieben wurde nach dem Motto: WER ZERSTÖRT AM SCHNELLSTEN UND EFFEKTIVSTEN DIE WELT?
AntwortenMonika Scharf
20.11.2020, 16:18Ist es tatsächlich möglich - das man alles an die Wand fährt - bevor endlich etwas entscheidendes geschieht? Scheint so, so langsam stirbt die Hoffnung das endlich ENTSCHEIDENDE Verhandlungen geführt werden die in die Zukunft gehen Es ist doch eh schon 10 nach 12
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