EU-Naturschutzpolitik: Ein Jahresrück- und Ausblick
Superjahr gestutzt, nicht beerdigt, und weiter geht’s!
Liebe Leserinnen und Leser, das aus vielerlei Hinsicht herausfordernde Jahr 2020 neigt sich dem Ende entgegen. Dies ist ein guter Moment für einen Rückblick auf die vergangenen Monate und einen Ausblick auf das kommende Jahr. Eben jener Aufgabe widme ich mich im Folgenden mit meiner Brüsseler Umweltrechtsperspektive. Ihnen viel Spaß beim Lesen, erholsame Festtage, und alles Gute für 2021. Lassen Sie uns das neue Jahre gemeinsam zum Superjahr machen, für jeden persönlich sowie für den Natur- und Klimaschutz ergo unserer aller Lebensgrundlagen!
Das war 2020: European Green Deal wird nicht beerdigt
Nun ist dieses einst als Superjahr der Biodiversität gestartete 2020 also vorbei, und wegen der Corona-Krise kam alles anders als geplant. Das Wichtigste vorab: Die Umweltschutz-Gegnerinnen und Naturschutz-Verächter haben sich glücklicherweise nicht durchsetzen können, auch wenn sie hart dafür gekämpft haben, den European Green Deal auszusetzen. Dafür bekam das Thema Biodiversität mit der Verknüpfung zur Pandemie einen neuen Fokus.
Die großen Linien der EU-(Umwelt-)Politik
- Der Ausgang im Frühjahr war ungewiss: als die Pandemie zuschlug, versuchten verschiedene Interessensgruppen die aktuelle Krise schamlos auszunutzen, um über die ihnen schon seit eh und jeh unliebsame Umweltpolitik herzuziehen (siehe hierzu meine im April veröffentlichte Blog-Trilogie. Lassen Sie uns auch 2021 diesbezüglich wachsam sein). Zu diesem Zeitpunkt war der European Green Deal noch nicht einmal ein halbes Jahr alt. Auch wir konnten nicht sagen, ob die Ankündigungen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen leere Versprechen bleiben sollten. Aber trotz allen Widerstands hielt die EU-Kommission an ihrem neuen Flaggschiff fest, und versuchte sogar, den Narrativ zur Grundlage des Corona-Wiederaufbaus zu machen. Im Dezember 2020 gilt festzustellen: die Mitarbeiter der EU-Exekutive im Berlaymont und den verschiedenen Generaldirektionen waren fleißig und haben auf das, was sie angekündigt hatten, im Großen und Ganzen auch geliefert. Dies gilt für einzelne Leuchtturminitiativen des European Green Deals wie das EU-Klimaschutzgesetz, die Chemikalienstrategie oder eben die hier schon öfters erwähnte EU-Biodiversitätsstrategie.
- Dies gilt mit Einschränkungen auch für wichtige Querschnittsbereiche wie den EU-Haushalt. Diesbezüglich hatten wir kritisiert, dass keine grundsätzliche Ausrichtung an grünen Zielen erfolgt war. Zwar ist immer noch kein revolutionärer Neustart beim Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) geglückt, vor allem auch wegen des Machtgefüges im Europäischen Rat. Aber zumindest der Wiederaufbaufonds der EU hat Umwelt- und Klimaschutz als eine der Kernaufgaben im Kriterienkatalog. Und auch der MFR hat dank des Drucks des Europäischen Parlaments wichtige Korrekturen erfahren. Ab 2024 soll erstmals ein Ausgabenziel für Biodiversität gelten, zunächst in Höhe von 7,5% und ab 2026 von 10%. Jetzt kommt es darauf an, diese Zahlen mit echtem (Naturschutz-)Leben zu füllen (siehe hierzu auch den im November veröffentlichten Blogbeitrag).
- Abgerundet werden diese großen Linien durch einen neuen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus für den MFR (auch wenn dieser nur ein kleiner erster Schritt sein dürfte), sowie einer Einigung zum EU-Klimaschutzziel für 2030 zwischen allen EU-Mitgliedstaaten im Dezember 2020 (selbst wenn auch dieses zum einen wegen der Anrechnung von Senken schöngerechnet ist, zum anderen trotz aller hierfür nötigen Anstrengungen noch nicht ausreichen dürfte, um das Paris-Übereinkommen zu erfüllen).
Originäre EU-Biodiversitätspolitik
- Kernstück der Naturschutzpolitik ist die im Mai von der EU-Kommission veröffentlichte Biodiversitätsstrategie bis 2030 (siehe hierzu meine Detailanalyse im Naturschätze.Retten-Blog). Diese enthält gemeinsam mit der Farm-to-Fork-Strategie eine lange Liste an Einzelmaßnahmen. Einige hiervon können echte „Gamechanger“ sein. Pestizidreduktion, Landschaftselemente- und Biolandbau-Vorgaben haben unabhängig von der GAP das Potential, das bisherige Agrarsystem umzukrempeln. Erweiterung der Schutzgebietskulisse und Vorgaben für strengen Schutz können gemeinsam mit konsequenteren Vertragsverletzungsverfahren dem bisher oft nur schlecht gemanagten Gebietsschutz einen neuen Schub verleihen. Und eine verbindliche Renaturierungs-Agenda macht die nötige Trendumkehr zumindest wahrscheinlicher. Der Umweltministerrat bekannte sich im Oktober mit entsprechenden Ratsschlussfolgerungen vollumfänglich zur Biodiversitätsstrategie, ein wichtiges Zeichen in Richtung EU-Kommission, an den Folgemaßnahmen weiterzuarbeiten. Teilweise haben die entsprechenden Arbeitsgruppen schon mit dieser Arbeit begonnen. Beispielsweise fanden 2020 schon erste Diskussionen über die Kriterien für die Schutzgebietsziele statt. Außerdem bat die EU-Kommission Ende 2020 in einer öffentlichen Konsultation um Meinungen zum Fahrplan für die neue Renaturierungsgesetzgebung. Die Reaktion des Europäischen Parlaments auf die EU-Biodiversitätsstrategie insgesamt steht indes noch aus, soll aber im ersten Quartal 2021 erfolgen.
- Als kleines Bonmot gab es Ende des Jahres noch einen Erfolg in Sachen Bleimunition zu verzeichnen. Trotz enormer Mobilisierung durch die Waffen- und Jagdlobby verfehlten Einsprüche im Europäischen Parlament das erforderliche Quorum. Die EU-Kommission kann daher Anfang 2021 den auf der REACH-Verordnung basierenden Rechtstext anpassen. Ab diesem Moment haben die Mitgliedstaaten 2 Jahre Zeit, das Teilverbot von Bleischrot in Feuchtgebieten umzusetzen und sicherzustellen.
Kardinalfehler EU-Agrarpolitik und deutsche Natura 2000 – Umsetzungsmängel
- Der Herbst war im Hinblick auf die Entscheidung der Ko-Gesetzgeber zur GAP eine herbe Enttäuschung. Wegen der deutschen Ratspräsidentschaft hatte Julia Klöckner die Ratsposition verhandelt. Dass sie diese als „Systemwechsel“ verkauft ist Verbrauchertäuschung. Insgesamt fällt die Ratsposition vor allem bezüglich der Konditionalitäten (z.B. zu biodiversitätsreichen Landschaftselementen) noch hinter die schwachen Vorschläge des damaligen Agrarkommissars Phil Hogan zurück. Bei der Finanzierung haben sich die Ministerinnen und Minister leider dagegen entschieden, konkrete Kriterien für Ökoregelungen vorzugeben. Auch in der zweiten Säule sind keine Fortschritte sichtbar. Anders als erhofft hat auch das Europäische Parlament nicht für einen Ambitionsschub gesorgt. Mitursächlich hierfür dürfte das gewählte Vorgehen der drei Fraktionen (EVP, RENEW und S+D) gewesen sein. Diese hatten trotz der bestehenden Übergangszeit einen Hauruck-Deal angestrebt, um interne Fraktionsdifferenzen zu vermeiden. Hierdurch wurde jede inhaltliche Debatte abgewürgt. Im Ergebnis hat sich das Europäische Parlament trotz einzelner Verbesserungen etwa bei der Einhaltung einer Fruchtfolge für eine generelle Absenkung der verpflichtenden Umweltstandards im Vergleich zum Kommissionsvorschlag ausgesprochen. Auch bei der wichtigen Frage nach dem Anteil nicht-produktiver Flächen geht das Parlament nicht über die bisherige Greening-Regelungen hinaus. Aber noch ist der finale Deal nicht unterzeichnet.
- Bitter ist dieser Ausblick auch insoweit, als die Fehlausrichtung der Subventionspolitik in Deutschland derzeit besonders durch verschiedene Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission eklatant zu Tage tritt. Die EU-Kommission beklagt derzeit beispielsweise unzureichende Erhaltungsmaßnamen in allen FFH-Gebieten, außerdem konkret im Bereich FFH-Grünland unzureichende Vorgaben zur Reduktion von Düngung und Mahd. Und schließlich könnte auch der vom NABU angeprangerte Verlust an Lebensräumen fürs Rebhuhn in der Agrarlandschaft von der EU-Kommission aufgegriffen werden. Um Schlamassel wie bei der Düngeverordnung zu vermeiden wären Bund und Länder gut beraten, hier gegenzusteuern und Mittel der GAP konkret in Schutzmaßnahmen durch Landwirte umzuschichten.
Das steht 2021 an: Super(wahl)jahr
Ihnen ist aufgefallen, dass ich beim Rückblick für 2020 nicht von der globalen Naturschutzpolitik gesprochen habe. Dies liegt daran, dass es hier tatsächlich Verzögerung gab. Das als Superjahr für den globalen Biodiversitätsschutz kommunizierte 2020 wurde durch die Corona-Krise stark durchgeschüttelt. Noch ist unklar, ob ein entsprechendes Abkommen unter der Biodiversitätskonvention (CBD) in 2021 tatsächlich verabschiedet werden kann. Aber der Reihe nach.
EU-Schwerpunkt Renaturierung
Renaturierung ist eines der wenigen Felder, in denen seit Jahren neue EU-Gesetzgebung ansteht. Die Biodiversitätsstrategie kündigt verbindliche Natur-Wiederherstellungs- bzw. Renaturierungsziele an. In 2021 soll es damit zumindest hier auf EU-Ebene konkreter werden. Verbindlich impliziert dabei entweder eine EU-Verordnung, die auch in Deutschland unmittelbar gelten würde, oder aber eine Richtlinie, die einer Umsetzung durch die Bundesregierung bedürfte. Zunächst erarbeitet die EU-Kommission in 2020 eine Gesetzesfolgenabschätzung. Der Gesetzesvorschlag selbst ist für das vierte Quartal 2021 geplant. Der NABU hat hierbei unter anderem betont, dass die EU-Kommission ein schlankes Gesetz vorlegen solle, dass sich auf die Renaturierung konzentriert. Für weniger zielführend erachten Umweltverbände ein breites Gesetz mit unspezifischen Vorgaben beispielsweise zum Kartieren von Ökosystemleistungen. Vor dem Hintergrund, dass das Gesetzgebungsverfahren und die Transposition in den Mitgliedstaaten Zeit kostet und für die Renaturierung selbst der Zeithorizont bis 2030 gilt, sollte das Verfahren außerdem beschleunigt werden. Genauere Details zu dem möglichen Gesetzeszweck, den genaueren Renaturierungszielen, Kriterien für die Definition und dem Steuerungsrahmen finden Sie in einem Positionspapier verschiedener EU-Umweltverbände (siehe hier). Das Thema Renaturierung sollte und wird damit auch Deutschland im und nach dem Superwahljahr verstärkt beschäftigen müssen, sowohl auf Bundes- als auch Landesebene. Verbindliche EU-Vorgaben müssen runtergebrochen und umgesetzt werden, z.B. durch ein nationales Renaturierungsgesetz, am besten verknüpft mit einem Renaturierungsplan mit regionaler Aufschlüsselung und entsprechenden Fonds zur Mittelbereitstellung.
Globale Biodiversitätsstrategie?
Anders als die EU-Biodiversitätsstrategie fiel die Verabschiedung des geplanten Biodiversitätsabkommens auf globaler Ebene in 2020 der Corona-Krise zum Opfer. Aber aufgeschoben ist ja nicht unbedingt aufgehoben. Nach derzeitigem Planungsstand sollen die unterstützenden Foren (SBSTTA und SBI) im ersten Quartal 2021 tagen, das dritte Treffen der Arbeitsgruppe (OEWG) ist offiziell für das zweite Quartal angekündigt. Die 15. CBD-Vertragsstaatenkonferenz COP15 selbst ist zwar auch noch fürs zweite Quartal angekündigt, aber nach hiesigen Einschätzungen ist das eher unrealistisch, so dass die große Konferenz hoffentlich überhaupt bis Ende 2021 stattfinden kann. Herausforderung hier ist vor allem, dass Verhandlungen mit derart vielen Akteuren nicht allein digital organisiert werden können. Inhaltlich fordert der NABU gemeinsam mit internationalen Umweltverbänden wie BirdLife unter anderem, einen besonderen Fokus auf die auch schon von der EU-Ebene bekannten Themen Renaturierung, den Treiber Landwirtschaft und Mobilisierung von Naturschutzfinanzierung von zu werfen. Diese Themen in den Verhandlungen ambitioniert vorantreiben soll vor allem auch die EU als wichtige Akteursgruppe innerhalb der CBD (siehe auch das Forderungspapier von BirdLife an die EU-Kommission sowie die deutsche EU-Ratspräsidentschaft).
Wie weiter mit GAP und Vertragsverletzungsverfahren?
Die ersten sogenannten „Trilog“-Treffen der Ko-Gesetzgeber und EU-Kommission zur GAP haben Ende 2020 stattgefunden. Ziel dieser Treffen ist es, auf Grundlage der Positionen von Kommission, Rat und Parlament eine Einigung über einen gemeinsamen Rechtsakt zu verabschieden. Derzeit wird erwartet, dass die Trilogverhandlungen bis Ostern 2021 abgeschlossen sind. Selbst wenn die EU-Kommission klargestellt hatte, dass sie ihren Gesetzesvorschlag (zunächst) nicht zurückzieht, betonte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans mehrfach, dass die jetzige Umweltambition der verschiedenen Akteure nicht ausreiche. Die große Frage ist dementsprechend, ob die EU-Kommission es vermag, konkrete Verbesserungen einzufordern und rote Linien aufzuzeigen. Was hierfür erforderlich wäre haben verschiedene Akteure aufgezeigt. Eine umfassende Liste findet sich beispielsweise in einer Veröffentlichung verschiedener Wissenschaftler (siehe dieses von Guy Peer mitverfasste Papier). Gleichzeitig schreitet die Planung zur Umsetzung in Deutschland voran. Jenseits der konkreten Programmierung der früheren klassischen zweite Säule-Maßnahmen steht zunächst vor allem die nationale Strategieplanung an. Anfang Dezember 2020 beteiligten sich verschiedene Naturschutzverbände mit einer Stellungnahme am „Scoping“ für die strategische Umweltprüfung des GAP-Strategieplans und forderten unter anderem Transparenz und eine umfassende Alternativenprüfung. Auch hier bleibt es 2021 also spannend. Zusätzlichen Druck für zielgerichtetere Naturschutzförderung könnte es durch die oben erwähnten Vertragsverletzungsverfahren geben. Bereits Anfang 2021 könnte die EU-Kommission nämlich das allgemeine FFH-Verfahren an den EuGH verweisen, das Grünland-Verfahren könnte dann Mitte des Jahres folgen.
Superwahljahr und Aus
Wenn man in Brüssel arbeitet, fällt einem eins immer wieder auf: für die Bürgerinnen und Bürger ist es oft „die EU“, die in gewissen Punkten nicht vorankommt. Tatächlich sind aber oftmals vor allem die Mitgliedstaaten im Rat und bei der GAP überraschenderweise auch das Europäische Parlament diejenigen Institutionen, die eine weitergehende Transformation verhindern. Für 2021 als „Superwahljahr“ in Deutschland lautet daher meine Bitte an Sie, sich für mehr Natur- und Klimaschutz vor allem in Deutschland stark zu machen. Wie wäre es, wenn sich die neue Bundesregierung und auch neugewählte Landesregierungen als erste übergreifende Priorität einem „German Green Deal“ verpflichten würden, der dann die relevanten Sektoren Landwirtschaft, Verkehr und Energie prägte? An dieser Vision können Sie mitwirken: in Deutschland stehen verschiedene Landtags- und sodann im September die Bundestagswahl an. Bringen Sie Ihre Ideen in den Parteien und der Öffentlichkeit ein und helfen Sie bitte mit, dass Natur- und Klimaschutz zum wichtigsten Wahlkampfthema wird. Bonne Année!
- Weißer Rauch für neue EU-Kommission - 21. November 2024
- Schutz vom Wolf: Berner Konvention wackelt - 4. Oktober 2024
- Wasserkonflikte nehmen zu – EU weiterhin ohne Strategie - 22. Februar 2024
3 Kommentare
Thomas Bartsch-Hauschild
14.01.2021, 10:34Die Natur ist leider die große Verlierer denn der Mensch ist nicht dazu bereit alles zu tun um sie vollständig zu schützen. Eine Theorie Ökonomie und Ökologie müssen im Gleichgewicht sein, dann wird alles gut sein,gibt es in der Praxis einfach nicht. Sachverstand ist das eine und politische motivierte Ideologien das andere. Thomas Bartsch Hauschild 22523 Hamburg
AntwortenHubert Hoffmann
23.01.2021, 15:31Hallo Die EU wird nie zusammenfinden.Polen,Tschechen und Ungarn driften zur Diktatur.Kassieren ja aber nicht anpassen wollen. Das Geld wird die EU erneut fordern,da momentan ganz Europa durch Corona Einnahmen fehlen Deutschland gibt sich Zeit bis 2050 mit der Klimaneutralität .
AntwortenSonja Eleonore Thiem
15.02.2021, 15:48Klima -Naturschutz darf nicht in diesen schwierigen Zeiten verschoben werden. Seit dem Ausbruch der Seuche/Corona haben wir vieles erduldet und üben uns in Geduld und Disziplin. Impfkampagnen und andere Baustellen sind noch zu meistern. Wo ist die Führung und Koordination? Nur "Bla,Bla" hilft uns nicht weiter.
Antworten