Insekten – zum Letzten!

Hier bin ich wieder! Aufgrund eines Online-Vortrages war die Internetkapazität aufgebraucht. Ich konnte leider nichts hochladen. Aber wir müssen noch gemeinsam in den Endspurt gehen. Hier also der Bericht, den ich Ihnen bereits vor einigen Tagen vorbereitet hatte. Es wird wohl der letzte Beitrag zum Thema Insekten sein.

Regenschleier treiben über die Insel. In der nassen Salzwiese rufen erste Rotdrosseln, und unter tief hängenden Himmel kämpfen sich Pfeifententrupps mit weiß aufleuchtenden Flügeln gen Süd. Draußen versinkt die Welt in Grau. Drinnen leuchten Regentropfen an der Scheibe.

Es wird ungemütlich, und doch fühle ich mich Trischen so verbunden wie nie zuvor. Stundenlang sitze ich auf der Bank und blicke in die Ferne, auch wenn der Nieselregen sich längst seinen Weg durch sämtliche Klamottenschichten gebahnt hat und mit nasskalter Hand nach dem letzten Rest Wärme greift. Die Aussicht, die Insel in zwei Wochen verlassen zu müssen, stimmt mich leider wirklich vor allem: Traurig. Ich möchte sie nicht lassen. Aber danach geht es nicht. Und damit nicht einfach alles klanglos in schwammigem Grau erstickt, möchte ich Ihnen nun noch einmal vom Sommer erzählen; eine von den vielen noch unerzählten Geschichten, die ich Ihnen mit auf den Weg geben möchte, wenn es unweigerlich heißt: Nun kommt der Winter.

Ende August sind die Wiesen aufgeladen von Hitze. Sogar eine Sonnenblume war am Weststrand gewachsen. An den Dünen blüht in dichten Büscheln Meersenf. Die Pflanzen wagten sich sogar bis weit über den Dünenkamm an den Strand hinaus. Inzwischen liegen die meisten, ausgerissen von den ersten Herbsthochwassern, im Spülsaum. Aber noch vor wenigen Wochen waren sie umschwärmt von Schwebfliegen und Kohlweißlingen, kleine Tankstellen für einen letzten Schluck Sommer. Ab und zu verirrte sich auch einmal ein Distelfalter an eine der Pflanzen. Und inmitten dieses Treibens vermutete ich einen unscheinbaren, neuen Gast aus dem Süden.

Es gibt einige Tier- und Pflanzenarten, die, so heißt es landläufig, vom Klimawandel „profitieren“. Damit ist oft gemeint, dass ihr Verbreitungsareal sich nach Norden verschiebt und sie dementsprechend häufiger – oder überhaupt erst – auch in Deutschland auftauchen. Doch Arten, die es kühler mögen, verschwinden, wenn sie spezialisiert auf genau diesen Temperaturbereich sind. Wer jetzt schon in der Arktis oder den hohen Alpen brütet, kann nicht nach Norden oder oben ausweichen. Ihr Lebensraum schrumpft.

Zu den „Neuen“ bei uns zählt ein Schmetterling, der leicht im Gewimmel der Kleinen und Großen Kohlweißlinge übersehen werden kann. Es ist der Karstweißling Pieris mannii. Der kleine Falter besiedelte bis vor kurzem vor allem Gebiete südlich der Alpen. Er liebt die aufgestaute Hitze steiniger Karstgegenden. 2020 wurde er das erste Mal in Schleswig-Holstein nachgewiesen. Ich fragte mich also, ob dieses lebendige Zeugnis des Klimawandels auch schon auf Trischen angekommen sei.

So suchte ich also den Meersenf ab und fing systematisch „verdächtige“ Kleine Kohlweißlinge mit dem Kescher. Bald flatterten zwanzig Schmetterlinge in kleinen Gläschen, die ich mit zur Hütte nahm. Sie gaben ihr Geheimnis nicht ohne weiteres preis. Mit zusammengeklappten Flügeln, in ihrer Ruhestellung, waren die entscheidenden Merkmale (es ist u.a. das räumliche Verhältnis des Spitzenflügelflecks zum ersten Flügelfleck und dessen Form) kaum zu erkennen. Ich machte einige Fotos, die aber kaum zu verwerten waren. Frustriert ließ ich die Models wieder fliegen. Sie hatten kein Bild für mich. Die verbliebenen Schmetterlinge kühlte ich eine Weile im Kühlschrank. Aufgrund von Kälteschutzproteinen macht ihnen das nichts aus, man könnte sie theoretisch sogar kurz einfrieren! Danach konnte ich ganz vorsichtig mit einer Pinzette die Flügel spreizen und einen Blick darauf werfen. Allein – der Gesuchte fand sich nicht. Und so flogen bald wie Tauben bei einer Hochzeit zwanzig weiße Schmetterlinge in die Sonne hinaus.

Einige Tage später erhielt ich eine Nachricht. Ich hatte die missglückten Bilder in der App Inaturalist hochgeladen. Die App hilft beim Bestimmen jeglicher Lebewesen. Ein Algorhythmus generiert einen Vorschlag, welche Art es sein könnte (der nicht zwangsläufig richtig ist), häufig nehmen sich auch Experten der Beobachtung an, helfen bei der exakten Bestimmung und werten die Beobachtungen zum Teil sogar wissenschaftlich aus. In meinem Fall hatte sich Gerd Kuna, der die Tagfalterforschung in Thüringen koordiniert, meine drei Bilder angesehen. Unter den ihnen stand nun: Kleiner Kohlweißling. Kleiner Kohlweißling. Karstweißling. Ich hatte ihn gefunden!

Die Klimaveränderungen machen also auch vor der Fauna Trischens nicht Halt. Meine Nachfolgerinnen und Nachfolger werden in den kommenden Jahren sicherlich weitere Entdeckungen machen, die davon zeugen, dass der Planet sich schneller verändert denn je. Jede kleine Erkenntnis über diesen Prozess kann dabei helfen, dem Wandel in irgendeiner Form zu begegnen.

Falls Sie auch ein Rätseltier entdecken, machen Sie doch ein Bild und laden Sie es in einer der Apps hoch – sie werden erstaunt sein, wie gut das funktioniert:

https://www.inaturalist.org/ ist sehr international, diese App nutze ich seit letztem Jahr.

https://observation.org/ funktioniert ähnlich; diese App wird in Schleswig-Holstein etwas mehr genutzt.

https://www.insektenreich-sh.de/ ist eine spezielle Seite für Sichtungen in Schleswig-Holstein – dort werde ich nach Ende der Saison meine gesammelten Daten hochladen. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie zu diesem Datenschatz beitragen!

Oben: Die Verdächtigen.

Unten: Der Karstweißling Pieris mannii.

Till Holsten

Vogelwart 2022