Die trillern von früh bis spät
Nach den ganzen Schlechtwetterbottschaften soll es heute mal wieder um eine prägende Vogelart gehen, die in Nordfriesland auch als „Halligstorch“ bekannt ist: der Austernfischer (Haematopus ostralegus).
Die Farbauswahl und Musterung mit schwarz-weißem Gefieder, karottenfarbigem Schnabel und roten Beinen macht die Vögel unverwechselbar und begründet auch den obigen Spitznamen, auch wenn die schwarz-weiß Verteilung beim echten Storch etwas anders ist.
Aber Austernfischer sind nicht nur echte Hingucker, sie machen auch ständig und lautstark auf sich aufmerksam. Ohne Übertreibung kann man behaupten, dass sie die lautesten Vögel des Wattenmeers sind. Wenn man einmal einem Nest oder Jungvogel zu nahe kommt und die Eltern im Tiefflug laut kreischend am Kopf vorbeifliegen, können sie es in der Lautstärke durchaus mit einem Rockkonzert aufnehmen. Dieses Verhalten trifft nicht nur den, in ihren Augen, „bösen“ Vogelwart, sondern auch alle anderen potentiellen Fressfeinde von der Sturmmöwe bis zum Seeadler.
Somit hätten wir schon eine „Charaktereigenschaft“ umrissen: Austernfischer sind todesmutig, tollkühn und verteidigen ihren Nachwuchs bis zum letzten. Und das ist auch nötig, denn die Eier und Küken sind zwar gut getarnt, doch bis die Küken schnell genug laufen können und dem Möwenschnabel entwachsen sind, sind sie leichte Möwenhappen.
Doch vor dem Ei kommt bekanntlich das Nest, zumindest meistens, und beim Wo sind Austernfischer als Art nicht so fest gelegt. Man findet Nestern vom Strand bis in die untere Salzwiese und so unterschiedlich sehen die Nester dann auch aus. Am Strand ist es eine einfache Kuhle im Sand, während die Kuhle in der Wiese mit Halmen ausgelegt wird.
Das Individuum ist bei der Ortswahl jedoch durchaus festgelegt. Denn Austernfischer sind sehr territorial und verteidigen auch ihr Territorium erbittert gegen alle fremden Artgenossen. Richtige Kämpfe mit möglichen Verletzungen oder gar dem Tod eines Kontrahenten sind jedoch evolutiv für eine Art nicht günstig. Denn einer oder gar beide Kontrahenten bekommen im schlimmsten Fall keine Nachkommen. Besser wäre es also, seine Kräfte bzw. seinen Status zu messen, ohne sich zu verletzen. Da dann mindestens eine Partei Nachwuchs bekommen kann, kann sich dieser Weg evolutionär durchsetzen und so haben sich vermutlich ritualisierte Duelle entwickelt. Die Austernfischer testen ihre Grenzen mit sogenannten „Triller-Duellen“, bei denen die laute Stimme wieder eine große Rolle spielt. Denn die „Kontrahenten“, Einzeltiere oder Paare, manchmal auch Paargruppen, laufen in einer stark standartisierten Abfolge laut trillernd mit gesenktem Kopf auf einander zu, nebeneinander und umeinander her. Doch damit nicht genug wird manchmal auch im Flug weitergetrillert.
Austernfischer sind aber auch recht langlebig (bis zu 43 Jahre im Freiland), brüten fast immer an der gleichen Stelle und haben, zum Glück, ein gutes Gedächtnis. So kommt es vor, dass oft jahrelang die gleichen Paare nebeneinander ihr Revier beziehen, und wie das mit „guter“ Nachbarschaft so ist: Man streitet sich zwar noch hin und wieder, aber eigentlich sind die Verhältnisse geklärt. So ähnlich ist das auch bei den Austernfischern. Doch taucht einmal ein fremder Austernfischer auf und möchte sogar ein Revier, kommt es vor, dass die Nachbarn gemeinschaftlich gegen ihn „trillern“ und ihn vertreiben.
Und so vergeht hier kein Tag Austernfischer-Getriller.
Literatur:
Bauer, Hans-Günther, Bezzel, Einhard, Fiedler, Wolfgang (Hrsg.) (2005). Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas: Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz. Band 1: Nonpasseriformes – Nichtsperlingsvögel. 2. vollst. überarb. Auflage. Aula-Verlag: Wiebelsheim.