Die Schatzinsel
Inseln! Ich muss wahrscheinlich gar nicht viel mehr Worte machen, und schon haben Sie die schönsten Bilder im Kopf. Aber dann wäre dieser Blogeintrag reichlich kurz. Ich frage also: Was macht die Faszination aus? Aus welcher Quelle speist sich der Strom an Vorstellungen, Projektionen, Sehnsüchten? Und warum stellt sich eigentlich nicht die gleiche Assoziationsfülle ein, wenn ich „Felder!“, „Hügel!“ oder „Fußgängerzonen!“ schreibe?
Beim Grübeln über solche Fragen wandere ich barfuß den Strand „meiner“ Insel entlang. Mit den Wellen schwappen Gedanken durch den Kopf, eine leicht Brise verweht sie wieder – es ist wohl die schönste Art des Nachdenkens. Ein Gedanke aber bleibt schließlich haften: Ob Lanzarote oder Wangerooge, ob sturmzerklüftete Felshaufen im Südatlantik oder die vulkangeborenen Schönheiten in den unendlichen Weiten des Pazifiks, eines eint sie alle: Das Versprechen von Geheimnis.
Fernab liegt die Insel im Meer. Vielleicht sieht man sie auf einer Seekarte, vielleicht auch am Horizont. Was sie birgt, lässt sich nur erahnen. Und was wurde dort nicht alles vermutet! Sagenhafte Gestalten, fremde Völker mit noch fremderen Sitten, ausgestorbene Tiere, heilende Pflanzen, die Nähe zu sich selbst, die Nähe zu Gott..die Liste ist lang. Der Clou ist: Man hat das alles gefunden. Inseln halten ihre Versprechen.
Kennen Sie noch „Die Schatzinsel“? Der X-fach verfilmte Roman von Robert Louis Stevenson begeistert ja seit über hundert Jahren Leserinnen und Leser. Er bricht das Konzept aufs Wesentliche herunter: Da ist die Insel, auf der es ein wertvolles Geheimnis, eben den Schatz, gibt, und der will unter Mühen und Gefahren gehoben werden. Die Bilder sind ikonisch, sie prägen unsere Vorstellung vom einsamen Eiland bis heute. Wenn ich hier durch den heißen Sand auf den Dünen stapfe, muss ich oft an die verschwitzten Piraten aus dem Buch denken. Ich habe bisher zwar kein Gold gefunden. Aber etwas Wertvolles ist mir dort dennoch begegnet, und auch Trischen hat ein kleines Geheimnis preisgegeben. Es kam allerdings nicht in einer modrigen Kiste, sondern auf flinken Flügeln daher.
Als ich vor einigen Tagen eine Raubfliege aus dem Insektenkescher holte, ahnte ich noch nicht, dass mir da etwas Besonderes ins Netz gegangen war. Ich hatte sie in eben jenen Schatzinsel-Dünen gefangen, wo diese interessanten Insekten, die so witzige Namen wie „Gemeiner Sandwicht“ oder „Braune Rabaukenfliege“ tragen, in der Mittagshitze auf Beute lauern (und ich bin gerade ziemlich dankbar für jeden Brummer, den sie mir vom Leibe halten). Sand-Raubfliegen hatte ich schon öfters gefunden. Sie sind typisch für dieses Habitat. Aber diese hier sah mit ihren rötlich geringelten Beinen ein klein wenig anders aus – Tolmerus – eine schwer zu bestimmende Gattung! Eine Art dieser Gruppe, die extrem seltene Cowin’s Raubfliege, war in Deutschland bisher nur an ganz wenigen Standorten nachgewiesen worden, unter anderem auf Borkum, Baltrum und Mellum…hmm..! Ich lud das Bild im Internet hoch. Und Hilfe nahte: Dr. Danny Wolff hatte sie gleich am nächsten Morgen bestimmt. Es war tatsächlich Cowin’s Raubfliege. Ein Erstnachweis für den Nationalpark – und sogar für ganz Schleswig-Holstein!
Und so wird auch Trischen zur Schatzinsel. Für mich für einen Sommer. Für die Natur hoffentlich für alle Zeit. Wer weiß schon, was sie noch birgt? Ich werde weiter stöbern und versuchen, die Schatzkarte, die meine Vorgängerinnen und Vorgänger mit ihren Entdeckungen gezeichnet haben, um einige Details zu bereichern.
Unten sehen sie die beiden Raubfliegen im Detail: Sand-Raubfliege oben, in der Mitte Cowin’s Raubfliege, ganz unten der Fundort in den Dünen.
Falls Sie selbst eine Raubfliege entdecken (und am besten fotografieren!), können Sie sie Dr. Wolff unter info@asilidae.de melden, er hilft Ihnen bei der Bestimmung. Citizen Science! Das exzellente Buch Die Raubfliegen Deutschlands, das er mit Markus Gebel und Fritz Geller-Grimm verfasst hat, empfehle ich wärmstens!