Auf ein Glas Wein?
Ich hatte Ihnen ganz zu Anfang versprochen, dass wir auch mal gemeinsam einen Abend in der Hütte verbringen werden. Nun, heute ist‘s so weit. Es ist Samstag, draußen heult der Sturm und ich habe mir ein Glas Wein eingeschenkt. Stoßen wir an?
Stellen Sie sich vor: Die ganze Hütte singt im Wind. Es säuselt, es pfeift und heult in allen Tonlagen. Wenn man abends im Bett liegt und die Aufmerksamkeit sich auf die Geräusche im Dunkeln richtet, bekommt man fast das Gefühl, dass das Holz mit einem riesigen Tier Zwiesprache hält, das nachts aus dem Meer steigt und in der Salzwiese umherstreift.. Aber so weit ist es noch nicht.
Aus dichten Wolkenbänken, die Grau auf Grau türmen, fallen verwehte Regentropfen in den Abend. Langsam sammelt sich im Schutz der Dünen wie in wachsenden Pfützen die Dunkelheit. Erst liegt sie noch als flacher Schatten unter Andelgras und Hüttenpfosten. Dann steigt sie langsam daran empor, richtet sich schließlich zu voller Größe auf – als wenn sie erwacht! – , und endlich versinkt die Insel in Nacht. Bald ist nur noch ein einziger Lichtpunkt zu sehen: Eine Kerze, die ich in eine Weinflasche gesteckt habe, verbreitet still ihren Schein. Das warme Leuchten meiner kleinen Schreibtischlampe, die angeschaltet bleiben muss, weil eine winzige Spinne noch ihrer Bestimmung harrt, gibt ihr etwas mehr Kraft. Doch was ist schon dieses verlorene Leuchten inmitten der See? Da draußen ist nur die Salzwiese, in der der Rotschenkel nach seinen Jungen ruft. Dann kommt die Düne. Ihr Bewuchs von Strandhafer wurde am Abend vom Wind gekämmt wie ein kleines Kind vor dem Zubettgehen. Dahinter liegt nur noch das Meer.
Eine tüchtige Portion Bratkartoffeln, die ich mittlerweile in so vielfältigen Variationen zubereite wie die See ihre Wellen (die richtige Pfanne ist das Geheimnis..), ist die Grundlage für manch ernstes und manch heiteres Gespräch mit dem Tagebuch. Und ein Glas Wein aus dem guten alten Senfkristall gibt mir zuverlässig die besseren Argumente ein als dem immer kritischen Gegenüber aus Papier.
Kaum setze ich an zu schreiben, bollert der Kamin; er beschwert sich, das Holz genügt nicht seinen Ansprüchen. Ist gut, alter Knabe. Hier hast du was Besseres! Bald ist die Hütte, meine kleine, leuchtende Kapsel aus Holz, in wohlige Wärme getaucht. Der dicke, graue Wollpullover tut ein Übriges zur Behaglichkeit. Im Regal locken ein paar gute Bücher. Regen prasselt ans Fenster. Es wird es Zeit für die Koje…Das ist ein kalter Maiabend auf Trischen – fühlen Sie es?
Und während draußen der Sturm weiter sein endloses Lied heult, träume ich davon, wie ich beim Gang durch die Salzwiese ein paar Blätter vom in der Wärme duftenden Strandwermut zwischen den Fingern zerreibe, träume vom Wind, der den Sand zeichnet, und vom wilden Ruf der Brandseeschwalbe, die irgendwo da draußen darauf wartet, sich in den neuen Morgen zu schwingen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!