September 2023 Beiträge

Eine Frage der Zeit

Liebe Blogfolger*Innen,

Sie kennen das bestimmt: Je schöner der Moment, desto schneller vergeht er. Will man ihn festhalten, zerrinnt er nur so zwischen den Fingern. Genau dieses Phänomen verfolgt auch mich seit etwa zwei Wochen. Mit jeder Faser möchte ich mich an Trischen klammern, die Zeit bis ins kleinste Detail auskosten und jeden Gedanken an „Danach“ verdrängen. Denn die Zeit tickt, vergeht wie im Flug, ganz ähnlich dem Sand, der über den Strand geblasen wird. Und Mitte Oktober, das Saisonende auf Trischen, rückt immer näher.

Während ich also den Strand entlanglaufe, mit dem Spektiv aufs Wasser starre, oder morgens auf die durchziehenden Singvögel warte, ertappe ich mich immer häufiger dabei, wie meine Gedanken zu Terminen abdriften, sich mit den Dingen beschäftigen, die noch organisiert werden müssen und die am Festland auf mich warten. Schnell versuche ich diese Gedanken einzufangen, sie zurückzuholen ins Hier und Jetzt oder sie vorbeiziehen zu lassen, wie die Wolken am Himmel. Denn sich jetzt schon mit diesen „Festlandsaktivitäten“ zu befassen, kommt mir vor wie vergeudete Trischen-Zeit.

Denn eines habe ich mir vorgenommen: Trischen in den letzten Wochen noch einmal intensiv zu erleben, jeden Moment aufzusaugen und in den kleinsten Zellen meines Gehirns und Herzens zu speichern, sodass ich noch möglichst lange davon zehren kann. Ich kann die Insel leider nicht mit nach Hause nehmen, aber ich hoffe sehr, dass ich neben den ganzen Erinnerungen etwas von dem Trischen-Gefühl mit nach Hause nehmen kann.

Also spaziere ich weiterhin am Strand, starre aufs Meer, warte auf die durchziehenden Singvögel, atme tief durch, hole meine Gedanken vom Festland zurück nach Trischen. Freue mich über den Besuch seltener Inselgäste wie Buntspecht, Gartenbaumläufer oder Odinshühnchen. Staune über heranziehende Regenfronten, den über den Strand wabernden Sand oder den grazilen Flug der Schmarotzerraubmöwen über den Wellenkämmen. Genieße den Sand unter meinen Füßen und den Wind, der mir die salzige Luft ins Gesicht bläst. Sinniere unter klaren Nächten mit wunderschönem Sternenhimmel oder den von den Sonnenuntergängen rot gemalten Wolken.

Ihre Melanie Theel

Kein Tag wie jeder andere

Liebe Blogfolger*Innen,

eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang klingelt der Wecker. Am liebsten würde ich mich gähnend unter der Bettdecke verstecken, aber schon kann ich durch die geöffnete Tür die ziehenden Schafstelzen und Wiesenpieper rufen hören. Aufstehzeit – Zugplanzeit – meine liebste Zeit. Einfach nur dastehen und lauschen, Löcher in die Luft starren und warten, wer da kommen mag. Eine dampfende Tasse Kaffee und ein leckeres Frühstück neben mir auf dem Geländer.

Und nein, jetzt berichte ich ausnahmsweise nicht von einer besonderen Beobachtung. Auf den Wunsch einer Leserin, erzähle ich heute von einem ganz „normalen“ Tag auf Trischen. Nur dass es nach meinem Empfinden auf Trischen keine normalen Tage gibt. Denn jeder Tag ist anders und besonders, da alle meine Aktivitäten auf Trischen licht-, tide- und wetterabhängig sind. Nur der Morgen beginnt immer gleich, egal ob zur Brut- oder Zugzeit: mit Beobachten.

Licht

Trischen ist nicht an das Stromnetz angeschlossen. Der mir zur Verfügung stehende Strom wird durch Solarpanele auf dem Dach produziert. Dieser reicht völlig aus, um die Akkus zu laden, den kleinen Kühlschrank zu betreiben und um abends noch kurz das Licht anzumachen. Aber meistens passe ich mich so an das Tageslicht an, dass künstliches Licht gar nicht notwendig ist, oder ich greife auf Kerzenlicht zurück. Manchmal, an lauen windstillen Abenden, mache ich mich ab der Dämmerung auf die Pirsch nach Fledermäusen oder Nachtfaltern. Denn Trischen hat noch so viel mehr zu bieten als die Ornithologie!

 

Tide

Die Stunden vor und nach Hochwasser verbringe ich meistens an der Hütte, um die durch das Wasser heranrückenden Vögel möglichst wenig zu stören. Außerdem bietet die Hütte einen super Windschutz und erhöhten Standpunkt – gut fürs Seawatchen und um die im Watt trippelnden Limikolen nach Seltenheiten durchzumustern.  Nur etwa alle zwei Wochen zur Springtidenzählung, oder wenn ich mich an der Südspitze auf der Suche nach bunten Ringen an Vogelbeinen herumdrücke, bin ich auch mal zu Hochwasser auf der Insel unterwegs.

Die Zeit um Niedrigwasser nutze ich demnach für alles andere – das sind also die geschäftigen Stunden des Tages. Ich unternehme Kontrollgänge über die Insel, schaue nach Totvögeln, sammle Holz und widme mich den gerade anstehenden Aufgaben wie z.B.: der Inselvermessung oder der Wattkartierung.  Aber auch die Alltagsaufgaben wie Ofenholz sägen, Blogbeiträge schreiben, Wäsche waschen (immer vormittags, damit die Wäsche noch Zeit zum Trocknen hat) oder die Suche nach Insekten stehen dann auf dem Programm. Wobei ich zugeben muss, dass die Zeit um Niedrigwasser auch eine gute Zeit ist, um in der Düne zu liegen und den Himmel (hoffentlich) im Blick haben oder um eine kleine Badesession im Priel unternehmen – neben der Solardusche die einzige Möglichkeit, um wieder sauber zu werden.

 

Wetter

Wirklich ungemütliche Tage verbringe ich vermehrt in der Hütte, um aufzuarbeiten, was liegen geblieben ist. Das können beispielsweise Dateneingaben oder Auswertungen von Nachtaufnahmen sein. Manchmal sitze ich aber auch nur mit einer schönen Tasse Tee und einer warmen Decke in einer wind- und regengeschützten Ecke und genieße das Toben des Regens und Windes um mich herum.
Ich liebe dieses Leben, das sich so völlig an den Gegebenheiten um mich herum orientiert. Ich habe zwar eine Liste mit meinen To-dos, die (in bestimmten Zeiträumen und unter bestimmten Bedingungen) zu erledigen sind, die ich mir aber so eintakten kann, wie es passt. Und so wird jeder Tag zu etwas Besonderem. Denn ich weiß nie, was auf mich zukommt und was oder wen der neue Tag mit sich bringt.

Aber einen festen Termin gibt es doch: den Samstag! Denn dann kommt Axel mit meiner Essensbestellung, Trinkwasser und, wenn ich Glück habe, Post und dem neuesten Festlandsschnack.

 

Ihre Vogelwartin 2023

 

Eine Insel der Kontraste

Liebe Blogleser*innen,

Wenn ich an Trischen denke, dann stelle ich mir ein wildes, unbändiges Wesen vor, dem ein Zauber innewohnt und das einem ständigen Wandel unterworfen ist. Mal zeigt es sich von seiner sanftmütigen Seite, mal lässt es zornig die Gischt und den Sand über den Strand wehen.

Ich denke an malerische Sonnenauf- oder untergänge, an heranziehende Gewitterfronten, an sich schlängelnde Priele, an Sandverwehungen, an eine im sanften Licht leuchtende Salzwiese, an Vogelschwärme am Horizont und das Tröten der Rotschenkel oder das Trillern der Brachvögel im Watt.

Ich denke aber auch an die Ölbohrinsel vor Trischens Haustür, die in den Prielen um Trischen fischenden Kutter, an Tiefflieger und an Müll. Müll, der mit jedem Hochwasser anlandet, mit jedem erhöhten Wasserstand den Strand in Richtung Düne hochwandert und versandet. Und auch wenn er mal offensichtlich, mal versteckt ist, ist er immer da.

 

Küstenputztag 2023

Müll in den Meeren ist ein Problem, ich denke das ist allen ausreichend bekannt. Um wenige Beispiele zu nennen: Müll kann zu Strangulationen und Verletzungen führen und als Nistmaterial in Nestern landen. Plastik kann durch mechanische Prozesse im Wasser und starke Sonnenstrahlung zu Mikroplastik zerkleinert werden und in die Mägen von Tieren wandern. Bei ausreichend großen Mengen an Plastik, verhungern die Tiere, denn der Magen ist voll. Zudem können im Plastik hormonell wirksame Chemikalien freigesetzt werden, die u.a. zu physischen Veränderungen bei marinen Lebewesen führen können.

 

Um sich dem Müll an den Küsten anzunehmen, findet jährlich der International Coastal Cleanup Day (ICC) statt, der von der US Umweltschutzorganisation Ocean Conservancy ins Leben gerufen wurde. An diesem Küstenputztag beteiligt sich im Rahmen der Initiative „Meere ohne Plastik“ auch der NABU, weshalb Trischen bei der Aktion nicht fehlen darf.

Deshalb sammle ich seit einigen Wochen bei meinen Strandspaziergängen Müll und staple ihn auf kleinen Häufchen an der Dünenkante. Einmal hat mir das Hochwasser schon einen Strich durch die Rechnung gemacht und ich musste neu mit dem Sammeln beginnen. Die letzte Woche habe ich nun damit verbracht den Müll, Wagenladung für Wagenladung, zur Südspitze zu transportieren – keine so leichte Aufgabe. Aber nach etwa 10 Wagenladungen war der Müll dort, wo er sein sollte, und es ist ein ansehnlicher Haufen zusammengekommen.

 

Die häufigsten Müllfunde betrafen übrigens Plastikteile (Folien, Plastikflaschen, Lebensmittelverpackungen, Strandspielzeug) sowie Fischereibedarf (Taue, Dollyropes, Netze). Als besonders ärgerlich empfand ich ca. zwanzig Luftballone und fast zwei Kisten gesammelten Paraffins https://blogs.nabu.de/trischen/paraffin-am-strand/. Beides Dinge, die absichtlich in die Umwelt entlassen werden und dort Schäden verursachen.

Nun muss alles Stück für Stück „verpackt“ und von der Insel transportiert werden – mit großartiger Unterstützung von Axel, meinem Inselversorger, der für mich nicht nur den Transport, sondern auch die Entsorgung am Festland übernimmt.

Und damit scheint Trischen erstmal müllfrei zu sein – zumindest bis zum nächsten Hochwasser oder bis der versteckte Müll durch Sandverwehungen wieder freigelegt wird.

Ihre Melanie Theel

Tristes Watt – von wegen!

Jedes Jahr passieren rund 12 Millionen Zugvögel das Wattenmeer – alle mit einem Ziel: sich ordentlich satt fressen, bevor es weiter in die Brut- oder Überwinterungsgebiete geht (Nationalpark Wattenmeer). Erstaunlich, denn auf den ersten Blick wirkt das Watt unspektakulär grau, trist und leblos. Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn im Watt tobt das Leben.

Um die Produktivität des Wattenmeerlebensraumes zu erfassen, gibt es entlang der Küste jährliche Monitorings innerhalb festgelegter Plots. Auch auf Trischen. Also habe ich mich auf den Weg ins Watt gemacht; bewaffnet mit Klemmbrett, Siebeimer und Stechröhre. Ich bin durch Priele und Schlickwatt gewatet und habe mich todesmutig den Muschelfeldern gestellt – naja zumindest in Wattschuhen.

Innerhalb eines 1m x 1m Quadrates werden nicht nur die auf der Oberfläche lebenden Organismen erfasst, sondern auch mithilfe einer Stechröhre eine 30cm tiefe Probe entnommen und ausgesiebt. Anschließend werden die lebenden Organismen klassifiziert und ausgezählt. Und was man da alles so findet!

Für heute beschränke ich mich jedoch auf meine vier Favoriten:

 

Vorstellung Seepocke, Bäumchenröhrenwurm, Wattschnecke und Schlickkrebs

Seepocken (Balanidae) gehören zu den Rankenfußkrebsen und sind damit – Krebse! Normalerweise kennen wir sie als kleines weißes Kalkgehäuse mit Luke, die sich öffnen kann, um die „Rankenfüße“ nach draußen zu strecken und im Wasser Schwebepartikel zu filtrieren – was nicht sonderlich zu unserer Vorstellung von Krebsen passt. Aber als Larven treiben sie im Plankton umher, bis sie sich an einem Hartsubstrat der Wahl häuslich niederlassen – zum Leidwesen einiger Schiffsbesitzer. Die Seepocken besitzen nämlich eine Art „Klebekopf“, mit denen sie sich anheften können und erst dann bauen sie das Kalkgehäuse um sich herum auf.

Der Bäumchenröhrenwurm (Lanice conchilegaI) ist ein Bewohner des Sandwatts. Aus Sedimentpartikeln baut er sich eine kleine Röhre mit Baumkrone, die er durch ein Sekret verstärkt – schließlich muss die Röhre der Wasserströmung standhalten. Er ist also ein richtiger Bauingenieur. Wie seine Wohnröhre besitzt auch der Wurm am Kopfende eine Reihe langer Tentakel, mit denen er im Wasser Nahrungspartikel filtriert oder die Krone nach Partikeln abtastet.

Die Wattschnecke (Hydrobia ulvae) gilt als schnellste und, meiner Meinung nach, faulste Schnecke der Welt. Aufgrund ihrer geringen Größe kann sie sich an die Wasseroberfläche anheften und bequem transportieren lassen. Und trotz ihrer Faulheit hat sie eine enorm hohe Bedeutung für das Wattenmeer. So gilt sie beispielsweise als eine der wichtigsten Nahrungsgrundlagen für Brandgänse, die das Watt um Trischen zur Mauser nutzen.

 
Und zuletzt: der Schlickkrebs (Corophium spp.) Ich habe ihn während der Wattkartierung leider nicht zu Gesicht bekommen, aber dafür habe ich ihn gehört. Standen sie schon einmal an windarmen (und stillen) Tagen im Watt und haben ein leises Knistern vernommen? Nicht? Dann hören sie nochmal genau hin. Mir zaubert das Wattknistern jedes Mal ein kleines Lächeln ins Gesicht – es ist ein Moment des Innehaltens, des Genießens und Lauschens. Schlickkrebse leben in einer U-förmigen Röhre im Boden und besitzen zwei „Antennen“, die der Nahrungsbeschaffung dienen. Beim Spreizen dieser Antennen zerplatzt ein kleines Wasserbläschen und bei simultanem Platzen tausender kleiner Bläschen entsteht das wunderbare Wattknistern.

Ein genauer Blick und ein gutes Ohr lohnen sich also! Dann können sich nicht nur die Watvögel an der Produktivität eines einzigartigen Lebensraumes erfreuen.

Ihre Melanie Theel