Was kann der „Natürliche Klimaschutz“ vom Straßenbau lernen?

Was kann der „Natürliche Klimaschutz“ vom Straßenbau lernen?

Ein kleines Gedankenspiel zum Einstieg: Zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur schreibt der Bundesverkehrsminister ein Bundesprogramm zur Förderung der Fernverkehrswege aus. Der Deutsche Automobil- und Fernstraßen-Club beteiligt sich an dem Programm. Er stellt einen Antrag zum Bau einer Autobahnbrücke. Nach vierjähriger Antragserörterung mit dem zuständigen Bundesamt, bei der es u.a. um die Frage ging, ob das Projekt innovativ ist und eine Brücke mit Leuchtturm-Charakter entstehen würde, wird er bewilligt. Mit der Entgegennahme des Zuwendungsbescheids verpflichtet sich der Club zu baren und unbaren Eigenleistungen. 25 Prozent der Baukosten muss er durch Spenden und Sponsoren selbst aufbringen. Der Bund fördert den Brückenneubau nur mit einer Anteilsfinanzierung. Nach Fertigstellung – auch das ist Teil der Zuwendungsregeln – muss sich der Club aus eigenen Mitteln um den Betrieb der Brücke kümmern.

Ich gebe zu, dass das Beispiel abwegig ist – zumindest beim Straßenbau. Niemand würde auf die Idee kommen, den Ausbau des bundesdeutschen Fernstraßennetzes dem Interesse und der Leistungsfähigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure zu überlassen. Niemand würde erwarten, dass für jeden Straßenkilometer, jede Brücke oder jeden Rastplatz das Innovationsgebot gelten muss und dass jedes Bauwerk ein Leuchtturmprojekt ist. Weil das so ist, ist die Straßenbaulast in Deutschland eine öffentliche Aufgabe. Der Artikel 90 des Grundgesetzes legt die Zuständigkeit des Bundes für die Bundesautobahnen und -straßen fest. Die Länder kümmern sich um die Landesstraßen, die Kreise um die Kreisstraßen und so weiter.

Auch wenn ich als Natur- und Umweltschützer kein Freund des Straßenneubaus bin, muss ich doch ganz ehrlich feststellen, dass es so gut ist, wie es ist. Unvorstellbar, welches Flickwerk am Ende herauskäme, wenn die Zuständigkeiten in den Händen zivilgesellschaftlicher Träger lägen und es keine Bauauftragsverwaltungen geben würde. Das Straßennetz wäre in einem Zustand, der dem Zustand des innerstädtischen Berliner Radwegenetzes gleichen würde.

Es entstünde hier die Straßenbrücke, dort die Trasse und irgendwo anders der Parkplatz. Gut auch, dass es Regelungen gibt, die es der öffentlichen Hand ermöglichen, auf Flächen zuzugreifen, wenn die für einen Straßenneubau erforderlichen Grundstücke vom öffentlichen Bedarfsträger nicht durch freiwillige einvernehmliche Vereinbarungen erworben werden können. Unvorstellbar, dass einige hundert Meter Straße nicht gebaut würden, weil ein Eigentümer nicht verkaufen will. Da ein dichtes, funktionierendes und leistungsfähiges Verkehrswegesystem von überragendem staatlichem Interesse ist, gibt es wenig Alternativen so zu verfahren wie verfahren wird.

Was für den Bau und Betrieb von Verkehrswegen eine Selbstverständlichkeit ist, sollte eigentlich auch für andere Dinge gelten, bei denen es wichtig ist, dass am Ende etwas dabei herauskommt, das funktioniert und dazu beiträgt, eine hoheitliche Aufgabe oder ein staatliches Interesse wirkungsvoll zu erledigen.

Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ braucht neue Wege in der Umsetzung

Das von der Bundesregierung geplante Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ muss deshalb dazugehören. Schließlich steht auf der BMUV-Webseite zu lesen: „Der „natürliche Klimaschutz soll substanziell dazu beitragen, die Ziele der Bundesregierung zum Klimaschutz, zum Schutz der biologischen Vielfalt und zur Vorsorge gegen die Folgen der Klimakrise zu erreichen. Er soll damit einen relevanten Beitrag zur allgemeinen Krisenvorsorge in Deutschland leisten“. Die Tatsache, dass das Vorhaben mit vier Milliarden Euro dotiert werden soll, unterstreicht die Ernsthaftigkeit der Absicht.

Im Rahmen des Aktionsprogramms „Natürlicher Klimaschutz“ sollen eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden, die geeignet sind, natürliche Kohlenstoffsenken zu erhalten, zu ertüchtigen oder wiederherzustellen. Das beinhaltet unter anderem die Moorrenaturierung, die Vernässung landwirtschaftlich genutzter organischer Böden, den Erhalt von Seegraswiesen und Algenwälder in Nord- und Ostsee oder den Verzicht auf Holzgewinnung in alten Wäldern. Auch wenn eine konkrete Maßnahmenliste mit jeweils spezifischen Umsetzungsstrategien und -pfaden noch nicht existiert, kann es keinen Zweifel geben, dass der Erfolg des Aktionsprogramms sich am Umsetzungsfortschritt und der Wirksamkeit – dem tatsächlichen Beitrag zur Ertüchtigung natürlicher Senken bzw. der Minderung der Kohlenstoffemissionen aus degradierten natürlichen Systemen – messen lassen muss.

Ein Blick auf die bisherigen Erfahrungen mit Naturschutzprogrammen sowie bestehenden Umsetzungsstrukturen lässt erahnen, dass ein nennenswerter, an der Wirksamkeit in der Fläche zu bemessender Erfolg sich einerseits und die zielführende Verausgabung der Mittel andererseits, nur erreichen lassen, wenn auch neue Wege in der Umsetzung gegangen werden.

Neue Bündnisse für die Renaturierung von Kohlenstoffsenken

Wie wäre es, wenn eine seitens des Bundes eingerichtete nationale Regiestelle, schnell skalierbare natürliche Klimaschutzmaßnahmen für verschiedene „Gewerke“ entwickeln, ausschreiben und in den Regionen erfahrene und leistungsfähige Partner mit der Umsetzung direkt beauftragen würde? Da die Ausschreibung von Landschaftsbaumaßnahmen bereits heute – z.B. dort, wo Projektträger mit öffentlichen Mitteln gefördert werden – gang und gäbe ist, würde eine solche Verfahrensweise auch keine revolutionäre Neuerung darstellen, jedoch zu einer drastischen Vereinfachung und Unmittelbarkeit der Mittelvergabe, der Abrechnungsprozesse und -werkzeuge führen.

Der Blick über den Tellerrand relativiert selbst die Innovativität dieser Idee; denn mit dem „Deutschlandnetz“ zum zügigen Aufbau einer leistungsfähigen Schnellladeinfrastruktur, der Beauftragung des „Bürgerdialog Stromnetz“, den 600 lokalen Bündnisse für Familien, in denen unter dem Dach des Bundesfamilienministeriums mehr als 18.900 Akteure, darunter über 7.900 Unternehmen, zusammengeschlossen sind, oder dem öffentlich-privaten Netzwerk, das den Bundesfreiwilligendienst umsetzt, geht der Bund selbst andere Wege bei der Erfüllung seiner Aufgaben.

Warum sollte das, was sich an anderer Stelle im Alltag bewährt hat, nicht auch im Natur- und Klimaschutz und in einem breiten Akteursbündnis mit Landesforsten, Naturschutz- und Landschaftsverbänden, Biologischen Stationen oder Naturschutzzentren, Planungsbüros, Landwirte, Garten- und Landschaftsbaubetriebe oder beschützende Werkstätten u.a. gelingen?

Flächen – ein „must have“ für erfolgreiche Renaturierungen

Zumindest in Teilen wird der Erfolg des Aktionsprogramms „Natürlicher Klimaschutz“ darüber hinaus von der Frage der Landbeschaffung abhängig sein. Der Neubau einer Straße gelingt nur, wenn auch die erforderlichen Grundstücke zuverlässig zur Verfügung stehen. Dazu müssen individuelle Interessen von Grundeigentümer*innen nötigenfalls hinter das Gemeinschaftsinteresse zurücktreten.

Die Renaturierungspraxis im Naturschutz zeigt, dass die Wiedervernässung von Hochmooren oder der Wiederherstellung von Gewässerrandstreifen nur dann funktioniert, wenn auch die notwendigen Flächen in Gänze zur Verfügung stehen. Die Verweigerung von Grundeigentümer*innen, deren Flächen im Zentrum eines Hochmoores liegen, stellt die komplette Renaturierungsabsicht und das Gelingen infrage. Notwendig erscheint daher eine rechtliche Grundlage für die Landbeschaffung für Aufgaben des natürlichen Klimaschutzes, nach dessen Maßgabe der Bund entschädigungspflichtig Grundstücke beschaffen kann, die für die Zwecke der Wiederherstellung und Ertüchtigung von Flächen mit besonderen Potenzialen als Kohlenstoffsenke (z.B. Moore, Wälder) erforderlich sind.

Niemand wird ernsthaft daran zweifeln, dass das Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ den Naturschutz für eine Mammutaufgabe stellt. Das geplante milliardenschwere Budget und dessen wirkungsvolle Investition in flächenbezogene Maßnahmen, die am Ende tatsächlich einen wirkungsvollen Beitrag zur natürlichen längerfristigen Bindung von atmosphärischem Kohlenstoff leisten, stellt alle Beteiligten vor bis dahin unbekannte Herausforderungen. Natur- und Klimaschutz sind dabei zum gemeinsamen Erfolg verdammt. Ohne den Mut zur disruptiven Innovation bei der administrativen und organisatorischen Umsetzung wird sich dieser aber eventuell nicht erreichen lassen.

 

Ralf Schulte

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