Neue EU-Kommission gewählt: los geht’s!
Europäisches Parlament bestätigt Ursula von der Leyen’s neues Team
In der heutigen Plenarsitzung (27.11.2019) hat das Europäische Parlament die von den EU-Mitgliedstaaten vorgeschlagenen und von Frau von der Leyen zur Wahl gestellten Kommissarinnen und Kommissare bestätigt. Anders als bei der eigentlichen Wahl der Kommissionspräsidentin im Juli (wir berichteten) fand sich heute eine breitere Mehrheit – 461 Abgeordnete stimmten für die neue EU-Kommission, 157 dagegen, 89 enthielten sich.
Davor hielt Frau von der Leyen eine emotionale Rede, in der sie für eine starke EU warb und betonte, ihr Team und sie seien bereit, mit der Arbeit loszulegen. Bezüglich des „European Green Deals“ unterstrich sie, das die EU die Pflicht zum Handeln habe und die Kraft voranzuschreiten. Sie erwähnte, dass sich die Bürger saubere Luft und sauberes Wasser genauso wie Biodiversität wünschten; außerdem, dass wir Landwirtschaft brauchten, diese aber nachhaltig sein und EU-Umweltrecht einhalten müsse. In den anschließenden Statements der Abgeordneten der verschiedenen Parteien betonte z.B. Ska Keller für die Grünen, dass der „European Green Deal“ nicht nur eine leere Überschrift bleiben dürfe – ohne Anpassung der Landwirtschafts- und Handelspolitik sei ein echter Wandel nicht möglich.
Mit der heutigen Wahl ist der Weg frei dafür, dass die neue EU-Kommission am 1. Dezember ihre Arbeit aufnimmt. Nachdem Frau von der Leyen am 10. September die designierten Kommissare und ihre Portfolios sowie die jeweiligen Mandatsschreiben vorgestellt hatte (wir berichteten), verzögerte sich der ursprünglich für November geplante Neustart. Das Europäische Parlament hatte von seinem Prüfrecht Gebrauch gemacht und 3 designierte Kommissars-KandidatInnen vor allem unter Verweis auf Interessenskonflikte abgelehnt.
Insgesamt schaut der NABU gespannt auf die nächsten Wochen und Monate, in denen er sich positive Impulse für die Umweltpolitik erhofft. Frau von der Leyen hat angekündigt, dass sie innerhalb der ersten 100 Tage ihrer Amtszeit einen „European Green Deal“ vorlegt. Der NABU begrüßt das hiermit einhergehende Versprechen, die Klimakrise und den Artenkollaps stoppen zu wollen. Damit dies gelingt, müssen Frau von der Leyen und ihr Team aber auf die eindeutigen Erkenntnisse und Forderungen der Wissenschaft hören. Die Widerstände werden enorm sein. Die neue EU-Kommission muss sich den tradierten Partikular-Interessen vor allem der Landwirtschafts-Lobby widersetzen. Außerdem muss sie der Versuchung widerstehen, „business-as-usual“ durch schöne Schlagwörter als den nötigen Wandel zu verkaufen. Diese EU-Kommission von Frau von der Leyen hat die Chance, die EU aus der ökologischen Krise herauszuführen – eine Chance, die sie nicht vertun darf!
Was die einzelne Portfolios betrifft, lässt sich aufgrund der Mandatsschreiben und Anhörungen folgendes sagen:
- Grundsätzlich begrüßt der NABU, dass Frau von der Leyen in ihren politischen Leitlininien als erste Priorität einen „European Green Deal“ vorschlägt. Dieser darf nicht zur leeren Phrase verkommen. Vielmehr muss der „Green Deal“ mit verbindlichen Initiativen gefüllt werden, um den transformativen Wandel hin zu einer nachhaltigen EU einzuleiten. Dass Frau von der Leyen eine Kommissars-Gruppe für den „Green Deal“ geschaffen und diese dem Ersten Exekutiv-Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, zugeordnet hat, ist ein guter Ansatz. Bisher gelang das Integrieren von nachhaltigen Politiken („Mainstreaming“) gerade in „Nutzerressorts“ (Landwirtschaft, etc.) auch auf EU-Ebene eher schlecht als recht. Lücken gibt es allerdings insofern, als etwa die Handels- oder Haushaltspolitik nicht an die neue Priorität eines „Green Deal“ angepasst wurde.
- Die erste Aufgabe des Umweltkommissars Virginijus Sinkevičius wird die Erarbeitung einer EU-Biodiversitätsstrategie post-2020 sein. Hiermit möchte die EU im Übrigen auch auf globaler Ebene bei der Verabschiedung einer neuen Biodiversitätsstrategie in Kunming im Oktober 2020 glänzen. Aus NABU-Sicht besteht die Gefahr, dass bei einer bloßen Strategie die Ziele wie schon 2010 und 2020 verfehlt werden. Wichtig ist also, durch eigenständige Rechtsakte verschiedene Elemente verbindlich auszugestalten. Hierzu gehört u.a. die Forderung nach Renaturierungs- bzw. Wiederherstellungszielen für zerstörte Ökosysteme. Aus NABU-Sicht muss die EU das bisherige 15%-Ziel verbindlich für jeden Mitgliedstaat vorgeben. Die Mitgliedstaaten können dann v.a. solche Gebiete auswählen, die bestehende Schutzgebiete („Natura 2000“) besser verknüpfen. Außerdem soll ein Schwerpunkt auf solche Lebensraumtypen gelegt werden, die gleichzeitig natürliche Kohlenstoffspeicher sind, also Moore, Grünland und ungenutzte Wälder.
In den Bereich des Umweltkommissars fällt ausserdem der Schutz der Ozeane. Die europäischen Sozialdemokraten hatten nach den Anhörungen drauf gedrängt, dass „Fischerei“ in den Titel des Kommissars aufgenommen wird. Gemeinsam mit einer aus Umweltsicht katastrophalen Abstimmung im Europäischen Parlament über den Europäischen Fischereifonds (EMFF) ein Zeichen, dass auch beim Schutz der marinen Biodiversität Gegenwind zu erwarten ist. - Gemeinsam mit anderen Umweltverbänden kritisiert der NABU, dass Frau von der Leyen an den Vorschlägen der alten EU-Kommission einer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) festhalten möchte. Durch die Fokussierung auf die Direktzahlungen der ersten Säule wird eine wirkliche Agrarwende, die Landwirten und Natur gleichermaßen nützt, unmöglich gemacht. Der Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski hat nun zumindest die Aufgabe, ein insgesamt hohes Schutzniveau für Klima und Natur sicherzustellen. Aus NABU-Sicht sind hierfür zumindest 10% verbindliche Naturschutzfläche pro Betrieb („Space for Nature“) sowie 15 Milliarden Euro jährlich EU-weit für den Naturschutz („Money for Nature“) aus dem Haushaltstitel für „Natürliche Ressourcen“ des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) nötig.
Im nächsten Schritt gilt es, die Veröffentlichung der Kommissions-Mitteilung über den „European Green Deal“ abzuwarten. Der NABU erwartet diese bereits für Mitte Dezember diesen Jahres, also in wenigen Wochen. Diese Mitteilung sowie die dann im Frühjahr 2020 folgende Veröffentlichung der „Green Deal“-Initiativen selbst (möglicherweise innerhalb der ersten 100 Tage der neuen EU-Kommission, also vom 01.12.2019 an gerechnet) geben nicht nur Aufschluss über das Arbeitsprogramm der nächsten Jahre, sondern auch darüber, ob Frau von der Leyen es mit ihrem Versprechen ernst meint.
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