NABU-GAP-Ticker: „Ja, aber…“ zum Green Deal
23.07.2020 Während sich am vergangenen Montag (20. Juli) die Augen der Öffentlichkeit auf den EU-Haushaltsgipfel richteten, fand dort in Brüssel parallel zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie der Rat der EU-Agrarminister*innen wieder als physisches Treffen statt. Die EU-Agrarminister*innen trafen sich, um über die Farm-to-Fork-Strategie (der NABU berichtete hier und hier) und die Grüne Architektur der GAP zu diskutieren. In beiden Punkten will man bis Oktober zu einer Einigung kommen, so sieht es zumindest das Programm von Julia Klöckners Agrarministerium für die deutsche Ratspräsidentschaft vor. Wenn man die Bandbreite der verschiedenen Positionen der Mitgliedstaaten betrachtet, so dürfte dies ein durchaus ambitioniertes Unterfangen werden.
Zu Beginn der ersten Sitzungsrunde am Vormittag lobten alle Anwesenden die „dynamische“ Leitung von Julia Klöckner. Bedauerlicherweise ließen die EU-Agrarminister*innen für die Farm to Fork-Strategie dann jedoch sehr viel Zögern und Zaudern verlauten. Man begrüße zwar den Green Deal und die sich daraus ergebende Farm to Fork-Strategie, müsse jedoch gleichzeitig „wettbewerbsfähig“ bleiben, sagte beispielsweise Schwedens Agrarministerin. Mit dieser „Ja, aber…“-Rhetorik war sie nicht allein. Des Weiteren wurden viele Mitgliedsstaaten nicht müde zu betonen, dass die Farm to Fork-Strategie eben „nur“ eine Strategie sei – und daher per se nicht verbindlich – und ob die Ziele überhaupt erreichbar seien, das sei ohnehin fraglich. Zunächst mal wünsche man sich von der Kommission eine konkretere Folgenabschätzung für die Ziele der Farm to Fork-Strategie, bevor man in den Mitgliedstaaten mit der Planung und Umsetzung beginnen könne. Außerdem betonten mehrere Mitgliedstaaten, u.a. auch die österreichische Agrarministerin Elli Köstringer, dass ihre bisher schon erreichten Fortschritte angerechnet werden müssten bei der Umsetzung der Strategie. EU-Agrarkommissar Wojciechowski machte jedoch erneut deutlich, dass die Kommission plant, die Farm to fork-Strategie bei der Prüfung der nationalen GAP-Strategiepläne mit einzubeziehen. Aus Naturschutzsicht wäre es sehr begrüßenswert, wenn Wojciechowski sich hiermit durchsetzen kann.
Am Nachmittag widmete man sich dann der Grünen Architektur der GAP mit Schwerpunkten auf zwei äußerst entscheidenden Fragen für den Naturschutz:
- Die deutsche Ratspräsidentschaft wollte von den Mitgliedstaaten Standpunkte einholen, ob und zu welchen Bedingungen, die Eco-Schemes über einen Mindestprozentsatz in der ersten Säule EU-weit einheitlich und verpflichtend für die Mitgliedstaaten (aber freiwillig für die Landwirte) sein sollten.
- Hier fordert der NABU mindestens 50% der ersten Säule für die Eco-Schemes zu binden, damit Landwirte für konkrete Umwelt-, Klima- und Naturschutzleistungen bezahlt werden können.
- Bei den nicht produktiven Flächen erwartete die Ratspräsidentschaft Äußerungen dazu, ob es einen EU-weit einheitlichen Prozentsatz geben solle, die auf jedem Betrieb verpflichtend vorgesehen werden müssen als Voraussetzung für den Erhalt der Subventionen. Ferner wollte man wissen, wie hoch dieser Prozentsatz sein solle und ob nicht doch auch produktive Flächen anrechenbar sein müssten.
- Mit Rückendeckung aus zahlreichen wissenschaftlichen Studien fordert der NABU hier, dass 10% der Fläche eines jeden Betriebes als nicht-produktive Fläche (bspw. Blühstreifen, Brachflächen, Landschaftselemente) für die Rettung der Artenvielfalt zur Verfügung gestellt werden muss und somit Voraussetzung für den Erhalt von Subventionen ist. Hierzu ist es aus NABU-Sicht unerlässlich für faire Wettbewerbsbedingungen, einen EU-weit einheitlichen Prozentsatz festzulegen.
Zu Beginn betonte Agrarkommissar Wojciechowski richtigerweise, dass es um nicht weniger ginge, als die Glaubwürdigkeit der GAP. Diese müsse angemessen und effizient auf den Rückgang der Artenvielfalt reagieren. Was danach folgte, war ein Paradebeispiel für den mangelnden Reformwillen der EU-Agrarministerinnen und Minister. Als hätte es den Green Deal nie gegeben, argumentierten sie für maximale Flexibilität, möglichst viele Ausnahmen und Verwässerungen.
14 Mitgliedstaaten sprachen sich gegen ein verpflichtendes Budget für Eco-Schemes in der ersten Säule aus. Die anderen Mitgliedstaaten, vorweg Frankreich, Schweden, Dänemark, die Niederlande und Portugal zeigten sich durchaus offen. Viele wollen dies jedoch an Bedingungen geknüpft sehen. Durch die Bank weg wurde die Sorge geäußert, dass es schwer abzusehen wäre, wie gut die Landwirt*innen die Eco-Schemes annehmen würden. Demnach bestünde die Gefahr, dass Gelder bei nicht-abrufen der Mittel verfallen – hier wünschte man sich also maximale Flexibilität – was wohl in auch bedeuten könnte, dass die Gelder wieder in Direktzahlungen umgewandelt werden.
Bei den nicht-produktiven Flächen zeigen viele Minister*innen ebenfalls ihren Unwillen für eine EU-weit einheitliche Regelung, denn wenn sie überhaupt für einen EU-weiten Prozentsatz offen waren, dann lag dieser kaum höher als 5 Prozent (einzige von der Autorin wahrgenommene Ausnahme war Portugal mit 6%). Zudem forderten viele Mitgliedstaaten, dass produktive Flächen (bspw. stickstoffbindende Pflanzen) anrechenbar sein sollten. Damit wären jedoch im Vergleich zum derzeitigen Greening (welches nicht nur vom EU-Rechnungshof als unzulänglich kritisiert wurde) keine Fortschritte erreicht. Verschiedene Ausnahme-Wünsche für kleine Betriebe, Grünlandflächen und sog. benachteiligte Gebiete wurden vorgetragen.
Julia Klöckner schlussfolgerte bei ihrer Abschluss-Pressekonferenz, dass man sich zwar einig sei über mehr Umweltambition, dass aber in beiden Säulen Kompromisse gefunden werden müssten. Nun ist es an ihr, aus diesen divergierenden Meinungen bis Oktober ein Paket zusammenzubinden, mit dem sie den Agrarministerrat in den Trilogverhandlungen mit Parlament und Kommission vertreten kann. Was ihr zumindest helfen wird, ist die Tatsache, dass nun Klarheit über den EU-Haushalt und das zukünftige Budget der GAP besteht, da sich die Staats- und Regierungschefs noch am selben Abend auf einen Kompromiss einigen konnten [Hier finden Sie eine ausführliche Analyse auf unserem Naturschätze.Retten-Blog]. Somit ist die „beliebte“ Ausrede der EU-Agrarminister*innen, man könne erst über die Inhalte der Grünen Architektur reden, wenn klar sei wieviel Geld zur Verfügung stünde, endlich obsolet. Diese Klarheit über das Budget gilt natürlich nur vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments zum jüngsten Haushalts-Kompromiss.
Die EU-Agrarminister*innen wären wohl gut beraten, sich in ihren Reformbemühungen noch etwas ambitionierter zu zeigen, denn die Kommission hat bereits deutlich gemacht, dass sie mit der Umweltambition des Rates nicht zufrieden ist und wird dies sicher auch im Trilog einfordern. Aus Sicht des Naturschutzes und für die Zukunft der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft zeigt sich ganz klar, wie wichtig die derzeit laufenden Verhandlungen zur GAP zwischen den Gruppen und Abgeordneten im EU-Parlament sind: Nur mit einer progressiven Position kann das Parlament dem eher reformunwilligen Rat in den Trilog-Verhandlungen etwas entgegenstellen!
Der NABU-GAP-Ticker
Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv – #FutureOfCAP
Titelfoto: Europäische Union 2013
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