NABU-GAP-Ticker: Farm-to-Fork Strategie – warum die Untergangspropheten sich irren!

Brüssel, 28.September. Freude war groß unter Umweltschützern als Agrar- und Umweltausschuss des Europäischen Parlamentes sich mit großer Mehrheit hinter die Farm-to-Fork-Strategie der EU Kommission gestellt hatten (siehe hier). Auch bei der EU Kommission selber dürfte dieses Ergebnis für Erleichterung gesorgt haben. War die Strategie bei ihrer Veröffentlichung im Mai 2020 noch umstritten, dürfte dieses Signal für Rückenwind in der kommenden Gesetzesarbeit etwa zur Regulierung des Pestizideinsatzes sorgen.

Umso erboster war jedoch die Lobby der Agrarindustrie, allen voran die Vertreter des Europäischen Bauernverbandes COPA&COGECA. Diese sprachen davon, dass gleich mehrere rote Linien überschritten seien. Noch muss der Ausschussbericht vom Plenum des Europäischen Parlaments bestätigt werden, die Abstimmung ist nun für die Woche des 18.Oktober angesetzt. Im Vorfeld malte die Interessensvertretung gleich das Ende der Ernährungssicherheit in Europa an die Wand, geprägt von Produktionsrückgängen und einer vermehrten Importabhängigkeit der EU. Was ist jedoch dran an diesen Aussagen?

Der erste Blick täuscht

Jene beziehen sich auf verschiedene Modellvorsagen, die u.a. von der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU Kommission (JRC) oder der Uni Kiel vor Kurzem veröffentlicht wurden (siehe hier und hier). Beide Institutionen berechneten mittels des CAPRI-Modells die potentiellen Auswirkungen der Umsetzung von vier Zielen aus der Farm-to-Fork sowie der Biodiversitätsstrategie: 1) die Reduktion des Einsatzes von Mineraldüngern, 2) die Reduktion des Nährstoffüberschusses in der Landwirtschaft, 3) die verstärkte Umstellung auf Öko-Landbau sowie 4) die Erhöhung des Anteils von naturnahen Lebensräumen wie Brachen in der Agrarlandschaft.

In den Berichten werden diese vier Ziele auf verschiedene Szenarien angewendet. Im JRC Bericht lassen diese sich grob in zwei Kategorien einteilen: das Basisszenario mit „Business as usual“ oder die ambitionierte Implementierung durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Der erste Blick auf die Daten scheint die negative Sichtweise zu bestätigen. So könnte die Produktion von Getreide um bis zu 15% sinken, die von Fleisch ebenfalls um 10 bis 15%, je nach Tierart. Auch der Export ins Ausland würde dementsprechend sinken. Bei Getreide würde der Netto-Export sich im 1.Szenario des JRC Berichts halbieren in der Studie der Uni Kiel würde sich das Gleichgewicht sogar in Richtung eines leichten Netto-Imports verschieben.

Ökonomische Chancen

Man könnte bei der Interpretation an diesem Punkt aufhören wie manche Akteure dies zu tun pflegen. Tatsächlich ergeben sich aus der Modellierung noch weitere Ergebnisse, die zu einem deutlich differenzierten Urteil kommen lassen. So hängen die Auswirkungen stark von der politischen Umsetzung ab. Die Implementierung der GAP macht etwa einen großen Unterschied aus. Im Szenario mit der ambitioniertesten Umsetzung der GAP fällt der Rückgang der Getreideproduktion im JRC Bericht mit ca. 12% deutlich kleiner aus. Auch die Handelsbilanz würde sich verbessern, der Netto-Export bei Getreide würde sich nach Umsetzung der Farm-to-Fork Strategie bei etwa 2/3 des ursprünglichen Niveaus einpendeln.

Interessanter noch ist die Betrachtung der Auswirkung auf die ökonomische Situation der Landwirte. Diese könnten aufgrund des verminderten Angebots von höheren Preisen profitieren, die die Verluste im Ertrag teilweise überkompensieren. Gerade die gebeutelten Schweinezüchter könnten am Ende sogar besser dastehen als im Basisszenario. Im Gemüsebau könnte sich die Strategie zum Nullsummenspiel entwickeln, während Getreideproduzenten unterm Strich leichte Einbußen hinnehmen müssten.

Die Umwelt profitiert

Eindeutig sind die Ergebnisse im Bereich Umweltschutz. So könnte die erfolgreiche Implementierung der beiden Strategien zu deutlichen Verbesserungen in den Bereichen Klimaschutz und Biodiversität liefern. Auch die Verschmutzung von Luft und Wasser etwa durch Stickstoffverbindungen würde signifikant zurückgehen. Die THG-Emissionen aus der Landwirtschaft in der EU könnten im günstigsten Fall um bis zu 30% sinken laut JRC. Ein Teil dieser Minderung wird jedoch geschmälert durch höhere Emissionen im Ausland (ebenfalls abhängig von mehreren Faktoren wie die Umsetzung der GAP). Unterm Strich bleibt jedoch in jedem Szenario ein Gewinn für den Klimaschutz.

Modelle als Ausschnitt aus der Realität

Zu guter Letzt sollte man bedenken, dass jedes wissenschaftliche Modell nur eine Annäherung an die Realität sein kann. Das JRC (und in geringem Umfang die Uni Kiel) widmet diesem Umstand sehr viel Raum in ihrem Bericht und weist auf die verschiedenen limitierenden Faktoren hin. So ist es unmöglich alle der über 30 Einzelziele- und Maßnahmen der beiden Strategien in einem einzigen Modell abzubilden. So wurden nur jene vier genannten  Ziele verwendet, die sich zudem leicht operationalisieren und messen lassen. Andere wie das Ziel Lebensmittelabfälle zu reduzieren wurden dagegen nicht berücksichtigt. Diese könnten jedoch negative Auswirkungen zum Teil abfedern. Würden etwa weniger Lebensmittel verschwendet, würden etwaige Produktionsrückgange an Bedeutung verlieren.

Auch Änderungen im Konsumverhalten würden das Gleichgewicht deutlich verschieben. Ein Ziel der Farm-to-Fork Strategie ist die Promotion nachhaltiger Ernährungsweisen. In der pessimistischeren Analyse der Uni Kiel würde eine Reduktion des Fleischkonsums in der EU um 25% die Handelsbilanz wieder umkehren und die EU erneut zu einem Netto-Exporteur machen.

Ein blinder Fleck in allen Modellen ist zudem die Rolle von Ökosystemleistungen wie das JRC ganz offen zugibt. So sei zu erwarten, dass der Schutz von Bestäubern und anderen Nützlingen die Produktivität in der Landwirtschaft und deren Resilienz sogar steigern könnte. Dies alles lässt sich in den existierenden Modellen jedoch noch nicht abbilden. Das JRC betrachtet seine Schätzungen vor diesem Hintergrund deshalb auch als Worst-Case Szenario, weil gerade all die genannten begünstigten Faktoren im Modell fehlen.

Es braucht politischen Willen statt Scheindebatten

Was bedeutet das politisch? Zum einen, dass die Farm-to-Fork Strategie und der Green Deal sicher nicht die Landwirtschaft in Europa an die Wand fahren, wie von manchen Akteuren suggeriert. Stattdessen gibt es eine Reihe von positiven Auswirkungen v.a. im Umweltbereich, aber auch für manche Gruppen innerhalb der Landwirtschaft, die profitieren würden.

Nicht ignorieren sollte man aber auch, dass andere Bereiche potentielle Verlierer sein könnten und Modelle können helfen diese zu identifizieren. Hier ist jedoch wichtig zu sehen, dass gerade die Art und Weise wie die Ziele der Farm-to-Fork Strategie in der Praxis umgesetzt werden, massiv über soziale, wirtschaftliche und ökologische Auswirkungen entscheidet. Vor allem die GAP kristallisiert sich hier als Faktor heraus. Umso bedauerlicher ist, dass die EU Agrarminister im GAP Trilog sich erfolgreich dafür eingesetzt haben Green Deal und GAP voneinander zu entkoppeln. Auf die nun laufende Programmierung der GAP Gelder kommt es nun an und die neue Bundesregierung muss nun ein Zeichen für einen Neuanfang setzen.

Die Forderung des Bauernverbandes nach einer umfassenden Folgeabschätzung der Green Deal Strategien kann man dagegen getrost als Nebelkerze und Verzögerungstaktik abtun. Zum einen zeigen die oben genannte Bericht wie schwierig es ist die vier Einzelmaßnahmen in einem Modell zu bündeln und so auch nur eine Annäherung der Realität zu erreichen. Dieses nun auf alle der mehr als 30 Ziele der Farm-to-Fork und Biodiversitätsstrategie auszudehnen dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein. Vor allem hängen die Auswirkungen massiv davon ab wie die Ziele implementiert werden.  Die EU Kommission hat sowieso bereits angekündigt, Folgeabschätzungen vorzulegen sobald es an die konkrete legislative Arbeit zu einzelnen Maßnahmen geht. Die ökologische Krise in der Agrarlandschaft ist die wahre Bedrohung für unsere Ernährungssicherheit. Darum ist es wichtig, dass die Umsetzung des Green Deals jetzt beginnt, anstatt weiter Scheindebatten zu führen.

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kulissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titelfoto: Europäische Union 2013

2 Kommentare

Martin Schmid

28.09.2021, 18:57

Herr Prescher, Sie nennen es "ein Ding der Unmöglichkeit" 30 Ziele der Strategien in einer umfassenden Folgeabschätzung auf EU-Ebene zu erstellen. Wir können doch auch eine Klimawandelfolgenabschätzung die global beeinflußt ist und von 1000enden Dingen, die wir nicht mal alle kennen, erstellen. Eine solche umfassende Folgenabschätzung ist unabdingbar (und ich bin ein energischer Gegner des Bauernverbandes), sonst kann es passieren, dass wir in Europa eine Art retten und mit unserem Verhalten werden 1000 Arten ausgerottet. Genau so wie Julia Klöckner auf einer Podiumsdiskussion sagte:" Das ist dann deren (Drittstaaten) Umwelt und deren Biodiversität!"

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André Prescher

07.10.2021, 09:27

Lieber Herr Schmid, danke für ihr Feedback. Die Farm-to-Fork-Strategie beruht auf etwa 30 politischen Zielen und Ankündigungen von Maßnahmen. Wie die sich letztendlich in der Realität auswirken hängt vor allem davon ab, wie die Umsetzung erfolgt. Diese ist aber teilweise noch nicht mal in Grundzügen absehbar. Die Ziele zur Pestizidreduktion ließen sich entweder über striktes Ordnungsrecht oder freiwillige Fördermaßnahmen umsetzen oder einen Mischung aus beiden. Die existierenden Modelle haben jedoch schon Probleme die vier genannten Ziele abzubilden, welche zudem noch relativ konkret sind. Deswegen bleibe ich bei der Aussage, dass eine sinnvolle Modellierung aller 30 F2F-Ziele auf einmal kaum möglich ist. Die Vorgehensweise der Kommission Folgeabschätzungen vorzulegen, sobald es an die konkrete gesetzliche Umsetzung der einzelnen Punkte geht, scheint mir deutlich sinnvoller. Das heißt nicht, dass Modellierungen nicht ihre Berechtigung haben. Die vom JRC vorgelegte Studie hilft bereits mögliche Gewinner und Verlierer der Strategie aufzuzeigen und Lücken in den bisherigen Modellierungsansätzen offenzulegen. Davon sollte sich die politische Umsetzung durchaus anleiten lassen. Nicht sinnvoll wäre aber jetzt noch für 1-2 Jahre dem Phantom einer 100% kompletten Folgeabschätzung nachzujagen.

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