NABU-GAP-Ticker: Überraschende Agrarwende an der Mosel?

NABU-GAP-Ticker: Überraschende Agrarwende an der Mosel?

Foto: Iris Barthel

UPDATE 1.9.2020, 9:30 Uhr: Leider scheint sich Julia Klöckner für ein anderes Redemanuskript entschieden zu haben … 🙁  Bisher in Koblenz leider nichts neues. Live-Stream hier.

 

 

28.08.2020 – Am Montag Nachmittag plant Julia Klöckner eine Fahrt auf der Mosel, von Winningen nach Koblenz. Mit dabei die Agrarministerinnen und -minister aller EU-Staaten. An Bord können sie bei einem erlesenen Tropfen die Eindrücke des Vormittags sacken lassen, denn da erleben sie eine beeindruckenden High-Tech-Show des deutschen Weinbaus. Die Presseeinladung des Ministeriums verspricht „Einsatz von Drohne, Steillagenvollernter und Monorackbahn“ in einem Gelände von 60-70 Grad Steigung. Am Dienstag geht es dann an die Arbeit – der sogenannte informelle Agrarrat unter deutscher EU-Präsidentschaft beginnt. Das wird spannend, denn uns ist ein brisantes Dokument zugespielt worden. Eine Sensation zeichnet sich ab.

Die informellen EU-Räte erlauben oft einen ungezwungenen Austausch der Ministerinnen und Minister verglichen mit den formellen in Brüssel, wo unter den Augen der zugeschalteten Öffentlichkeit meist nur vorbereitete Statements verlesen werden. In Koblenz ist man unter sich und kann vielleicht endlich ein paar Nägel mit Köpfen für die sich hinziehende EU-Agrarreform machen. „Unter sich“ bedeutet, dass auch die Vertreter der Agrarverbände dabei sind, denn um deren Subventionen geht es ja, da sollen sie auch mitreden. Mit dem Chef des europäischen Agrarverbands COPA, Joachim Rukwied, sitzt man oft gerne zusammen. Die Umweltverbände dürfen draußen demonstrieren. Nur die finnische Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr lud auch sie einmal ein, doch dies betrachtet man im Bundeslandwirtschaftsministerium wohl eher als einmaligen Ausrutscher. Die entsprechende Anfrage der Umwelt- und Tierschutzverbände von Ende Mai wurde Mitte August beantwortet – abschlägig.

An der Mosel zeichnet sich eine sensationelle Agrarwende ab. Wenn die Informationen des GAP-Tickers korrekt sind. Foto: HP-Felten.

Doch angesichts des Dokuments, das dem NABU-GAP-Ticker heute zugespielt wurde, verblassen diese Kleinigkeiten. Es handelt sich offenbar um Julia Klöckners Redemanuskript für die geplante Schiffstour auf der Mosel. Wir veröffentlichen es hier – ungekürzt und exklusiv. Ob das Dokument echt ist oder doch nur Satire, zeigt sich vermutlich am Dienstag um 8 Uhr morgens, da hat Klöckner eine öffentliche Erklärung per livestream angekündigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dear friends of the farm industry,

heute morgen habt ihr alle gesehen, was Weinbau „Made in Germany“ bedeutet. Digitalisierung pur. Heute Nachmittag kann ich Euch an Bord bewirten und Euch die Qualität unserer guten Weine nahe bringen. Und alles vor dieser wunderschönen Landschaft, die ich meine Heimat nennen darf. Obwohl dieses Bundesland seit einiger Zeit leider recht schlecht regiert wird, hat es kaum etwas von seiner einzigartigen Natur eingebüßt. Es gibt hier immerhin 120 Natura-2000-Gebiete, die von der EU geschützt werden, darauf können wir hier stolz sein. Gerade befinden wir uns im sogenannten FFH-Gebiet „Mosel“, das geschützt wird für die Lebensräume von Wanderfischen und für seine Ufer- und Auenlebensräume.

Ich denke hier ist der richtige Ort – lieber Joachim Rukwied, nimm dir noch ein Glas und setz dich besser- um Euch mitzuteilen, dass ich beschlossen habe, jetzt doch eine andere Agrarpolitik für die EU auf den Weg zu bringen. 30 Jahre nach  MacSharry ist es Zeit für die Klöckner-Reform. Wir können die Augen nicht mehr verschließen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Weder vor der Klimakrise noch vor dem Insektensterben. Ich bin inzwischen sicher, das gibt es wirklich. Auch können wir nicht mehr ignorieren, dass unser Subventionssystem katastrophal ist für die Zukunft der Betriebe, die Flächenprämien treiben die Landwirte in immer größere Abhängigkeit und gauckeln nur scheinbare ökonomische Sicherheit vor. Immer mehr merken das inzwischen. Auch werden die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler irgendwann darauf kommen, was wir mit ihrem Geld seit Jahrzehnten anstellen. Dass es zum großen Teil gar nicht an die Bauern geht, sondern an die Verpächter, die Banken und Versicherungen, die Hersteller von Pestiziden, Dünger und Futtermitteln. Die können das natürlich auch gut brauchen, das Geld, aber es lässt sich leider nicht mehr öffentlich vermitteln, lieber Joachim.

Auf die Idee zur Klöckner-Reform bin ich gekommen als ich gehört habe, dass der arme Phil nicht mehr an Bord ist. Als er vom Agrar- zum Handelskommissar wurde hat er uns diesen schrecklichen GAP-Vorschlag hinterlassen, an dem wir jetzt seit Jahren herumdoktern. Nur weil wir Phil nicht kränken wollten, haben wir sein Papier nicht ad acta gelegt auf den Misthaufen geworfen. Jetzt ist er über sein „#golfgate“ gestolpert und der Weg ist frei. Frei für die Klöckner-Reform. Und was das beste ist, die neue Agrarpolitik ist ganz einfach zu verstehen und ich habe sie bereits mit der EU-Kommission, mit Ursula und Frans, abgesprochen. Die freuen sich sehr, weil das ganze endlich zu ihrem Green Deal passt. Und meine Parteifreunde aus dem  Agrarausschuss des EU-Parlaments, die im Oktober eigentlich beschließen wollten, dass sich gar nichts ändert, denen mache ich das auch noch irgendwie schmackhaft. Vielleicht mit noch einer Bootsfahrt auf der Mosel.

Was wird also passieren? Wir lassen die Flächenprämien bis 2027 schrittweise auslaufen und investieren das gesparte Geld in die Umstellung der Landwirtschaft. Das ganze planbar und verlässlich. Alle Betriebe, die Zukunft haben wollen, bekommen nicht nur Übergangshilfen, sondern Beratung und Geld für Investitionen. Für den tierwohlgerechten Umbau der Ställe, Direktvermarktung, Umstellung auf Bio oder andere agrarökologische Anbaumethoden, die mit weniger Produktion höhere Preise erzielen. Die öffentlichen Einrichtungen, Kantinen, Schulen und Kitas nehmen nur noch ökologisch hochwertige Produkte ab – zu einem guten Preis. Die Umweltauflagen ziehen wir nach einem festen Fahrplan an, so dass sich jeder darauf einstellen kann. Wir verhindern Umweltdumping durch europaweite Regeln, die auch für die Importe gelten. Jeder Betrieb muss 10 Prozent seiner Fläche für die Natur reservieren. Diese Hecken und Wiesen produzieren kostenlos bestäubende Insekten und natürliche schädlingsfressende Vögel. Wir gehen über zu einer flächengebundenen Tierhaltung und weniger Fleischkonsum, brauchen weniger Futtermittelimporte, weniger Flächen, und wir verabschieden uns von der Exportabhängigkeit. Weniger Lebensmittel werden weggeworfen und mehr Pfälzer Wein getrunken… Und was mir besonders wichtig ist: Es wird ein Geschäftsfeld Naturschutz geben, mit 15 Mrd. EUR im Jahr können wir unseren Landwirten gutes Geld dafür bezahlen, dass sie zum Beispiel unsere Natura-2000-Gebiete in Schuss halten. Das ist die Klöckner-Reform, die ich mir in den letzten Tagen ausgedacht habe. Was sagt ihr dazu? Genial, oder?

Einen Nachteil hat die Geschichte allerdings, lieber Joachim. Die Zeit der bedingungslosen Flächensubventionen ist vorbei, die Pachtpreise werden sinken, Land wird für Bäuerinnen und Bauern erschwinglicher. Die Nachfrage nach Pestiziden sinkt, genauso wie die nach Dünger und Tierfutter. Und auch einige Eurer Regierungschefs, liebe Minister aus Ländern die ich jetzt nicht nenne, müssen sich andere Wege der Bereicherung suchen, die GAP lässt sich dann nicht mehr so leicht missbrauchen. Es wird einige Verlierer geben. Aber es wird endlich wieder eine Zukunft für die Landwirtschaft geben, gesellschaftliche Anerkennung und eine Bereitschaft in der Bevölkerung dafür auch Steuergelder auszugeben. Das ist die Klöckner-Reform.

Lasst es erstmal sacken, vor allem Du, Joachim, Du bist ja ganz blass. Morgen machen wir uns an die Arbeit – es wird nicht einfach werden, aber diese historische Chance dürfen wir nicht verstreichen lassen!

 

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titelfoto: Europäische Union 2013

7 Kommentare

Marcel Kunze

28.08.2020, 10:57

Das kann nur Satire sein! Ich glaube, es kann sich wohl niemand vorstellen, dass Frau Glöckner ihre Ansichten und Meinung von heute auf morgen so radikal ändert. Es wäre zu schön um wahr zu sein. Wäre heute der 1. April, hielt ich es für einen Aprilscherz.

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Karin Pohl

28.08.2020, 11:13

Leider leider leider, aber in der Deutlichkeit kann es nur Satire sein. Wenn nicht ! Hut ab! Ich hätte endlich Hoffnung dass wir es doch noch schaffen können!

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Renate Warren

28.08.2020, 12:22

Lieber Konstantin, ich bin NABU-Mitglied und im Vorstand des KV Bremervörde-Zeven. Wir arbeiten für das Volksbegehren und bekommen die Kommentare der Landwirte mit. Seit Jaaaahren. Was Frau Klöckner hier (angeblich) von sich gibt, klingt wie von einem anderen Stern, von einem glücklichen Stern. Das kann wohl nur Satire sein, es ist zu schön, um wahr zu sein. Wenn nicht, wäre das eine Revolution. Aber ich glaube nicht dran. Was für mich schon immer der Kern des Problemfelds Landwirtschaft ist, steht aber auch in ihrer Rede: dass das Subventionssystem eine Katastrophe ist, in allererster Linie für die Bauern selbst! Wenn die Mehrheit der Landwirte aus dem Bauernverband bzw. seinen Landesverbänden von jetzt auf gleich aussteigen würde, hätte die lobbyverseuchte EU-Agrarpolitik sofort ein Ende. BITTE halte uns auf dem Laufenden, was es mit dieser wundersamen Rede von Julia Klöckner auf sich hat. Vielen Dank! Schöne Grüße, Renate Warren

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Konstantin Kreiser

31.08.2020, 09:00

Liebe Renate, ich fürchte wir werden uns damit abfinden müssen, dass es sich bei der Mosel-Rede um Satire handelt... Aber wer weiß, Frau Klöckner hat ja noch Zeit bis morgen früh, um sich inspirieren zu lassen. Gestern Abend hat sie (tatsächlich) einen unerwarteten Termin (auch) mit Umweltverbänden abgehalten (https://twitter.com/bmel/status/1300100425945952256?s=09). Der GAP-Ticker und die interne NABU-Kommunikation hält Euch natürlich auf dem Laufenden, vor allem auch was die Verhandlungen im Europäischen Parlament angeht. Dort wird im Oktober abgestimmt und es kommen interessante Vorschläge auf den Tisch. Bleibt bitte dran und beteiligt Euch an unserer Aktion: www.werdelaut.de ! Vielen Dank für die Unterstützung! Konstantin für das NABU-Team

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Ute Hasenbein

28.08.2020, 15:02

Jetzt muss nur noch jemand diese Rede gegen das tatsächliche Manuskript für Dienstag austauschen....

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Manuela Gessner

28.08.2020, 18:07

Hallo, Wenn das ein ernsthaftes Dokument wäre, gäbe es einen Grund zum feiern. Zu schön um wahr zu sein. Aber warten wir den Montag ab.

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Robert Riße

29.08.2020, 10:21

Das wäre wirklich ein Meilenstein. Leider nicht glaubhaft, diese Worte aus dem Mund einer CDU-Politikerin. Wählt Grün! Dann kann das Wahrheit werden.

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