NABU-GAP-Ticker: Weit verzweigt und eng geknüpft – wie die Agrarlobby Politik beeinflusst und welche Konsequenzen aus unserer Sicht darauf folgen müssen

10. Mai 2019. Geahnt und befürchtet hatte es wohl jeder: Die Verflechtungen des Deutschen Bauernverbands mit Agrarpolitik, Industrie und Kreditwirtschaft sind vielfältig und kaum überschaubar. Doch das konkrete Ausmaß dieses Lobby-Netzwerkes, das nun eine von uns beauftragte Studie offengelegt, hat selbst uns überrascht. Im folgenden Beitrag schildert Christine Tölle-Nolting, Referentin für Agrarpolitik und ländliche Räume beim NABU, die Situation.

Seit Jahrzehnten besteht dringender Reformbedarf in der Agrarpolitik. Wissenschaft und Umweltverbände legen immer wieder konkrete Vorschläge vor, wie die Agrarpolitik so umgestaltet werden kann, dass das Artensterben endlich gestoppt wird. Doch eine Reform kommt, die nächste geht – und im Resultat bleibt alles beim Alten. Die Natur gerät unter die Räder. Warum ist das so? Wieso setzen sich bei jeder Reform vor allem die Interessen der industriellen Landwirtschaft und des Bauernverbands durch?

Die Untersuchungen des von uns beauftragten Institut Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen zeigen eindeutig: Der Deutsche Bauernverband vertritt keineswegs die Interessen der Mehrheit der Landwirte – und die der Natur schon gar nicht. Stattdessen verfolgt die Spitze des Bauernverbands eine eigene Agenda: Er setzt auf Wachstum und vor allem Exportsteigerung. Wer als Landwirt nicht mitzieht, verliert in diesem milliardenschweren Markt. Das machen Tausende von Hofschließungen deutlich. Seinen Kurs konnte der Bauernverband in den letzten Jahrzehnten erfolgreich in der Politik durchsetzen.

Warum aber zwingt der Verband seine Mitglieder in immer prekärere Arbeitsverhältnisse? In denen möglichst billig produziert werden muss, mit Milch oder Schweinefleisch kaum Gewinn zu erzielen ist, die Pachtpreise stetig steigen und die Natur unter die Räder gerät?

Einen Hinweis darauf geben die vielfältigen Verknüpfungen des Bauernverbands mit großen Handelskonzernen wie BayWa oder Agravis. Diese Unternehmen handeln mit Futtermitteln, Industriedünger, Pestiziden – den Zutaten für eine immer intensivere Landwirtschaft. Eine Landwirtschaft, die auf die hohe Zugabe von Dünger und Pestiziden angewiesen ist.

Bauernverband ist eng verwoben mit der milliardenschweren Agrarindustrie

Es ist kaum vorstellbar wie der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, ohne Interessenskonflikte fast 90 Prozent der Landwirte vertreten möchte – und gleichzeitig Mitglied im Vorstand der BayWa oder Aufsichtsrat der R+V Versicherungen sein kann (und zusätzlich noch weitere 16 hochrangige Posten in der Agrar- und Ernährungswirtschaft bekleidet). Es ist schließlich das Geschäft jener Handelsunternehmen, möglichst viele Produktionsmittel möglichst teuer zu verkaufen und Produkte gleichzeitig möglichst billig einzukaufen – um so den Gewinn zu maximieren.

Auch Albert Deß, Mitglied des EU-Agrarauschusses, fällt seit Jahren durch sein naturfeindliches Abstimmungsverhalten in Brüssel auf. Bei der Ausgestaltung der aktuellen GAP-Förderperiode setzte er sich für den Einsatz von Pestiziden auf ökologischen Vorrangflächen ein, also jenen Flächen, die eigentlich für den Erhalt der Natur da sein sollen. Für ihn: Kein Widerspruch. Zusätzlich zum Agrarausschuss sitzt er auch im EU-Sonderausschuss für die Genehmigung von Pestiziden. Und  „nebenbei“ ist auch er Mitglied im Beirat der BayWa.

Als weitere Austauschplattform zwischen den großen Chemiekonzernen wie BASF und Bayer mit der Spitze des DBV dienen mehrere Knotenpunkte, wie die Verbindungsstelle Landwirtschaft- Industrie e.V. (VLI) oder das Forum Moderne Landwirtschaft (FML). Für die Öffentlichkeit sind diese Knotenpunkte kaum sichtbar. Dabei gehören etwa die jungen „AgrarScouts“ fest zum Inventar des FML. Sie sollen der Öffentlichkeit die „moderne Landwirtschaft“ näher bringen. Auf der Grünen Woche oder auf Marktplätzen diskutieren sie mit Bürgerinnen und Bürgern und vermitteln ihr Bild der modernen Landwirtschaft. Ein geschickter Zug – mit Blick auf die öffentliche Meinungsbildung.

Gespräche mit Insidern machen zudem deutlich, dass sich der DBV in Berlin und Brüssel rege mit Agrarpolitikern austauscht. Nicht nachweisen lässt sich der Verbandsspitze zwar ein konkreter Einfluss auf Gesetzestexte: Wie Entscheidungen, etwa zum verfehlten Düngerecht oder zur Verschiebung des Verbots der betäubungslosen Ferkelkastration bis Ende 2020, zustande kamen, bleibt undurchsichtig. Daher muss nach unserer Ansicht dringend ein Lobbyregister eingeführt werden. Damit sollten nicht nur Treffen zwischen Politikern und Lobbyisten dokumentiert werden sondern auch ihr konkreter Einfluss auf Gesetze – ein „legislativer Fußabdruck“ also.

Grundsätzlich ist eine Beratung von Politikerinnen und Politikern mit Fachleuten und Interessensvertretern zwar nicht abzulehnen, sie hat sogar häufig Sinn. Doch sollten die lobbyierenden Personen vorrangig ein wirtschaftliches Interesse verfolgen und unter dem Deckmantel eines Verbandes die Industrie fördern, wird dies zu einem Problem. Daher muss der Zugriff der Agrarlobby auf die milliardenschwere Agrarpolitik, die für unsere Gesundheit und die Umwelt so entscheidend ist, verringert werden. Der Einfluss der Agrarlobby auf Agrarausschüsse und -ressorts in Berlin und Brüssel muss transparenter werden. Nur so wird ein Neustart gelingen: Für eine gerechterer Agrarpolitik, die Umwelt- und Klimaschutz mit zu ihrem Ziel macht statt einseitig die Interessen der Agrarindustrie zu bedienen.

 

Autorin: Christine Tölle-Nolting, NABU-Referentin für Agrarpolitik und ländliche Räume

 

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titefoto: Europäische Union 2013

 

2 Kommentare

Knut Kahnt

10.05.2019, 22:44

Liebe Ingrid Bunker, danke für deine ausführliche Darstellung zur Situation im akt. EU-Agrarauschuß. Wohin dessen Arbeit geführt hat, sehen wir u.a. in der Studie zur Biodiversität der Vereinten Nationen. Die Katastrophe ist hausgemacht; ein Mehr an Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz ist m.E. nicht mehr gegeben. Die Machenschaften gehen so weit, das ich diesem Gremium in der jetzigen personellen Zusammensetzung jedwede Transparenz abspreche. Das geht hier nur mit Neuanfang nach Auflösung des jetzigen Ausschusses. Alles andere führt nur weiter ins Verderben; zu mehr Glyphosat und noch höheren Nitratwerten in unseren Gewässern. Das kann der NABU allein nicht wippen, das braucht eine kollektive Kraftanstrengung. Knut Kahnt

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Bernd Hajek

15.05.2019, 11:24

Ich finde eure Aktion der Vogelzählung grundsätzlich ok. Aber wie wäre es wenn ihr diese Beobachtung für ein Jahr in einem Garten / Ort erweitern würdet? Mich wundert es: Feststellen des Insektensterbens, Kenntnis der fatalen Auswirkungen auf die gesamte Vogel und Pflanzenwelt und kommentarlos das Absaugen der Wiesen, bis zu 5x im Jahr, durch die Landwirte hinzunehmen. Die Heuschrecken & Ko liefern ja auch noch einen wichtigen Beitrag als zusätzliche Eiweißlieferanten. Die damit verbundenen Güllegaben durch Einbringen in den Boden mittels Vorschneider helfen dem Landwirt die Zwiebelpflanzen wie Traubenhyazinthe und Herbstzeitlose nahezu vollständig zu beseitigen

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