NABU-Agrar-Blog: Unterirdische Biodiversität – fataler ‚Blind Spot‘ der europäischen Agrarpolitik!? (Teil 3)

5. September 2022. Schon seit Anfang der Nullerjahre nehmen Forscher an, dass die Mikrobiome von Boden, Pflanze und Mensch vielleicht stärker miteinander verbunden sein könnten als bis dahin angenommen. Das Konzept der „One Health“,, wie es unter anderem von „Planetary Health“ propagiert wird, macht deutlich, dass die individuelle menschliche Gesundheit nicht isoliert zu betrachten ist, sondern eng mit der Gesundheit von Pflanzen, Tieren, Mitmenschen, der Umwelt und vor allem mit der Gesundheit des Bodens und dessen Mikrobiom zusammenhängt: Das Verständnis der Zusammenhänge zwischen Mikrobiomen und Bodengesundheit sowie pflanzlicher, tierischer und menschlicher Gesundheit muss in Wirtschaft und Politik Einzug erhalten und in der Landnutzung angewandt werden!

In der Wissenschaft wird zunehmend erkannt und anerkannt, dass die Rolle der mikrobiellen Gemeinschaften verstanden und einbezogen werden muss, um die Gesundheit des Bodens zu erhalten und zu verbessern. Doch durch menschliche Einflüsse vor allem in der Landwirtschaft (siehe Teil I und Teil II dieser Artikelreihe), aber auch infolge massiver Versiegelung steht dieser Grund allen terrestrischen Lebens auf dem Spiel. Initiativen allerdings, die sich der Regeneration des Bodens bzw. des Bodenlebens widmen, sind die zentrale Mehrgewinnstrategie für den Erhalt und die Regeneration der Biodiversität, der Gesundheit von Ökosystemen und vor allem auch für die Gesundheit von Pflanze, Tier und Mensch.

Bodengesundheit

Mikroorganismen sind – wie bereits in Teil I und II angeklungen – in überwältigender Menge und Vielfalt enthalten. Sie stellen mit 15 % den größten Anteil der Biomasse an Land (Tiere im Vergleich nur 0,3 %). Böden beherbergen somit das vielfältigste und komplexeste Mikrobiom der Erde. Man kann den Boden als eine wichtige Quelle von Mikroorganismen in terrestrischen Ökosystemen und damit als Grundlage für dessen Gesundheit betrachten. So siedeln sich gezielt bestimmte Stämme von Bakteriengesellschaften in der Rhizosphäre der Pflanzen an, wodurch die Pflanze eine Teilmenge des Bodenmikrobioms aufnimmt. Man geht davon aus, dass die Bodenmasse den wichtigsten Beitrag zur endophytischen Mikrobiota (Lebewesen, welche im Inneren des Vegetationskörpers einer Pflanze leben) der Pflanze beiträgt. Pflanzen wiederrum tragen einen Großteil zu der endophytischen Mikrobiota in Tieren und Menschen bei.

Letztendlich beginnt so die Gesundheit des Menschen, der terrestrischen Ökosysteme und ihrer Biodiversität im Boden. Genauer im Mikrobiom und der Rhizosphäre des Bodens. Das Mikrobiom und die Rhizosphäre des Bodens verändern sich zurzeit stark.

Einflussnahme des Bodenmikrobioms auf One Health. (Quelle)

Pflanzengesundheit

Der Beitrag der Bodenorganismen zur Pflanzengesundheit ist ein unbestreitbarer Eckpfeiler für deren Gesundheit und das Funktionieren terrestrischer Ökosysteme. Mikrobielle Gemeinschaften spielen eine zentrale Rolle bei der Nährstoffversorgung der Pflanze. Diese rekrutieren bevorzugt Mikroorgansimen der Rhizosphäre, die für ihr Wachstum und ihre Entwicklung wichtig sind. Sie stärken das metabolische Repertoire der Pflanze und erleichtern viele Prozesse, wie die Keimung der Samen, Etablierung von Keimlingen, die Ernährung, Wasseraufnahme, Wachstumsförderung, Unterdrückung von Krankheitserregern, Hormonregulierung bis hin zur Stresstoleranz. Zudem nehmen sie bis zu 80 % des pflanzlichen Stickstoffs und bis zu 90 % des pflanzlichen Phosphors auf. Die Symbiose zwischen Leguminosen und stickstofffixierenden Bakterien kann so mehr als 300 kg/ha/a Stickstoff liefern, die der Atmosphäre entzogen werden und dadurch das Klima kühlen. Ein ähnliches Beispiel für pflanzenfördernde Mikroorganismen sind die viel diskutierten Mykorrhizapilze, die mit fast 90 % der Landpflanzen eine Symbiose eingehen und auch den Ertrag von Nutzpflanzen erheblich steigern können.

Allerdings fördern nicht alle Bodenmikroorganismen die Pflanzengesundheit, wie zum Beispiel bodenbürtige Pathogene. Daher ist es wichtig anzumerken, dass Mikroorganismen nicht isoliert funktionieren und eine selektive Rekrutierung des Mikrobioms durch die Pflanze überlebenswichtig ist. Aber auch für die tierische Gesundheit, von den kleinsten Insekten bis zu den großen Wiederkäuern, ist das Mikrobiom entscheidend. In Graslandökosystemen ist die Co-Evolution von Mikroorganismen im Boden und im Pansen der Wiederkäuer besonders eindrucksvoll.

Die so genannte Pansensymbiose, also die Symbiose zwischen Wiederkäuern und Mikroorganismen (Bakterien, Archaebakterien, Protozoen und Pilze) ist für alle Partner von Vorteil: Die Wiederkäuer liefern den Mikroorganismen Nährstoffe (Cellulose u.a. pflanzliche Polysaccharide) und die Mikroorganismen schließen den Wiederkäuern die unverdaulichen Nährstoffe auf und liefern ihnen darüber hinaus Aminosäuren und lebenswichtige Ergänzungsstoffe (z.B. Vitamine). Die Exkremente der Wiederkäuer wiederum bieten Nahrung und Lebensraum für das Nahrungsnetz des Bodens, eben auch für das Mikrobiom. So produziert ein Rind pro Monat circa 1 Tonne Dung, woraus sich circa 10 kg Insektenbiomasse plus die weitere davon lebende Fauna entwickeln.

Die Darmmikrobiota beim Menschen und die Boden- und Rhizom-Mikrobiota bei Pflanzen leben unter ähnlichen Umweltbedingungen. (Quelle)

Menschliche Gesundheit

Das Bodenmikrobiom kann die menschliche Gesundheit und die Gesellschaft auf vielfältige Weise beeinflussen, sodass sie eng mit der Bodengesundheit verbunden ist. So ist zum Beispiel vor allem auf dem afrikanischen und asiatischen Geophagie, das bewusste Aufnehmen von Boden (meist tonige Böden) üblich, um eine nährstoffarme Ernährung zu ergänzen. Analog dazu leiden Menschen, die sich in einer natürlichen Umgebung aufhalten, seltener an allergischen Reaktionen, was möglicherweise mit dem Bodenmikrobiom und dem Einatmen von Bodenpartikeln zusammenhängt. Der westliche Lebensstil, der mit intensiver Hygiene und hohem Antibiotikaverbrauch einhergeht, wird mit allergischen Reaktionen, Asthma und Dermatitis in Verbindung gebracht und scheint diese Hypothese zu bestätigen. Dies wird dadurch erklärt, dass durch übermäßige Hygiene die immunregulatorischen Kreisläufe des Menschen nicht ausreichend stimuliert werden. Dies verdeutlicht die Bedeutung der Umweltmikrobiome für die menschliche Gesundheit.

Der Mensch bezieht zudem essenzielle Elemente aus pflanzlichen Lebensmitteln, die nicht den Kreislauf dieser Elemente, sondern auch die Gesundheit der Pflanzen regulieren (siehe Mykorrhizapilze). Außerdem kann der Mensch nur die Hälfte der essenziellen Aminosäuren selbst synthetisieren und ist bei dem Rest ebenso auf die Nahrungsaufnahme angewiesen. Letztendlich ist das Bodenmikrobiom für die Ernährungssicherheit und vor allem für die Qualität unserer Nahrung von essenzieller Bedeutung. Zurzeit erleben wir das exponentielle Wachstum von Autoimmunkrankheiten weltweit, die Wissenschaftler*innen zunehmend mit der veränderten Nährstoffintegrität unserer Nahrung, also vor allem der verringerten Mikro- und Phytonährstoffe, als Folge des veränderten Mikrobioms im Boden und der korrelierenden Pflanzen- und Tiergesundheit, in Verbindung bringen.

Es bleibt zu konstatieren, dass die Gesundung unserer Böden die zentrale Mehrgewinnstrategie für Natur, Klima und Landwirtschaft ist. Die Gesundung unserer Böden fördert den Erhalt und die Regeneration der unterirdischen Biodiversität, des Mikrobioms und der wichtigen davon ausgehenden Ökosystemleistungen in Synergie mit der Klimamitigation und -anpassung sowie der Unabhängigkeit der Landwirtschaft. Die Förderung der Resilienz von unseren Agrarökosystemen durch eine Regulation von degradierender sowie einer Förderung von regenerativer Bodennutzung, einer Renaturierung der Agrarlandschaft und der Förderung der Unabhängigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe (siehe dazu Teil II), ist grundlegend für die Gesundheit unserer ganzen Gesellschaft, unserer Mitwesen und des Planeten.

Dies ist ein Blogbeitrag der NABU-Experten Max Meister und Simon Krämer.

 

Quellen:

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Cavicchioli, R. et al. Scientists’ warning to humanity: microorganisms and climate change. Nat. Rev. Microbiol. 17, 569–586 (2019).

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1 Kommentar

Jürgen Haida -Nabu in Erkelenz

05.09.2022, 20:29

Sehr geehrter Max Meister und Simon Krämer, ganz besonderen Dank für die bisher 3-teilige Ausarbeitung zur unterirdischen Biodiversität. Auch für mich (weder Biologe noch Chemiker) sind die Aussagen gut verständlich und nachvollziehbar. Eine Fähigkeit, welche nicht jedem Experten gegeben ist. Mit dieser Ausarbeitung habt Ihr einen existenziellen Baustein zum Verständnis unserer Nahrungskreisläufe erstellt. Zur Zeit befasse ich mich -ausgelöst durch die negativen Auswirkungen einer neuen Regionalplanung RP Köln- mit weiteren Aktiven mit dem Bereich der ungebrochenen Flächenversiegelung. Diese geht ja eindeutig zu Lasten der "verschiedenen Beteiligten" (eure Bilddarstellung im Teil 3). Hier sehen wir einen wichtigen Zusammenhang zwischen der weiteren Verarmung unserer Landschaft und damit unserer Gesundheit. Jetzt können wir viel anschaulicher und nachvollziehbarer in die Diskussion mit den Verantwortlichen gehen. Nochmals danke und weiter so. Wir sind hier an weiterem Austausch zum Thema interessiert : racanetz@gmail.com

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