NABU-Agrar-Blog: Unterirdische Biodiversität – fataler ‚Blind Spot‘ der europäischen Agrarpolitik!? (Teil 2)

17. August 2022. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU für den Förderzeitraum 2023 bis 2027 ist, bis auf letzte Stellschrauben, beschlossene Sache. Gemeinsam mit der europäischen und nationalen Pestizidpolitik bildet die GAP, abgesehen von dem in der Landwirtschaft bisher wirkungslosen nationalen Bodenschutzrecht, die Haupteinflusschance der Politik für den Schutz und die Regeneration der unterirdischen Biodiversität in der Agrarlandschaft. Diese Chance bleibt vorerst ungenutzt. Bis 2027 ist zu erwarten, dass die GAP weder den Pestizideintrag und den synthetischen Düngereintrag, noch die zunehmende Verdichtung oder die verarmte Durchwurzelung des Bodens in der Breite der landwirtschaftlichen Flächen zum Besseren verändern wird. Auch die Pestizidpolitik zeigt wenig Fortschritte. Es gibt jedoch Bewegungen in der landwirtschaftlichen Praxis, die die in unserem vorherigen Blogbeitrag dargelegten Probleme der Degeneration unserer Böden erkannt hat, und sich als oberste Prämisse die Regeneration des Bodens, genauer des Bodenlebens, auf die Fahnen geschrieben hat: die regenerative Landwirtschaft. 

Regeneration der unterirdischen Biodiversität in Agrarökosystemen – regenerative Landwirtschaft als Lösung

Mit regenerativer Bodennutzung versuchen Landwirt*innen, degradierte Bodenökosysteme zu regenerieren und darüber hinaus konsequent das Bodenökosystem zu stärken, um aktiven Bodenaufbau und Ernährungssicherung zu betreiben. Dieses Ziel wird mit biologischen, physikalischen und chemischen Methoden verfolgt, und geht mit einem stetig abnehmenden bzw. keinem Einsatz von synthetischen Düngemitteln oder Pestiziden einher.

Beispielsweise können in einem degradierten Bodenökosystem Verdichtungshorizonte mechanisch aufgelockert werden. Diese Auflockerung kann mit tiefwurzelnden Pflanzen stabilisiert werden. Diverse Pflanzengemeinschaften können die Rhizosphäre (wieder)beleben und die Mikrobiologie kann mit Nährstofflösungen (re)inkubiert werden. Der Bodenökosystemaufbau kann besonders mit Gräsern, Kräutern und Leguminosen in Kombination mit einer integrierten Tierhaltung beschleunigt werden. Die gängigen 5 Prinzipien der Regenerativen Landwirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Maximale Biodiversität im und über dem Boden (Bsp. Artenreiche Zwischenfrüchte)
  • Minimale Störung des Bodens (Bsp. Direktsaat)
  • Dauerhaft lebende Wurzeln im Boden (Bsp. Untersaaten)
  • Dauerhaft bedeckter Boden (Bsp. Flächenrotte)
  • Integration von Tieren oder organischen Düngemittel (Bsp. Mob Grazing von Zwischenfrüchten)

Grünland

Aufgrund der Andersartigkeit von Grünland, die in der Bodenforschung weitgehend vernachlässigt wird (ein Beispiel dessen ist die Dauer der wissenschaftlichen Anerkennung des so genannten “liquid carbon pathway), sollte dem Grünland ein besonderer Fokus zukommen. Dies gilt ebenso für die Integration von Beweidung in Ackerbaustrategien.

Die besonderen Leistungen des Grünlands sowie seine Erhaltung ist an seine Nutzung (Weidetiere oder Mahd) gebunden, da es in Co-Evolution mit Weidetieren entstanden ist. Grundsätzlich löst die Nutzung – durch den Biss auf der Weide und die Mahd auf der Wiese – einen Wachstumsimpuls aus und verstärkt so die Photosyntheseleistung. Deshalb unterscheiden sich die Wachstumsdynamiken von (Dauer-)Gräsern von denen anderer Pflanzen. Gräser wachsen aus der Basis und nicht aus dem Spross heraus. Die Wurzelbasis von Gräsern ist von entscheidender Bedeutung. Gräser entwickeln und erhalten dauerhaft den Großteil ihrer Biomasse unterirdisch. Außerdem ist die Qualität der Rhizosphäre von Graspflanzengemeinschaften besonders. Mit ihren Feinwurzeln und deren Exsudaten bieten Gräser einen äußerst effektiven Pfad zur Sequestrierung von flüssigem Kohlenstoff, der in Zusammenarbeit mit Mykorrhizapilzen unterirdisch stabilisiert werden kann. Ein Pfad, der mit zunehmender CO2-Konzentration in der Atmosphäre an besonderer Bedeutung gewinnt.

Mob Grazing von Ackerfrüchten in der ökolgischen Fruchtfolge auf dem Brandenburger Gut Temmen @Netzwerk Mob Grazing. Foto: Josefin Lehmann

Politische Weichenstellung

Der Schutz und die Regeneration der unterirdischen Biodiversität ist grundlegend und von höchster Priorität für viele Politikfelder. Eine transformative Kaskade u. a. für den Natur- und Klimaschutz sowie die Resilienzbildung der landwirtschaftlichen Produktion könnte von einer innovativen und intelligenten Novellierung des Bodenschutzgesetzes (im Koalitionsvertrag vorgesehen) ausgehen. Die Kaskade könnte außerdem von einer GAP ausgehen, die die Bodenfruchtbarkeit und damit die Vitalität der Bodenbiodiversität als ihr wichtigstes Themenfeld versteht. Zurzeit geht die Kaskade lediglich von Bewegungen unter Landwirt*innen wie der Konservierenden, Biologischen oder Regenerativen Landwirtschaft aus – mit begrenzter Reichweite.

Eine holistische Bodenpolitik mit transformativem Kaskadenpotential kann die Internalisierung von Externalitäten des Ernährungssystems und der Bioökonomie durch Bodenpolitik ermöglichen, kann das Vorsorge- und Verursacherprinzips in Bezug auf die Bodennutzung im Bodenschutzgesetz verankern und kann die degradierende Bodennutzung durch Ordnungsrecht bekämpfen sowie den Bodenschutz in die Sicherheits-, Sozial- und Gesundheitspolitik integrieren.

Der NABU fordert deshalb: 

  • Aufbau eines staatlichen Förder- und Regulierungsprogramms, das standort- und nutzungsspezifisch relative Veränderungen des organischen Kohlenstoffs (Corg) reguliert, relative Verbesserungen und den Erhalt optimaler Corg-Vorräte honoriert sowie langfristig Bodenbiodiversitätsindikatoren in die Überwachungs-, Berichts- und Verifizierungslösung mit einbezieht
  • Förderung von Schulung und Beratung von Landwirt*innen zur ökologischen und ökonomischen Resilienzförderung von Agrarökosystemen, durch das Vermitteln von Handlungsfähigkeit und -wissen für eine regenerative Bodennutzung
  • Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in Technologielösungen für Bodenanalyse und -nutzung, die die Handlungsautonomie und Selbstlernförderung von Landwirt*innen unterstützen
  • Investitionen in Grundlagenforschung zum besseren Verständnis der taxonomischen und funktionellen Bodenmikrobiologie

Dies ist ein Blogbeitrag der NABU-Experten Max Meister und Simon Krämer.

 

Der NABU-Agrar-Blog

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1 Kommentar

Martin

25.04.2023, 08:52

Danke Herr Krämer für die Gedanken;) Martin

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