Fitness-Check für die EU-Agrarpolitik

Anlässlich der großen jährlichen Konferenz des „Forum für die Zukunft der Landwirtschaft“ (FFA2016), das vom Europäischen Landbesitzerverband (ELO) und dem Agrarkonzern Syngenta getragen wird, haben der NABU, sein Dachverband BirdLife Europe und über 100 Verbände aus den Bereichen Umwelt, Gesundheits- und Verbraucherschutz, Ernährung und Tierschutz den Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, in einem gemeinsamen Brief dazu aufgefordert, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU einem „Fitness-Check“ zu unterziehen.

Die mitzeichnenden NGOs.

Die mitzeichnenden NGOs.

Zu den Referenten der FFA-Konferenz – die trotz der dramatischen Ereignisse in der nur wenige Gehminuten entfernten Metro-Station Maelbeek stattfand – zählten neben den Vertretern der Agrarverbände, der Agrarindustrie und großer, weltweit agierender Lebensmittelkonzerne auch Achim Steiner, der Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms (UNEP), José Graziano da Silva, Generaldirektor der Ernährungsorganisation der UN (FAO), EU-Agrarkommissar Phil Hogan, der Generaldirektor der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission, Daniel Calleja Crespo, Mitglieder des Europäischen Parlamentes, aber auch Vertreter von Umwelt- und Verbraucherorganisationen wie Ursula Hudson, Präsidentin von Slow Food Deutschland und Mitglied des Vorstandes von Slow Food International. Leitfrage war, wie die im September beschlossenen „Sustainability Development Goals“ (SDGs) in die aktuelle Agrarpolitik integriert werden können.

Hintergrund der Forderung der Verbände ist die Tatsache, dass die EU-Kommission im Rahmen des REFIT-Prozesses derzeit eine Reihe sogenannter „Fitness-Checks“ durchführt, die sich allerdings bisher vor allem auf den Abbau von Regeln im Umwelt- und Sozialbereich beziehen. So gilt der Fitness-Check der Naturschutzrichtlinien (NABU FAQs) als der bisher umfangreichste und längste Fitness-Check, den die EU-Kommission jemals durchgeführt hat – und das, obwohl die Kosten zur Umsetzung der Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat- (FFH-) Richtlinie nur einen Bruchteil der Kosten der EU-Agrarpolitik ausmachen. Die Kosten zur Umsetzung der Naturschutzrichtlinien werden auf etwa sechs Milliarden Euro jährlich geschätzt, das entspricht gerade einem Zehntel der derzeitigen Agrarsubventionen. Das EU-Förderprogramm LIFE umfasst jährlich etwa 300 Millionen Euro und somit nur 0,5 Prozent der Agrarsubventionen.

In ihrem offenen Brief an Kommissionspräsident Juncker beklagen der NABU und die anderen zeichnenden Verbände, dass die GAP trotz mehrfacher Reformversuche völlig ungeeignet sei, die riesigen Herausforderungen im Bereich Landwirtschaft, Ernährung, Klima- und Ressourcenschutz zu lösen. „Wir brauchen eine unvoreingenommene Diskussion und eine grundlegende Neuausrichtung der Agrarpolitik, keine weiteren kosmetischen Reförmchen“, fordert NABU-Präsident Olaf Tschimpke. Eine Reihe von Studien in den letzten Jahren habe gezeigt, dass die intensive Landwirtschaft ein wesentlicher Grund für den Rückgang der Artenvielfalt und die Belastung von Wasser und Boden in Europa ist. Auch die eigenen Untersuchungen der EU-Kommission, etwa der „State of Nature in the EU“-Bericht (Blogbeitrag dazu HIER) im Mai 2015 und die Halbzeitbewertung (Midterm Review) zur Erreichung der von den Staats- und Regierungschefs im März 2010 beschlossenen Biodiversitätsziele (Stop des Artensterbens und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme) vom Oktober 2015 haben dies eindrucksvoll bestätigt. Bis 2050 wird der Agrarsektor ein Drittel der Treibhausgase der EU ausstoßen. Hinzu kommt die dramatische wirtschaftliche Lage vieler bäuerlicher Betriebe, die Missstände im Tierschutz und die negativen Einflüsse auf Ökosysteme und Agrarmärkte in Entwicklungsländern.

Nach Ansicht von NABU-Präsident Olaf Tschimpke und den anderen Unterzeichnern ist es daher gerade angesichts wachsender EU-Skepsis in der Bevölkerung und der dramatischen ökologischen und sozialen Krise im ländlichen Raum höchste Zeit, Geldscheinedie gleichen Fragen wie an andere Rechtsakte der EU auch an die Gemeinsame Agrarpolitik zu stellen, die immer noch 40 Prozent des EU-Haushalts für sich beansprucht: Erfüllt sie noch ihren Zweck? Stehen Kosten und Nutzen für den Steuerzahler im richtigen Verhältnis? Trägt sie dazu bei, die internationalen Verpflichtungen der EU zu erfüllen? Wird sie vom Bürger akzeptiert? Besitzt sie einen echten Mehrwert?

2017 werden Vorschläge der EU-Kommission für den künftigen EU-Haushalt und die Agrarpolitik im  Zeitraum 2021-2027 erwartet. Dabei geht es um die Verteilung von insgesamt einer Billion Euro, wovon bisher immer noch 40 Prozent (derzeit etwa 53 Milliarden Euro jährlich) in den Agrarsektor fließen.

Hinweis: eine für heute (23. März) geplante Konferenz von BirdLife Europe und EEB „Lets´ unCAP the truth about EU farming policy“ in Kooperation mit der EVP-Fraktion wurde, wie die meisten für heute im EP geplanten Veranstaltungen, gecancelt. Nähere Informationen zu aktuellen Sicherheitsmaßnahmen im EP HIER.

 

3 Kommentare

Renate

26.04.2016, 22:18

weil ich hier die hunderter im foto sehe... und unser 500 er wird gerade eingestampft :-( schöner Artkel

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Glasbilder

26.08.2016, 20:59

Sehr interessanter Artikel. Hoffe Sie veröffentlichen in regelmäßigen Abständen solche Artikel dann haben Sie eine Stammleserin gewonnen.Vielen Dank für die tollen Informationen. Gruß Anna

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Claus Mayr

01.09.2016, 11:19

Sehr geehrte Anna, herzlichen Dank für das Lob! Meine Kolleginnen und Kollegen und ich bemühen uns, in diesem blog zeitnah über die Ereignisse in Brüssel zu berichten. In der parlamentarischen Sommerpause war es naturgemäß etwas ruhiger, das Europäische Parlament hat am Montag (29.8.) seine Arbeit wieder aufgenommen. In den nächsten Wochen können wir daher sicher neus zur Naturschutz- und Agrarpolitik berichten. Zudem darf ich Sie auf meine monatliche Kolumne "Bericht aus Brüssel" in der Zeitschrift "Naturschutz und Landschaftsplanung" hinweisen. Im September-Heft, das gerade erschienen ist, berichte ich über einige der für den Naturschutz relevanten Folgen des Brexit, etwa die Verschiebung der EU-Ratspräsidentschaften und das Aufgabengebiet des neuen britischen EU-Kommissars: http://www.nul-online.de/ (einfach links oben auf das aktuelle Heft klicken) Beste Grüße, Claus Mayr

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