EU-Biodiversitätsstrategie: auch Europaparlament gibt grünes Licht und verlangt Nachschärfungen

Europaparlament, Straßburg. Foto: Udo Pohlmann, Pixabay

Europaparlament bezieht Stellung

Vor rund einem Jahr hatte die EU-Kommission ihre EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030 veröffentlicht (siehe zum Inhalt unseren Naturschätze.Retten-Blog). Der Umweltrat als einer der Ko-Gesetzgeber gab sein grünes Licht zu dieser Kommissions-Mitteilung noch unter deutscher Ratspräsidentschaft im Oktober 2020. Dabei begrüßte er die Blaupause des EU-Umweltkommissars Sinkevicius vollumfänglich, ohne allzutief in Details einzusteigen. Mit dem heute bekannt gegebenen Ergebnis der gestrigen Abstimmungen des Europaparlaments hat nun auch der zweite Ko-Gesetzgeber der EU sein grünes Licht für den von der EU-Kommission geplanten Biodiversitätsschutz erteilt.

  • Berichterstatter dieses (unverbindlichen) Initiativberichts ist der spanische Abgeordnete César Luena. Zunächst mussten Querschüsse vom Agrarausschuss abgewehrt werden, denn dieser beanspruchte – in der Form einzigartig – ausschließliche Kompetenz für viele der in der Biodiversitätsstrategie (mit gutem Grund) geregelten Fragen. Gemeinsam mit den Schattenberichterstattern wurden sodann im federführenden Umweltausschuss Kompromissvorschläge erarbeitet. Insgesamt stimmten die Abgeordneten dort Ende Mai für einen ausgewogenen Bericht, der diverse Konkretisierungen von der EU-Kommission verlangt.
  • MEP Delara Burkhardt in der Plenardebatte am 7. Juni 2021 zur EU-Biodiversitätsstrategie. Foto: Screenshot R. Weyland.

    Am späteren Montagabend debattierte das erstmals wieder (teilweise) in Straßburg tagende Plenum sodann über den Bericht. Insgesamt fanden sich dabei fraktionsübergreifend zahlreiche Abgeordnete, die auf die Dringlichkeit der Biodiversitätskrise hinwiesen und verbindliches Handeln von der EU einforderten. Einen anschaulichen Beitrag lieferte beispielsweise die Abgeordnete Delara Burkhardt. Ihre Rede leitete sie mit der Präsentation eines Bildes vom Goldregenpfeifer ein: dass man diese Vogelart kaum noch kenne liege auch daran, dass sie kaum noch Bruterfolge in Deutschland verzeichne.

  • Insgesamt ist der Bericht eine Aufforderung des Parlaments an die EU-Kommission, bei der Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie die von den Abgeordneten erarbeiteten Konkretisierungen zu beachten. Dies gilt unter anderem für die noch näher zu definierenden Kriterien für Schutzgebiete beziehungsweise deren Umsetzung, für die Erarbeitung der für Juli vorgesehenen EU-Waldstrategie, oder für die für Ende des Jahres angekündigten verbindlichen EU-Renaturierungsziele. Inwieweit die EU-Kommission den ambitionierten Appellen folgt, hängt sicher auch mit davon ab, ob die Abgeordneten weiter Druck machen.

 

Ambitionierte Forderungen

Genau wie die EU-Biodiversitätsstrategie selbst enthält natürlich auch der Bericht des Europaparlaments Ausführungen den zahlreichen verschiedenen Instrumenten und Verpflichtungen. Besonders hervorheben möchte ich hier die auch schon anderswo als „Gamechanger“ bezeichneten Aspekte:

  • Schutzgebiete: das Parlament spricht sich (in Ziffer 15 des Berichts) nachdrücklich für die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Ziele aus, mindestens 30% der Meeres- und Landesgebiete zu schützen, 10% der Fläche streng. Diese Ziele sollen nach Auffassung des Parlaments verbindlich werden und von den Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene umgesetzt werden.
    Derzeit arbeitet die EU-Kommission, gemeinsam mit Mitgliedstaaten und Interessensvertretern, nur an einem unverbindlichen Leitfaden mit Kriterien für die Schutzgebietsziele. Mitgliedstaaten sollen mitteilen, wieviel Fläche sie schützen („pledging“). Die EU-Kommission hat in der EU-Strategie angekündigt, erst nach einigen Jahren zu prüfen, ob es eine gesetzliche Steuerung braucht, um das Ziel zu erreichen. Ob die EU-Kommission nun schneller auf eine verbindliche Steuerung umsteigt ist aus meiner Sicht allerdings fraglich.
  • Renaturierung: das Parlament  begrüßt (in Ziffer 36f.) die Ankündigung eines Legislativvorschlags zur Renaturierung, fordert die EU-Kommission aber auf, hier mindestens 30% der EU-Land- un Meerfläche zu renaturieren, und bezieht sich auf die relevanten Ökosysteme.
    Die Parlamentsforderung ist insofern überzeugend, als sie das gut messbare Flächenziel übernimmt, welches auch von Umweltverbänden gefordert wird. In der Summe geht das Parlament über die Forderung der Verbände (15%) hinaus. Es schickt damit einen klaren Appell an die EU-Kommission, jedenfalls nicht nur auf Ökosysteme innerhalb von Natura 2000 zu schauen, und sich auch nicht mit einem Minimal-Ziel etwa in Höhe von 5% zufrieden zu geben. Ebenfalls eingefordert wird das messbare Fluss-Renaturierungsziel. Die Forderung kommt im rechten Moment, denn derzeit entwirft die EU-Kommission die Gesetzgebung. Die Gesetzesfolgenabschätzung soll im Sommer eingeleitet werden.
  • Wälder: das Parlament hält es (in Ziffer 33ff.) für dringend, alle verbleibenden Primärwälder zu schützen, auch vor illegalem Holzeinschlag.
    Diese Forderung hat dem Lobbydruck standgehalten. Sie ist deswegen wichtig, weil die EU-Kommission (vermutlich) im Juli mit ihrer Waldstrategie herauskommt. Klar ist, dass ein Schwerpunkt hier nun auch aus Sicht des Parlaments auf dem Schutz von Biodiversität und Klima liegen muss, und nicht auf angeblich nachhaltiger Nutzung.
  • Landwirtschaft: das Parlament betont (in Ziffer 52) außerdem seine Unterstützung für die Vorgabe der EU-Biodiversitätsstrategie, mindestens 10% des Agrarlandes als artenreiche Landschaftselemente auszugestalten, und verlangt hierfür, dass dies auf der geeigneten (regionalen) Ebene zu erfolgen hat und am besten in EU-Gesetzgebung festgeschrieben wird.
    Dieser Passus bezieht sich auf unserer wichtige „Space 4 Nature“-Forderung. Versuche, ihn durch Prüfvorbehalt abzuschwächen oder zu Gunsten von Lebensmittelsicherheit aufzugeben, scheiterten. Auch hier wird es allerdings nun auf die EU-Kommission ankommen, eine Auflistung von den Mitgliedstaaten zu verlangen, um zu sehen, ob die Summe aus Konditionalitäten und Ökoregelungen ausreicht, und notfalls Nachforderungen zu erheben.
  • Wirksamkeit: Daneben finden sich zahlreiche Forderungen, etwa zum ausreichenden Personal für Vertragsverletzungsverfahren. Und schließlich fordern die Parlamentarier (in Ziffer 141) ein verbindliches EU-Biodiversitätsgesetz, dass die einzelnen Maßnahmen bündelt und vor allem ein ein Monitoring anhand effektiver Indikatoren einführt.
    Diese Forderung ist weitreichend, und knüpft an das verbindliche „Governance-Framework“ an, welches in der EU-Biodiversitätsstrategie angekündigt wird. Alledings wollen die Parlamentarier nicht bis 2024 warten, sondern fordern den Legislativvorschlag schon 2022 ein. Ob sie hier weiter Druck machen und die EU-Kommission zu einem Kompromiss bewegen, bleibt abzuwarten.

 

Verwässerung gescheitert

Verschiedene Änderungsanträge versuchten, den Bericht noch in der Plenarwoche abzuschwächen. Diese Versuche sind aber überwiegend gescheitert:

  • Obwohl der zur Plenarsitzung zur Abstimmung gestellte Text bereits ein Kompromiss der verschiedenen Fraktionen im Umweltausschuss darstellte, reichten vor allem Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (also der Familie der CDU/CSU – diese unterstützten die Änderungsanträge vielfach) und im Namen des Agrarausschusses der deutsche CDU-Abgeordnete Norbert Lins Änderungsanträge für die Plenarabstimmung ein. Diese zielten regelmäßig auf ein Abschwächen der Forderung nach Verbindlichkeit. Gerade auch im Zusammenhang mit dem Treiber Land- und Forstwirtschaft sollten außerdem die Nutzung, nicht der Schutz, betont werden.
  • Abstimmungsverhalten der deutschen MEPs zu einem Änderungsantrag. Quelle: Europagruppe der Grünen: https://twitter.com/Gruene_Europa/status/1402319190812409865.

    Einige der Änderungsanträge fanden eine Mehrheit, ohne allerdings den Bericht als solchen abzuschwächen. Die meisten kritischen Änderungsanträge fanden zum Glück schon keine Mehrheit. Bedenklich ist aber trotzem, dass die deutschen CDU/CSU- und FDP-Abgeordneten in der Regel geschlossen für die Verwässerungen stimmten. Die FDP-Abgeordneten weichen damit von der überwiegenden Linie der übrigen Abgeordneten der Fraktion der Liberalen (Renew) ab. Bei den CDU-/CSU-Abgeordneten fanden sich in anderen Mitgliedstaaten zumindest einzelne Kämpfer*innen für die Biodiversität, nicht so aber in Deutschland. Dies ist schade, denn der Biodiversitätsverlust kommt uns alle teuer zu stehen, auch die Land- und Forstwirtschaft.

  • Insgesamt konnte festgestellt werden, dass der Bericht als solcher vor allem von den Fraktionen der europäischen Grünen (Greens/EFA) und Linken (GUE/NGL) sowie ganz überwiegend auch den Sozialdemokraten (S+D) getragen wurde. Ebenfalls unterstützt wurde er von einem guten Teil der Liberalen (Renew; allerdings ohne die deutschen FDP-Abgeordneten/Freien Wähler), weswegen eine Mehrheit erreicht werden konnte. Verwässerungen versuchten nahezu geschlossen (mit einzelnen Widerständler*innen) die Konservativen (EVP), ebenso die Rechtskonservativen (ECR). Selbst bei der finalen Gesamtabstimmung stimmten immer noch 90 Abgeordnete gegen den Bericht (hierzu zählen auch die CSU-Abgeordnete Niebler und die FDP/Renew-Abgeordneten Beer, Glück, Hahn, Müller), 86 enthielten sich. Die Mehrheit von 515 war indes bei der finalen Abstimmung stabil.

 

Fazit

Klar handelt es sich nur um eine unverbindliche Positionierung. Diese ist aber als Zeichen an die EU-Kommission wichtig, und auch um das Parlament bei späteren Gesetzgebungsverfahren zu den Folgemaßnahmen an die eingenommene Position zu erinnern. Die Abstimmung bestätigte die herrschenden Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Progressive Mehrheiten für die Natur und Umwelt sind dort möglich, erfordern aber das Zusammenspielen von verschiedenen Fraktionen (in dem Fall die oben genannten). Wünschenswert wäre, dass sich zukünftig auch deutsche CDU/CSU- und FDP-Abgeordnete dem Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise auf EU-Ebene anschlössen.

Raphael Weyland
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1 Kommentar

Robbi Reisewitz

10.06.2021, 07:59

Danke für den detailreichen und differenzierten Bericht. Ich finde es ermutigend, dass das Parlament hier so viel weiter ist als die EU-Verwaltungen. Besonders die deutschen Vertreter im EU-Agrarausschuss haben in den vergangenen Jahren keine tolle performance geliefert. Da ist sicherlich noch Luft nach oben.

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