Wie wird der Schutz von 30 Prozent der Fläche in Deutschland umgesetzt?
Um die Biodiversität zu schützen, sollen 30 Prozent der Landesfläche bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Das sieht die EU-Biodiversitätsstrategie vor. Dafür müssen die Mitgliedsstaaten bis zum 28. Februar 2023 geeignete Flächen melden. Deutschland hat diese Frist leider verstreichen lassen, wie viele andere Mitgliedsstaaten. Betrachtet man Deutschlands Schutzgebietskulisse ist diese noch weit hinter den Zielen der EU-Strategie.
Schutzgebietsziele der EU-Biodiversitätsstrategie
2021 veröffentlichte die EU die neue EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030. Darin schreibt sie ehrgeizige, aber auch dringend notwendige Ziele zum Erhalt und der Verbesserung der Biodiversität in der EU fest. Eine der vier Säulen stellt der Schutz der Natur dar, oder genauer gesagt: die Schutzgebiete. 30 Prozent der Landes- und Meeresfläche der EU sollen unter rechtlich verbindlichen Schutz gestellt werden. Von diesen Flächen soll für 10 Prozent, also ein Drittel der 30 Prozent, strikter Schutz gelten. Um das auf den für die Biodiversität wichtigen Standorten zu gewährleisten, sollen bisher nicht geschützte Altwälder sowie kohlenstoffreiche Ökosysteme wie Moore, Grünland, Feuchtgebiete und Seegraswiesen in das transeuropäische Netz von Schutzgebieten aufgenommen werden, wenn sie nicht bereits unter Schutz stehen.
Diese Gebiete sollen allerdings nicht als Inseln bestehen, sondern in einem Netzwerk, das Austausch und Wanderung von ganzen Lebensräumen und allen Lebewesen möglich macht. Solche Wanderbewegungen werden durch Auswirkungen des Klimawandel wie die Veränderung des Lokalklimas oder den Anstieg des Meeresspiegels leider immer häufiger nötig sein. So wird auch der genetische Austausch ermöglicht, wodurch die Resilienz der Ökosysteme zunimmt.
Die erste Säule der EU-Biodiversitätsstrategie ist damit eine Ergänzung und Erweiterung des bestehenden transeuropäischen Schutzgebietsnetzwerkes Natura 2000. Das neue Netzwerk von Schutzgebieten enthält neben Natura-2000-Gebieten auch national geschützte Schutzgebietskategorien und andere Maßnahmen, die den langfristigen und effektiven Schutz von fest definierten Gebieten mit einbeziehen. Aber nicht nur die Fläche der Schutzgebiete soll sich EU-weit auf 30 Prozent erhöhen, auch deren effektiver Schutz soll gewährleistet sein. Dazu notwendig: klare Ziele für alle Flächen, hiervon abgeleitete Maßnahmen und die regelmäßige Überprüfung, ob die festgelegten Ziele eingehalten werden.
Welche Voraussetzungen müssen alle Flächen laut EU-Biodiversitätsstrategie erfüllen, welche zusätzlichen die strikt geschützten Gebiete?
Alle Gebiete brauchen klare Erhaltungsziele und -Maßnahmen, Managementpläne sowie Überwachungs- und Überprüfungsmechanismen. Diese sollen sich an die für Natura 2000 entwickelten Abläufe anlehnen. Außerdem muss der Schutz auf allen Flächen langfristig, flächenscharf und rechtlich bindend sein. Es müssen spezifische Schutzgüter festgelegt sein sowie Ziele und Maßnahmen zur Erhaltung dieser, die regelmäßig überprüft werden. Es muss eindeutig bestimmte Verwaltungsorgane geben, die sich darum kümmern, dass ein wirksames Management umgesetzt und ein angemessenes Monitoring durchgeführt wird.
In strikt geschützten Gebieten braucht es zusätzlich für den erhöhten Schutzanspruch eine vollständige und rechtliche Sicherung der Schutzgüter. Hierbei geht es vor allem um die Erhaltung und/oder Wiederherstellung der Integrität von Naturgebieten mit großer biologischer Vielfalt, deren ökologische Struktur und natürliche Umweltprozesse. In diesen Gebieten sollen natürliche Prozesse im Wesentlichen ungestört bleiben. Viele streng geschützte Gebiete wandeln sich zu Nicht-Interventionsgebieten. Sie können allerdings auch Gebiete sein, in denen ein aktives Management natürliche Prozesse aufrechterhält, verbessert oder initiiert.
Wo stehen wir in Deutschland?
Insgesamt haben etwa 37 Prozent der Fläche einen Schutzstatus. Nur wenige der Gebiete schützen aber tatsächlich die Biodiversität, die Arten, den Lebensraum und das Ökosystem. In Landschaftsschutzgebieten ist es beispielsweise besonders schwierig neue Baugebiete auszuweisen, aber nicht unmöglich. Selbst in Naturschutzgebieten und den zuvor erwähnten Natura-2000-Gebieten darf an vielen Stellen normale Land- und Forstwirtschaft betrieben werden.
Deutschland hält schon die Vorgaben zu Natura-2000-Gebieten nicht ein und es laufen dazu bereits zwei Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland. Natura-2000-Gebiete sind unzureichend rechtlich gesichert, die Erhaltungsziele sind nicht klar definiert und dementsprechend auch die Maßnahmen zum Erhalt nicht ausreichend geplant. Außerdem verliert Deutschland artenreiches Grünland durch intensive landwirtschaftliche Nutzung, welches unter dem Schutz von Natura 2000 stehen sollte.
Deutschland verfolgt auch eigene Ziele, die grundsätzlich gute Synergien mit den Zielen der EU aufzeigen. So hatte sich Deutschland in seiner letzten Nationalen Biodiversitätsstrategie vorgenommen, zwei Prozent der Fläche Deutschlands als Wildnisgebiete auszuweisen. Wildnisgebiete sind große, weitgehend unzerschnittene Gebiete, in denen natürliche Prozesse weitgehend ungestört ablaufen können. Doch auch dieses Ziel ist bei Weitem noch nicht erreicht: Aktuell sind nur etwa 0,6 Prozent der Fläche Wildnisgebiete.
Was sind die aktuellen Pläne?
Deutschland wird sein Versäumnis hoffentlich bald nachholen und geeignete Flächen wie auch einen Plan für die Verbesserung der Wirksamkeit dieser an die EU-Kommission abgeben. Die Meldung von Natura-2000-Gebieten wird allerdings von der Europäischen Kommission vorgeschrieben. Diese decken in Deutschland bereits eine Fläche von etwa 15,5 Prozent ab.
Wo liegen Risiken?
Die Ambitionen sind hoch, die Zeit ist kurz, es geht um viel. Die herrschende Naturkrise muss mit der Klimakrise mit höchster Priorität angegangen werden. Die EU hat mit der Biodiversitätsstrategie für 2030 einen guten Fahrplan aufgeschrieben. Jetzt geht es darum, dass Deutschland diese Strategie genauso ambitioniert umsetzt und vor allem in diesem Zuge auch Fehler aus der Vergangenheit verbessert und nicht wiederholt. Besonders die Effektivität aller Schutzgebiete, die in das Netzwerk aufgenommen werden, muss sich erhöhen.
Was fordern wir?
Jetzt ist zu hoffen, dass Deutschland möglichst bald sein Versäumnis nachholt, geeignete Flächen identifiziert und klar kommuniziert wie innerhalb dieser Flächen die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie erreicht werden sollen. Wenn die Verzögerung Deutschlands am Ende zur qualitativen Verbesserung der Gebiete innerhalb des Netzwerks führt, wäre es insgesamt ein großer Schritt. Wir werden die Meldungen genau verfolgen und uns für eine Verbesserung der Qualität in der Kulisse einsetzten – genau wie für eine ausreichende und schnelle Meldung von Flächen, um die 30 Prozent wie auch zehn Prozent zu erfüllen.
Wir brauchen auf allen Flächen, die auf die EU-Strategie einzahlen sollen, klare Erhaltungs- und Weiterentwicklungsziele, eine eindeutig definierte Verwaltung mit ausreichenden personellen und finanziellen Mitteln und ein einheitliches Monitoring, das die Zielerreichung der festgeschriebenen Ziele überprüft. Auf dessen Basis muss eine effektive und gebietsangepasste Planung von Managementmaßnahmen ermöglicht werden, die aktiv oder passiv auf die Erreichung der Ziele hinarbeitet und regelmäßig auf ihre Effektivität geprüft wird.
Bei der Auswahl der Flächen muss also höchsten Wert daraufgelegt werden, dass die Voraussetzungen für den langfristigen Schutz der biologischen Vielfalt geschaffen werden. Dazu ist es auch von zentraler Bedeutung, ein echtes Netzwerk aufzubauen, also auch Trittsteine und Korridore zu schaffen, damit ein Austausch zwischen den Gebieten möglich ist.
Mehr über die NABU-Position zu dem Thema lesen Sie hier.
1 Kommentar
Martin Knörzer
06.03.2023, 12:08Richtig, es muss ein großzügiges Netzwerk an Schutzgebieten ausgewiesen werden, um den Verlust der Artenvielfalt zu verringern bzw. zu stoppen. der Naturschutz in Landschaftsschutzgebieten reicht dafür nicht. Vor allem die Veränderungen in der Landwirtschaft sind problematisch, da z.B. immer öfter die Milchkühe im Stall bleiben und die ehemaligen Weideflächen zu oft gemähten Gras-Monokulturen werden. Vorher verschwinden die Weidenzäune mit ihren blumenreichen Säumen. Und was stehenbleibt wird leider viel zu oft als "Wege-Sicherheitsstreifen" von den Kommunen gemäht. Der NABU-NRW sollte darauf drängen, dass die Kommunen verpflichtet werden, ihren Beitrag zum Natura 2000-Netzwerk zu leisten. Mit leistungsfähigen Umweltbehörden.
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