Staffelstabübergabe: Ratspräsidentschaft beginnt

 

Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission. Foto: Europäische Union 2016.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Deutschland muss grundlegende Transformation anstoßen, um Klima- und Biodiversitätskrise vorzubeugen!

Am heutigen 1. Juli hat Deutschland den Staffelstab von Kroatien übernommen. Die verschiedenen Minister*innen werden nun für sechs Monate den Vorsitz in ihren jeweiligen Ratsformationen innehaben. In dieser Zeit kann die Bundesregierung politische Akzente setzen, konkrete Initiativen starten, und entsprechend auf Initiativen der EU-Kommission reagieren. Gleichzeitig stehen wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene an, beispielsweise über den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und Wiederaufbaufonds, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) oder das Klimaschutzziel der EU.

I. Forderungen des NABU und anderer Umweltverbände

Cover der EEB-Forderungen an die deutsche Ratspräsidentschaft

Der NABU hatte die Bundesregierung daher schon im Vorfeld aufgefordert, diese Zeit zu nutzen, um wichtige Weichenstellungen zu treffen. Die Debatte um die COVID19-Wiederaufbauprogramme muss insgesamt mit dem Ziel geführt werden, gegen die Klimakatastrophe und den Biodiversitätskollaps anzugehen. Am 9. Juni hatten wir hierzu beispielsweise mit unserem Dachverband DNR und dessen Mitgliedsorganisationen ein Papier mit 13 Fachforderungen vorgestellt (siehe hier). Kurz darauf veröffentlichte der NABU seine übergreifenden Kurzforderungen an die Bundesregierung (diese sind hier verlinkt). Und unser Brüsseler Dachverband EEB, das Europäische Umweltbüro, veröffentlichte Forderungen an die Deutsche Ratspräsidentschaft (hier zu finden, auf Englisch).

Die NABU-Kurzforderungen verlangen folgende Schwerpunktsetzung:

  • Ambitioniertes, nachhaltiges und partizipatives Gesamtprogramm der Bundesregierung
  • European Green Deal als inhaltliche Klammer für das gesamte Regierungsprogramm
  • Alle Corona-Erholungsmaßnahmen an Umwelt- und Klimakriterien ausrichten
  • EU-Haushalt (MFR) als Transformationsinstrument begreifen
  • Ambitioniert und transformativ in den einzelnen Politikbereichen voranschreiten

 

II. Das offizielle Programm der Bundesregierung

Präsentation des Möbius-Band-Logos, Copyright: Bundesregierung, Foto: Denzel

Deutschland hat als Logo für die Ratspräsidentschaft das „Möbius-Band“ gewählt, und als übergeordnetes Motto den Slogan „Gemeinsam Europa wieder stark machen“ (siehe die allgemeine Homepage der Bundesregierung für die Ratspräsidentschaft, auf der sich auch ein „Veranstaltungskalender“ findet). Das eigentliche Programm, das am 30. Juni (hier) veröffentlicht wurde, enthält aus NABU-Sicht indes zwar viele akzeptable Punkte. Gleichwohl finden sich im Detail Schwächen, etwa zum Klimaschutzgesetz bzw. den Klimaschutzzielen für 2030. Größtes Manko ist aber, dass das Arbeitsprogramm einem bunten Potpourri gleicht, und jede Minister*in ihre eigenen Forderungen verwirklichen kann. Es erfolgte gerade keine Schwerpunktsetzung auf beispielsweise das Voranbringen des European Green Deals, oder aber auf eine Grüne Erholung nach der Corona-Krise. Echte Politikkohärenz und ambitionierter Umweltschutz sind also nicht gewährleistet, Klimaschutz wird nur als ein Punkt von vielen genannt.

Insgesamt gleichen die Kapitel im Regierungsprogramm dann auch den eh schon bekannten „Strategischen Leitlinien“ des Europäischen Rates. Das Regierungsprogramm gliedert sich wie folgt:

  • Europas Antwort auf die Corona-Pandemie
  • Ein stärkeres udn innovativeres Europa
  • Ein gerechtes Europa
  • Ein nachhaltiges Europa
  • Ein Europa der Sicherheit und gemeinsamen Werte
  • Eine handlungsfähige EU für eine internationale Ordnung

 

III. Worauf es nun ankommt

Der Erfolg der Ratspräsidentschaft hängt von verschiedenen Punkten ab. Das breite Programm der Bundesregierung eröffnet dabei genügend Möglichkeiten, ambitioniert voranzuschreiten. Ob diese genutzt werden bleibt abzuwarten.

 

a) Nicht hinter neutraler Maklerrolle verstecken

Zunächst ist aus NABU-Sicht wichtig, dass sich Deutschland nun nicht hinter einer sogenannten „neutralen Maklerrrolle“ versteckt. Deutschland hat viele Möglichkeiten, ambitionierte Beschlüsse der Mitgliedstaaten in den verschiedenen Ratsformationen der Europäischen Union herbeizuführen. Hierzu gehört, ambitionierte Entwürfe für Beschlüsse vorzulegen, sodann durch eine entsprechende Schwerpunktsetzung wichtige „Gamechanger“ voranzubringen, und schließlich durch geschickte Diplomatie die Fäden zusammenzuführen. Die jetzt zu treffenden Entscheidungen beispielsweise über das 2030-Klimaschutzziel oder die Biodiversitätsstrategie sind wichtig, denn sie wirken in das kommende Jahrzehnt hinein. Die Klimakatastrophe und der Biodiversitätskollaps erlauben es nicht, durch bloße neutrale Vermittlung diese Entscheidungen aufs Spiel zu setzen.

 

NABU-Präsident Krüger übergibt „Green Recovery“-Unterschriften an Bundesumweltministerin Schulze, 1.7.2020. Foto: Henning Koestler

b) Mehr Umweltambition für den EU-Haushalt

Von übegreifender Bedeutung ist der EU-Haushalt: Auch wenn der eigentliche Beschluss über den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) und den Wiederaufbaufonds technisch nichts mit der Ratspräsidentschaft zu tun hat, da er im Europäischen Rat verhandelt wird (und diesem sitzt Ratspräsident Charles Michel vor): die Verhandlungen fallen in die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft, vorbereitende Gespräche werden in allgemeinen Ratsformationen geführt, und Deutschland hat als Nettozahler (und Profiteur vom Binnenmarkt) eine gewichtige Stimme. Daher fordert der NABU von der Bundersregierung, den MFR als Transformationsinstrument zu begreifen und endlich einen größeren Einsatz für Naturschutzfinanzierung sowie insgesamt den Abbau umwelt- und klimaschädlicher Subventionen zu zeigen. Hierzu hat der NABU heute mit dem WWF zum Auftakt der Ratspräsidentschaft der Bundesregierung, vertreten durch die Umweltministerin, übrigens Unterschriften vor dem Kanzleramt übergeben.

 

c) Einzelne Dossiers ambitioniert vorantreiben

Die Arbeitsebenen der Ministerien müssen sich aus NABU-Sicht sodann um ambitionierte Beschlüsse in denen von ihnen bearbeiteten „Dossiers“ bemühen. Hierzu zählen sicherlich die Ratsschlussfolgerungen zur EU-Biodiversitätsstrategie (siehe zu dieser den ausführlichen Naturschätze.Retten-Blog), welche der von Svenja Schulze dirigierte Umweltrat vollumfänglich begrüßen muss (vorgesehen für den Umweltrat im Oktober). Gleiches gilt für die Farm-to-Fork-Strategie – auch hier kann sich die EU es nicht erlauben, einzelne Ziele in Frage zu stellen, sondern muss auf schnelle, verbindliche und ambitionierte Umsetzung in den Mitgliedstaaten drängen (eventuell auf der Agenda des November-Agrarrates). Ein weiterer Schwerpunkt findet sich in den anstehenden Klimaschutz-Beschlüssen zu den NDCs und dem EU-Klimaschutzgesetz (vorgesehen für den Umweltrat im Oktober, aber möglicherweise Verschiebung auf den Umweltrat im Dezember). Ebenfalls auf der Agenda finden sich eine generelle Ausrichtung zur GAP (angestrebt im Agrarrat bis Oktober). Daneben warten Ratsschlussfolgerungen zum Aktionsplan Kreislaufwirtschaft (Umweltrat im Dezember) und auch zur Offshore-Windenergie-Strategie, und viele andere umweltrelevante Themen. Es ist also eine Menge Arbeit auf den Tagesordnungen. Abzuwarten bleibt, welche Einschränkungen weiterhin durch die Corona-Pandemie erfolgen, denn das Pensum in virtuellen Treffen ist automatisch geringer als in Treffen, bei denen die Minister*innen und Beamte einen echten und bilateralen Austausch pflegen können.

 

4) Keine Querschüsse sondern volle Politikkohärenz und übergreifenden Umweltschutz

Wichtig ist aus NABU-Sicht abschließend vor allem auch die Einbindung der Verbände und volle Transparenz. Was nicht akzeptabel ist sind Blockaden einzelner  Ministerien, die kohärente Entscheidungen pro Umweltschutz verhindern. Zum Auftakt der Ratspräsidentschaft  mussten wir eine solche Blockade leider durch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner erleben. Im REACH-Ausschuss (zwar keine eigene Ratsformation, aber ein „Komitologie-Ausschuss“ der einem ähnlichen Procedere unterliegt) ging es um einen Kompromissvorschlag der EU-Kommission für ein Verbot von bleihaltiger Jagdmunition. Mit fadenscheinigen Argumenten blockierte das Landwirtschaftsministerium die Zustimmung des Umweltministeriums zu dem Verbot, und das obwohl in vielen Bundesländern der Einsatz von Blei-Schrot eh verboten ist (siehe beispielsweise diesen Bericht). Wenn die Bundesumweltministerin nun plant, der EU-Biodiversitätsstrategie ihre generelle Zustimmung zu erteilen, darf dies also nicht durch Frau Klöckner unterlaufen werden. Gleiches gilt für Ziele der Farm-to-Fork-Strategie, die federführend (anders als bei der EU-Kommission, in der explizit nicht der Agrarkommissar zuständig ist) im Agrarrat liegt, aber Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie aufgreift: auch hier muss seitens der Mitgliedstaaten eine starke Unterstützung beispielsweise für die vorgeschlagene Pestizidreduktion erfolgen. Wie genau die Ressortabstimmung beziehungsweise die Positionierung der Bundesregierung und auch der Aufschlag für Ratsschlussfolgerungen in den jeweiligen Ausschüssen erfolgt bleibt also spannend!

 

 

 

 

 

 

Raphael Weyland
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