Informeller Agrarrat in Tallinn

Informeller Agrarrat in Tallinn

Die Diskussion um die Zukunft der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) nimmt weiter Fahrt auf und wird derzeit in Tallin geführt, da dort im Rahmen der estnischen EU-Ratspräsidentschaft das nächste Treffen der Agrarminister aller EU-Mitgliedsstaaten stattfindet. Anfang September, kurz vor dem Beginn dieses sog. informellen Agrarrates, fand ebenfalls in Tallinn eine NGO-Konferenz zu den Anforderungen an eine nachhaltigere EU-Agrarpolitik statt. Referenten und Teilnehmer aus ganz Europa diskutierten über die Probleme des gegenwärtigen Systems für Landwirte, Natur und Verbraucher und tauschten Vorschläge für eine nachhaltigere Gestaltung dieser finanziell aufwändigen EU-Förderpolitik aus.

„Es gibt zwei wichtige Fragen in der Welt: Woher kommt der Nebel und wohin geht das Geld?“

– wie passend zu einer undurchsichtigen, wenig nachhaltigen und teuren EU-Politik schien doch das estnisches Sprichwort mit welchem Kärt Vaarmari, Vorstandsmitglied des Estonian Fund for Nature, die Konferenz eröffnete. Die Vertreter verschiedener Interessensgruppen, ob nun Landwirte oder Naturschützer, stellten der gegenwärtigen GAP kein gutes Zeugnis aus und betonten den dringenden Reformbedarf. In einem offenen Brief an die Teilnehmer des informellen Agrarrates begründen Sie ihre Forderungen nach einer grundlegenden Änderung der GAP.

Conference „CAP 2020. Towards Sustainable Agriculture“ / Photo: ELF

Während der Tagung kamen mehrfach die für die Ostseeregion problematisch hohen Nitrat- und Phosphateinträge, die durch die Intensivierung in der Landwirtschaft zu Algenwachstum und sauerfreien „Todeszonen“ führen, zur Sprache. Zudem ist die Hälfte der Gewässer in Estland nicht in einem guten ökologischen Zustand im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Eine Sensibilisierung der Landwirte für eine effizientere Düngung ist also dringend erforderlich, wird jedoch durch die gegenwärtige GAP nicht erreicht.

Auch aus Sicht der kleineren Familienbetriebe ist die GAP wenig effizient, denn nur 5% der Direktzahlungen gehen an 75% der estnischen Landwirte. Kaul Nurm, der Vertreter der Estonian Farmers Federation (ETKL) sieht es als Ergebnis der GAP an, dass immer mehr kleine Betriebe aufgrund von überbordender Bürokratie und den Direktzahlungen aufgeben müssen.

Präsentationen von WWF, BirdLife und der Estonian Ornithological Society belegen erneut eindeutig die negativen Folgen der gegenwärtigen ineffizienten Agrarpolitik für die Artenvielfalt in Estland und ganz Europa. Hier wurde erneut die Forderung nach der Abschaffung der bedingungslosen Direktzahlungen laut. An ihre Stelle muss eine neue Ernährungs- und Landnutzungspolitik treten, die eine nachhaltige, sich langfristig selbst tragende Lebensmittelproduktion aufbaut, die hohen Umwelt- und Tierschutzstandards genügt und faire Preise erzielt. Teil dieser Politik muss die ausreichende Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen von Landnutzern und anderen Akteuren sein.

[Weitere Informationen zur NABU-Position hier]

Marko Gorban, Estonian Ministry of Rural Affairs / Photo: ELF

Der Staatssekretär des estnischen Ministeriums für ländliche Räume sah in seiner Rede bei der NGO-Konferenz zwar einige Schwachpunkte im derzeitigen System der GAP, die grundsätzliche Struktur der zwei Säulen wollete er jedoch nicht bezweifel. Marko Gorban betonte, dass für die Herausforderungen wie Klimawandel, die Vereinfachung der Bürokratie und die Sicherung des Einkommens der Landwirte Lösungen gefunden werden müssten. Während der estnischen Ratspräsidentschaft sollten jedoch hauptsächlich Fortschritte in der Frage des Risikomanagements erreicht werden, denn Europas Landwirte seien wegen Wetterschwankungen, Tierkrankheiten und politischen Unsicherheiten mit immer größeren Preisschwankungen und damit Einnahmerisiken konfrontiert.

Informeller Agrarministerrat in Tallinn: Risikomanagement birgt Risiken

Informal meeting of Ministers for Agriculture and Fisheries (AGRIFISH). Family photo / Photo: Arno Mikkor (EU2017EE)

Es wird allerorts von der Agrarlobby gefordert und steht nun groß auf der Tagesordnung des informellen Agrarminsterrates in Tallinn: Wie können die europäischen Landwirte mit wirksamen Instrumenten ausgestattet werden, die dabei helfen mit den zunehmenden Produktionsrisiken umzugehen?

Verschiedene Vorschläge stehen dafür im Raum: Versicherungen gegen Naturkatastrophen einschließlich ungünstiger klimatischer Bedingungen und Tierseuchen, Investmentfonds die die Verantwortung für das Risikomanagement übernehmen würden und so eine Risikostreuung unter den Produzenten ermöglichen würden oder die Bereitstellung eines Grundversicherungsschutzes, der Einkommensrisiken abfedert. Laut einem Vorbereitungspapier könnte dies bedeuten, dass man künftig einen Teil der Direktzahlungen an Landwirte in Programme umleitet, die spezifisch zur Absicherung von Preisschwankungen konzipiert sind.

Aus Sicht des NABU und seines Dachverbandes BirdLife ist eine vom Steuerzahler finanzierte Risikoversicherung für Landwirte auf vielen Ebenen kontraproduktiv. Sie würde lediglich Anreize für weitere Intensivierung und Spezialisierung setzen. Zur Lösung der immensen Naturschutz- und Umweltprobleme der GAP kann eine Risikoversicherung hingegen kaum beitragen bzw. würde die Lage sogar verschlimmern. Außerdem würde sie die ohnehin schon knappen GAP-Fördermittel binden statt Landnutzer bei der Umstellung auf nachhaltige Nutzung zu unterstützen und Anreize für Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt zu setzen. Das Prinzip des Risikomanagements sollte durch Diversifizierung der Betriebe und Wissenstransfer vorangetrieben werden, statt neue komplexe und teure Instrumente einzuführen.

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