Vogelwärterfreunde
Moin liebe Blogleser:innen,
Trischen ist nicht der einzige Außenposten in der Nordsee mit Vogelwart oder Vogelwartin. Auf einigen Inseln und Halligen in den drei deutschen Wattenmeer Nationalparks haben eine Handvoll Personen das Glück, zwischen unseren gefiederten Freunden leben und arbeiten zu dürfen. Manchmal sind sie etwas näher an der Zivilisation und weniger einsam, manchmal sind sie für kürzere Zeitfenster im Einsatz und manchmal auch gleich mit mehreren Personen gleichzeitig. Ihre Situation ist insgesamt aber doch sehr ähnlich wir hier bei mir. Einen dieser Kolleg:innen durfte ich während meiner Inselzeit kennenlernen.
Wenn ich über das Wattenmeer nach Südwesten schaue, kann ich meist problemlos die Insel Neuwerk sehen. Sie liegt auf der anderen Seite der Elbe und im Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer. Und wenn ich mit dem Spektiv etwas weiter nach Norden schwenke und genau hinsehe, erkenne ich einen dünnen Streifen von Sand und Vegetation, eine weitere Insel: Das ist Scharhörn. Auch dort sind Vögel streng geschützt. Auch dort steht eine Hütte. Und auch dort darf ein Vogelwart für sieben Monate ein Inselleben führen. Ende April schrieb mir eine Freundin folgende Nachricht: „Ist es okay wenn ich deine Nummer an einen Vogelwart da bei dir in der Ecke weiter geb? Der hat grad nen ganz seltenen Vogel gefunden und will dich irgendwas fragen“. Seltene Vögel finde ich natürlich spannend und andere Vogelwarte auch, also habe ich selbstverständlich zugesagt und wenig später hatte ich Kontakt zu Kilian. Kilian war nach der Schule als Freiwilliger bei der Schutzstation Wattenmeer im Einsatz und hat hier seine Liebe zur Nordsee und zu den Vögeln entdeckt, genau wie ich. Und nun ist er auf Scharhörn, arbeitet als Vogelwart und dreht nebenbei einen Film über die Insel. Seit der ersten Nachricht ist der Kontakt immer mehr geworden, wir tauschen uns mittlerweile täglich dazu aus, was hier auf unseren Inseln passiert, welche Vögel da sind und wie das Eremitenleben läuft. Aktuell zählen wir beide in den ersten Stunden des Tages die Zugvögel und ich kann mich eigentlich immer darauf verlassen, dass, wenn ich zu Sonnenaufgang mit Kaffee und Fernglas in der Hand an der Hütte sitze, Kilian das gleiche tut und von seinen Beobachtungen berichtet. Häufig zeigt sich uns ein sehr ähnliches Bild, die gleichen Arten ziehen über unsere Inseln und teilweise haben wir auch schon die gleichen Vögel gesehen, erst waren sie auf Scharhörn, wenig später dann auf Trischen.
Für mich ist der Kontakt zu meiner Nachbarinsel sehr wertvoll. Wenige Menschen führen ein Leben wie ich es gerade tue, wenige Menschen dürfen mitten im Nationalpark Wattenmeer leben und sehen jeden Tag diese beeindruckende Landschaft mit ihren Wetterspektakeln und den tausenden Zugvögeln. Mir fällt es oft schwer zu beschreiben, wie es ist hier zu sein, umgeben von dieser außergewöhnlichen Situation. Die schönsten Bilder, die ich hier gesehen habe und die Gefühle, die sie ausgelöst haben, sind nur schwer zu vermitteln, die Stimmung der Momente mit der Kamera einzufangen, war immer unmöglich. Und direkt teilen kann ich diese Momente meist mit niemandem. Von Kilian denke ich, dass er versteht was ich hier erlebe, weil er da drüben ganz Ähnliches erlebt. Das ist ein schönes Gefühl, so verbunden zu sein, obwohl uns 18 Kilometer Watt und Wasser trennen. So ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis hatte ich noch nie, das ist schon absurd. Und auch wenn wir nicht wirklich zusammenarbeiten, für zwei unterschiedliche Vereine tätig sind und uns nicht einmal im selben Nationalpark befinden, ist er ein geschätzter Kollege für mich. Und das alles, obwohl wir uns noch nie persönlich gesehen haben.
Wobei das nicht ganz richtig ist: Vor wenigen Wochen hatten wir morgens sehr klare Sicht. Ich habe meine Taschenlampe gezückt, Kilian sein Handylicht und wir haben uns ein paar Lichtzeichen über die Elbe geschickt, auf dem Foto gut zu sehen. Die Umrisse des Nachbarn an seiner jeweiligen Hütte konnten wir ganz leicht erahnen. Ich hoffe, dass es nicht bei dieser Sichtung bleibt, und dass ich meinen Vogelwartfreund nach meiner Abreise von Trischen dann doch auch mal von nahem sehen und sprechen kann.
Viele Grüße,
Jakob