Die Wattkartierung: Was lebt in Schlick und Sand?
An den meisten Tagen ist mein Blick von der Insel aus auf das weite Watt gerichtet. Ich beobachte die Vögel, die bei Ebbe zur Nahrungssuche auf die Wattflächen fliegen, oder schaue zu, wie die Flut diese langsam zurückerobert. Doch nachdem die meisten Aufgaben auf der Insel erledigt sind, war ich für die jährliche Wattkartierung selbst in dieser unendlich scheinenden Landschaft unterwegs.
Die Wattkartierung wird seit über 30 Jahren durchgeführt, hierbei werden an festgelegten Probepunkten biotische und abiotische Daten herhoben um den Zustand des gesamten Ökosystems Wattenmeer zu dokumentieren. Die Probetransekte, bestehend aus 10-15 Probepunkten, liegen im ganzen Wattenmeer verteilt. Zwei Transekte davon befinden sich in der Nähe von Trischen.
Die Vorbereitung auf die Wattkartierung fühlt sich jedes Mal an, als wenn ich zu einer kleinen Expedition aufbreche. Statt Fernglas und Notizbuch packe ich Spaten, ein spezielles Sieb und eine große Stechröhre ein. Dazu kommen ein GPS-Gerät zur Navigation und ein Maßband, um die 1 m2 großen Probeflächen abzustecken, die untersucht werden sollen. All dieses Material über das Watt zu schleppen, ist eine echte Herausforderung und schränkt die Bewegungsfreiheit ordentlich ein. Ich befestige was möglich ist am Rucksack, in die linke Hand nehme ich den Spaten, unter den rechten Arm klemme ich die Stechröhre und los geht´s!

Die Weite des Wattenmeers
Besonders tückisch ist der Untergrund selbst, denn das Watt ist nicht einfach nur Schlamm: Es gibt festes Sandwatt, das hauptsächlch aus groben Sandkörnern betseht und kaum unter den Füßen nachgibt und weiches Schlickwatt, in das man bei jedem Schritt einsinkt und die Fortbewegung sehr langsam und beschwehrlich macht. Man weiß vorher nie genau, was einen erwartet. Erst der nächste Schritt verrät, ob der Boden trägt oder nachgibt. Ein ständiges Tasten und Abwägen bis ich an meinem Zielpunkt angelangt bin.
Es ist ungewohnt, die Insel nach so vielen Monaten von dieser Entfernung zu sehen, denn die Probepunkte, zu denen ich mit Hilfe des GPS-Geräts gelange, liegen bis zu 2 km von Trischen entfernt.

Die Vogelwärter:innen-Hütte ist nur noch ein kleiner Punkt am Horizont
Das GPS-Gerät zeigt an: 0 m bis zum Probepunkt, ich bin angekommen. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Ich stecke den Quadratmeter mit dem Maßband ab und inspiziere zunächst die Oberfläche: Welcher Watttyp liegt vor? Ist der Probepunkt von Wasser bedeckt und wie drick ist die Oxidationsschicht? Entdecke ich Strandschnecken auf der Oberfläche? Sehe ich die sternförmigen Spuren der Pfeffermuschel oder den charakteristischen Haufen eines Wattwurms? Alles notiere ich mit schlickigen Händen aber sorgfältig auf dem Datenblatt. Danach kommt die massive Stechröhre zum Einsatz. Mit vollem Körpergewicht drücke ich sie 30 Zentimeter tief in den Boden, um eine exakte Probe zu entnehmen. Der spannendste Teil folgt aber erst danach: Direkt neben der Probestelle grabe ich mit dem Spaten ein tiefes Loch, bis es sich mit Sickerwasser füllt. In diesem Wasser wasche ich nun den Inhalt der Probe durch das Sieb.

Das abgesteckte Probequadrat mit Stechröhre und Arbeitsutensilien
Langsam, Schicht für Schicht, spült das Wasser den Schlick davon und legt frei, was sonst im Verborgenen lebt. Plötzlich zeigen sich Herzmuscheln in unterschiedlichsten Größen im Sieb, winzige Schneckenhäuser der Wattschnecke tauchen auf und Würmer ringeln sich im restlichen Sediment. Es ist eine faszinierende Welt im Miniaturformat. Jeder Fund wird sorgfältig gezählt und notiert. Nichts wird mitgenommen, alles bleibt vor Ort. Am Ende des Tages übertrage ich die erhobenen Daten von dem, von Schlick und Salzwasser ganz wellig gewordenen Datenblatt, in eine Exceltabelle. Nachdem ich alle Punkte beprobt habe sende ich die Daten an die Schutzstation Wattenmeer, wo sie gesammelt werden um den Zustand des Wattenmeers zu dokumentieren und Veränderungen erkennen zu können.
Es ist eine anstrengende und schweißtreibende Arbeit. Aber wenn ich danach mit schlickverschmierter Kleidung und schmerzenden Armen zurück auf die Insel komme und den Blick wieder über das, nun von der Flut bedeckte Watt schweifen lasse, sehe ich es mit anderen Augen. Ich weiß jetzt ein bisschen besser, welche Geheimnisse unter der dem Meereswasser verborgen sind und wie viel Leben in diesem scheinbaren Nichts pulsiert.
Eure Naturschutzwartin 2025
Mareike Espenschied




