Wölfe bejagen = weniger Risse? Eine praktische Analyse
Am 8. Mai 2025 hat das EU-Parlament für die Absenkung des Schutzstatus des Wolfes in der FFH-Richtlinie von „streng geschützt“ auf „geschützt“ gestimmt. Nun steht noch die Entscheidung im Europarat aus. Der NABU hält diese Entscheidung sowie die Änderung des Schutzes in der Berner Konvention für falsch.
In Deutschland fordern einige Verbände und Politiker*innen bereits ein sogenanntes „aktives Wolfsmanagement“, mit der Begründung, nur so den Untergang der Weidetierhaltung zu verhindern. Um die Evidenz dieser Verkettung von Problem und Lösung zu bewerten, müssen zwei zentrale Fragen betrachtet werden:
- Was genau bedeutet „Wolfsmanagement“? Was kann daran aktiv sein?
- Kann die Regulierung des Wolfsbestands vorbeugender Herdenschutz sein?
Wolfsmanagement – (deutlich) mehr als Wölfe-Schießen
Wolfsmanagement ist nicht gleichzusetzen mit Bejagung, sondern ein Komplex sich ergänzender Maßnahmen:
- Sachliche Information über Wölfe
- Monitoring des Wolfsbestands
- Beratung und Förderung von Herdenschutz
- Entschädigung bei Rissen trotz Herdenschutz
- Fachliche Beurteilung von Ursache und Optionen im Fall auffälliger oder kranker Tiere, die unter Umständen im Abschuss enden kann
Ein „aktives“ Wolfsmanagement existiert also bereits. In den meisten Bundesländern ist es Standard und Teil offizieller Wolfsmanagementpläne, die unter Einbeziehung der relevanten Interessengruppen aus Weidetierhaltung, Jagd und Naturschutz erstellt wurden.
Was es bisher in Deutschland nicht gibt, ist ein „aktives Bestandsmanagement“, also eine gezielte Reduktion des Wolfsbestands. Um über dessen Sinn diskutieren zu können, muss die Frage beantwortet werden: Was würde das konkret für die Sicherheit der Weidetiere bringen?
Auswirkungen von Bejagung auf die Sicherheit für Weidetiere – Fünf Szenarien
Werfen wir einen ganz pragmatischen Blick auf die Frage, ob eine Reduktion des Wolfsbestands in Deutschland das Risiko für Weidetiere deutlich senkt – unter der Prämisse, dass kein empfohlener Herdenschutz angewandt wird:
- „Alle Wölfe werden geschossen“
Theoretisch gäbe es dann keine Risse mehr – praktisch ist das nicht umsetzbar, da die Tiere sehr schlau und schwer zu bejagen sind. Eine komplette Ausrottung des Wolfs in Deutschland ist zudem weder gesellschaftlich noch rechtlich haltbar.
- „Wölfe werden nur in gewissen Gegenden geschossen, sodass es „Wolfsfreie Zonen“ gibt
Rein jagd-technisch ist es äußerst unrealistisch, große Regionen frei von Wölfen zu halten. Durchwandernde Wölfe legen weite Strecken zurück und werden meist erst bemerkt, wenn es Risse gegeben hat. Eine ausreichende Sicherheit für die Weidetierhaltung bietet diese Option also nicht. Hinzu kommt die Frage: Wo sollen diese Zonen sein und wer entscheidet dies? Die Weidetierhalter in den „Wolfs-Erlaubnis-Zonen“ werden sich bedanken. Wolfsfreie Zonen auf Regionen mit Weidetierhaltung zu begrenzen, würde ganz Deutschland umfassen, denn überall gibt es neben der gewerblichen auch die Hobby-Weidetierhaltung. Also auch keine Option, siehe 1.
- „Durch eine generelle Bejagung gibt es grundsätzlich weniger Risse“
Ja, weniger potenziell Weidetiere-angreifende Wölfe senken das absolute Risiko eines Angriffs. Aber: Auch wenige Wölfe oder gar einzelne können großen Schaden anrichten, wenn sie auf ungeschützte Weidetiere treffen. Hingegen gibt es ganze Rudel, die keine Risse an Weidetieren verursachen. Die scheinbar einfache Formel „weniger Wölfe = weniger Risse“ geht also nicht automatisch auf und bietet keine hinreichende Sicherheit für Weidetiere. Nicht die absolute Zahl an Wölfen bestimmt das Rissgeschehen, sondern wie gut oder schlecht Nutztiere vor Übergriffen geschützt sind.
Die Erfahrung der letzten 25 Jahre zeigt: Egal ob ein Einzelwolf oder ein Rudel in der Region ist – flächendeckender Herdenschutz wird immer notwendig sein, um Weidetiere zu sichern. Und auch wenn man ganze Rudel entnimmt, um das Vorkommen etwas „auszudünnen“ – garantiert wird ein frei gewordenes Territorium nicht lange unbemerkt bleiben und sich Wölfe aus den Nachbargebieten dort ansiedeln. Für die Weidetierhalter ist also auf Dauer nichts gewonnen.
- „Durch Bejagung werden Wölfe scheuer und reißen deshalb keine Weidetiere“
Eine häufige Annahme ist, dass Wölfe durch eine generelle Bejagung, zum Beispiel über Quoten und Drückjagden, mehr „Scheu“ vor Menschen entwickeln und somit auch weniger Weidetiere reißen. Leider wird Wölfen hier eine Fähigkeit zugeschrieben, die sie nicht besitzen. Daran ändert auch eine Bejagung nichts, zudem diese nicht auf der Weide selbst stattfindet. Wölfe lernen durch menschliche Bejagung nicht, mehr Abstand zu Weidetieren zu halten, denn es sind nicht die Schafe und Ziegen, die eine Gefahr für sie darstellen, sondern die Menschen, die auf sie schießen. Eventuell verhalten sich Wölfe einer bejagten Population noch vorsichtiger gegenüber Menschen. Doch da die meisten Weidetiere vor allem nachts ohne menschliche Aufsicht gehalten werden, taugt dies als Herdenschutzmaßnahme rein gar nichts.
Herdenschutz, vor allem mit Elektrozäunen und richtig angewandt, bestraft hingegen jeden Versuch eines Wolfes, auf eine Weide zu gelangen, unabhängig von menschlicher Anwesenheit. Fängt sich ein Wolf beim Versuch, einen Zaun zu untergraben, ein paar Mal einen Schlag ein, ist das die beste Erziehung, um Weiden zu meiden. Bejagung hat diesen Effekt nicht, weil Menschen nicht immer bei den Weidetieren sind, um Wölfe zu vertreiben.
- Gezielte Abschüsse in einzelnen Fällen
Hier kommen wir wieder zum Ausgangspunkt zurück, dem „aktiven Wolfsmanagement“. Dieses, seit 25 Jahren gewachsene und erprobte Konzept sieht Handlungsmöglichkeiten vor, um in Einzelfällen Wölfen etwas aktiv entgegenzusetzen, die Herdenschutz gezielt überwinden. Der bisherige Rechtsrahmen gewährte diese Möglichkeit spätestens seit Einführung des § 45a BNatschG.
Dass nur wenige Wölfe danach geschossen – beziehungsweise die meisten Abschussgenehmigungen wieder einkassiert wurden – liegt weniger an juristischen Unklarheiten als an der Tatsache, dass nur sehr wenige Wölfe überhaupt in die Kategorie „problematisch“ fallen. Die allermeisten halten sich sowohl von Menschen als auch von geschützten Weiden fern. In vielen Bundesländern waren dagegen leider über 80 Prozent der betroffenen Weidetiere nicht oder nur teilweise geschützt. Dies verdeutlicht den eigentlichen Handlungsbedarf: Herdenschutz in die Fläche bringen.
Muss man bejagen, nur weil man es darf?
Die rechtliche Zulässigkeit ist nicht automatisch ein Argument für deren Sinnhaftigkeit. Eine Maßnahme kann legitim, also rechtlich zulässig, aber trotzdem nicht effizient sein, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die Bejagung einer Tierart ist ethisch nur vertretbar, wenn sie einen sinnvollen Zweck erfüllt, der nicht mit milderen Mitteln erreicht werden kann. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen (§1 Satz 2 TierSchG als auch § 39 BNatSchG). Ein vernünftiger Grund könnte die Abwehr von Schäden oder der Nahrungserwerb sein. Ersteres gilt für Wölfe wie oben dargestellt nicht – und auch der Verzehr oder die Nutzung des Fells sind heutzutage kein angemessener Grund.
Wer Bejagung als Herdenschutz fordert, überspringt offensichtlich zwei essenzielle Teile einer jeden Managementstrategie: Die Ursachenanalyse des Problems sowie die Bewertung der Wirksamkeit einer angedachten Maßnahme. Die Verhinderung von Rissen durch Regulierung wird als gegeben hingenommen, anstatt die realistische Wirksamkeit zu hinterfragen. Das Fehlen der Evidenz ist ein grober Fehler, der nicht nur Wölfen, sondern auch Weidetieren das Leben kosten könnte.
Fazit: Bejagung von Wölfen ist kein Herdenschutz
Ein sachliches und evidenzbasiertes Wolfsmanagement darf nicht auf den Abschuss verkürzt werden. Allgemeines Ziel ist die Reduktion von Rissen an Weidetieren – zumindest darin sollten sich alle einig sein. Über die Maßnahmen zur Erreichung eines Zieles kann und sollte diskutiert werden. Bejagung, Regulierung oder wie die Reduktion des Wolfsbestandes genannt wird, ist keine effektive Maßnahme, um das Ziel der Rissminimierung zu erreichen, und sollte auch nicht als solche dargestellt werden. Eine Bejagung wird der Weidetierhaltung den Aufwand des Herdenschutzes nicht ersparen und ist daher als nicht wirksam abzulehnen.
Wir appellieren viel mehr an die Landnutzerverbände, sich konstruktiv in die Etablierung von effektiven Herdenschutzmaßnahmen einzubringen. Die Debatte um die Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht wird in den nächsten Monaten auf Bundes- und Landesebene geführt werden. Aber wenn – dann bitte ehrlich und nicht unter dem irreführenden Deckmantel des Herdenschutzes.
Praktische Erfahrungen aus 25 Jahren Wölfe in Deutschland für Jagd und Weidetierhaltung sind in thematischen Modulen dargestellt im neuen Film von Sebastian Koerner.
Bei Interesse an der wissenschaftlichen Bewertung der Korrelation von Bejagung und Rissgeschehen sowie den Erfahrungen im Ausland sei folgender Beitrag empfohlen: Reinhardt et al. (2023). Wie lassen sich Nutztierübergriffe durch Wölfe nachhaltig minimieren? – Eine Literaturübersicht mit Empfehlungen für Deutschland. In: Voigt, C.C. (eds) Evidenzbasiertes Wildtiermanagement. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. Kostenfrei online verfügbar.
- Wölfe bejagen = weniger Risse? Eine praktische Analyse - 21. Mai 2025
- EU-Artenschutz unter Druck – Einfallstor Wolf? - 11. September 2024
5 Kommentare
Jörg
21.05.2025, 10:48Was macht der Nabu dagegen???
AntwortenMarie Neuwald
22.05.2025, 11:03Verschiedenes - Sachliche Aufklärung ist das eine. Dass das bei den entscheidenden Stellen ankommt das andere. Hier sind wir auf Bundesebene und mit unseren Landesverbänden dran. Man muss aber auch so realistisch sein: Die politischen Mehrheiten und welchen Stellenwert Naturschutz hat werden von der Bevölkerung gewählt, weshalb der NABU vor der Bundestagswahl sehr aktiv war, hier z.B. https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/gesellschaft-und-politik/deutschland/wahl25/bundestagswahl2025.html
AntwortenMesdag,Jörg
21.05.2025, 19:53Der WOLF darf nicht ins Jagdrecht aufgenommen werden.
AntwortenElanne
22.05.2025, 09:23Einem Mann wie Wendelin Schmoelke Müsste man jetzt aber Recht geben. Er ist mit seiner Herde unterweg (gewesen?), und hätte gern die Wölfe, die sich nachts nähern, mit Gummi- geschossen vertrieben.
AntwortenMarie Neuwald
22.05.2025, 11:07Behirtung ist eine Form des Herdenschutzes, die in Deutschland kaum noch praktiziert wird. Heutzutage rund um die Uhr bei der Herde zu sein machen nur noch wenige. Auch ein Schäfer muss schlafen, von Privatleben mal ganz zu schweigen. Das ist der große Vorteil von Elektrozäunen - die laufen, auch wenn kein Mensch dabei ist. Gummigeschosse können für die Vergrämung von Wölfen eingesetzt werden, haben aber den Nachteil, dass man auf ca. 30 Meter an das Tier heran kommen muss, weil die Flugbahn nicht wirklich länger ist. Das geht also nur bei Wölfen, die kaum-keine Fluchtdistanz zu Menschen haben, was selten ist.
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