Umsetzung von Natura 2000: Wie fit ist Deutschland?
Der Fitness-Check der EU-Naturschutzrichtlinien ist auf politischer Ebene leider immer noch nicht zu einem formalen Ende gebracht worden, insofern bietet der Herbst womöglich noch manchen Spannungsbogen; rein fachlich ist das Ergebnis der Überprüfung aber eindeutig: die Richtlinien sind „fit for purpose“, wie die auf Druck der Verbände veröffentlichte Fachstudie zeigt. Zumindest gilt dies demnach für die Richtlinien selbst. Der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten hingegen werden in der Studie erhebliche Defizite bescheinigt: Fehlende Kriterien für den günstigen Erhaltungszustand, unzureichender Schutz der Gebiete vor Eingriffen, fehlende Managementpläne und ausbleibende oder ineffektive Managementmaßnahmen, mangelhafte Integration der Ziele und Vorschriften der Richtlinien in andere Politikbereiche (vor allem in die GAP), Wissenslücken sowie eingeschränkte Datenverfügbarkeit und fehlender Austausch von Daten, Erfahrungen und Ergebnissen, unzureichende Verfügbarkeit finanzieller Mittel. Parallel läuft zudem weiterhin das im Frühjahr 2015 von der EU-Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen zeitlicher Verzögerungen bei der rechtlichen Sicherung der Gebiete und der Festlegung von Managementmaßnahmen. Grund genug also um einmal genauer hinzu schauen – unter der Überschrift „Umsetzung von Natura 2000 – wie fit ist Deutschland?“ fand dazu am 27. September ein NABUtalk in Berlin statt.
In seiner Begrüßung legte NABU-Präsident Olaf Tschimpke direkt den Finger in die Wunde, in dem er die aktuell stattfindende, sehr schwierige Ausweisung von Meeresschutzgebieten in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in Nord- und Ostsee thematisierte, in der Fischereiinteressen bisher die Festlegung notwendiger Schutzziele blockierten. NABU-Teamleiter Naturschutz Till Hopf rief in seiner Einführung die Schlussfolgerungen der Fitnesscheck-Studie hinsichtlich der großen Umsetzungsdefizite in Erinnerung und wies auf das unbefriedigende Ergebnis des letzten Art. 17-Berichtes zum Zustand der Arten und Lebensraumtypen in Deutschland aus dem Jahr 2013 hin. 70 Prozent der Lebensraumtypen in einem ungünstigen Erhaltungszustand zeigten deutlich den weiterhin enormen Handlungsbedarf der nächsten Jahre.
Frank Vassen beleuchtete als Vertreter der EU-Kommission noch einmal die in der FFH-Richtlinie festgeschriebenen Vorgaben hinsichtlich der formalen Gebietssicherung und der Aufstellung von Maßnahmenplänen und hob dabei den günstigen Erhaltungszustand als zentrales Kernziel der Richtlinie hervor. Demzufolge sei die Festlegung von gebietsbezogenen Erhaltungszielen essentiell für eine wirksame Umsetzung der Richtlinienvorgaben. Die Qualität der Lebensräume umfasse dabei neben Funktionen und Strukturen auch quantitative Aspekte (zum Beispiel Flächenausdehnung eines betrachteten Lebensraumtyps). Der Weg zu einer wirksamen Gebietssicherung und einem erfolgreichen Management erfordere einen gewissen Aufwand, könne dann aber auch ein dauerhaft tragfähiges System ermöglichen.
Spannend gestaltete sich die Vorstellung der Umsetzungswege an den Beispielen von Niedersachsen und Baden-Württemberg. Während sich der zuständige Abteilungsleiter im niedersächsischen Umweltministerium Kay Nitsche optimistisch zeigte, dass die Anforderungen der EU-Kommission an Gebietssicherung und Managementplanung bis zu den an die EU-Kommission gemeldeten Zieljahren Jahr 2018 beziehungsweise 2020 erreicht werden, wurde dies vom NABU-Landesvorsitzenden Holger Buschmann in seinem Kommentar klar in Frage gestellt. Während Nitsche auf die politische Zielvereinbarung des Landesumweltministeriums mit dem niedersächsischen Landkreistag zur Umsetzung, eine verbesserte Ressourcenausstattung und umfangreiche Arbeitshilfen verwies, erklärte Buschmann den lange Jahre verfolgten Ansatz der Gebietserhaltung und -entwicklung über Vertragsnaturschutz für gescheitert und identifizierte insbesondere die aufgrund der zweigliedrigen Verwaltungsstruktur in Niedersachsen erfolgende Zuständigkeit der Kommunen für die Schutzgebietsverordnungen als zentrales Problem – die inhaltliche Qualität der Verordnungen variiere dadurch zu stark, politischen Einflussnahmen auf kommunalpolitischer Ebene erschwerten den Prozess zusätzlich. Einzig positiver Effekt dieser kommunalen Zuständigkeit sei der Fakt, dass sich nun auch die Lokalpolitik notgedrungen mit dem sonst eher unliebsamen Thema Natura 2000 beschäftigen müsse. Die Fachaufsicht des Landesministeriums in dieser Sache über 52 Landkreise sah Nitsche auch als eine besondere Herausforderung an. Einig waren sich beide Akteure bei der Einschätzung, dass die Versäumnisse in vergangenen Jahren maßgeblich dazu beigetragen hätten, dass nun ein enormer Nachholbedarf bestünde und die kommunale Zuständigkeit gerade bei kreisübergreifenden Natura 2000-Gebieten zu Reibungsverlusten führen könne.
Helmuth Zelesny legte als Vertreter des Baden-Württembergischen Umweltministeriums in seinen Ausführungen den Schwerpunkt auf die Maßnahmenumsetzung in seinem Bundesland. Das Land halte weiterhin am Vorrang der Freiwilligkeit bei der Umsetzung fest, hoheitliche Maßnahmen wie Wiederherstellungsanordnungen kämen aber immer dann zur Anwendung, wenn der freiwillige Ansatz nicht funktioniere. Das Land sähe eine besondere Verantwortung insbesondere hinsichtlich des Artenreichen Grünlandes und habe verschiedene Förderlinien aufgelegt, um insbesondere ELER- und Haushaltsmittel in die angewandte Landschaftspflege zu lenken und setze zudem auf eine Ökologisierung der Flurneuordnung – dieser Prozess brauche aber sicher noch einige Jahre, um bis auf die kommunale Ebene einen Paradigmenwechsel weg von der klassischen Flurbereinigung zu vollziehen. Markus Röhl, stellvertretender Vorsitzender des NABU Baden-Württemberg, hob in seinem Kommentar die Bedeutung von Natura 2000 für früher weniger beachtete Lebensraumtypen wie etwa Buchenwälder und Mähwiesen heraus; die Umsetzung sei tatsächlich schleppend verlaufen, das nun zunehmende Tempo führe inzwischen aber zu einem Mangel an Fachpersonal. Aufgrund zeitlich parallel etablierter konkurrierender Anreize (u.a Erneuerbare-Energien-Gesetz) habe Natura 2000 jedoch insbesondere im Offenland bisher keine Trendwende herbeigeführt, Flächenverluste seien weiterhin das Hauptproblem. logische Folge dieser negativen Tendenzen sei die Zunahme von Wiederherstellungsanordnungen, um den Flächenverlusten zu begegnen; gleichzeitig führten aber gerade diese Verpflichtungen zu erheblichen Konflikten mit der Landwirtschaft. Jenseits von direkten finanziellen Anreizen zur angepassten Bewirtschaftung historisch entstandener Kulturbiotope müsste die Landwirtschaft aber auch bei der Entwicklung ökonomischer Perspektiven z.B. hinsichtlich der Aufwuchsverwertung von extensiv gepflegten Mähwiesen unterstützt werden.
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter Moderation von Julia Vismann versuchten dann neben Holger Buschmann, Frank Vassen und Helmuth Zelesny auch Inka Gnittke (Referatsleiterin Natura 2000 im Bundesumweltministerium) und Klaus Werk (stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Beruflicher Naturschutz) eine Annäherung an die Frage, wie fit Deutschland tatsächlich bei der Umsetzung von Natura 2000 ist. Das eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren habe tatsächlich dazu geführt, die Bemühungen für eine Umsetzung der FFH-Richtlinie zu intensivieren. Gleichwohl sei der Zeitdruck ambivalent: während er auf der einen Seite für die notwendige politische Aufmerksamkeit sorge, würde er durch Vertreter von Partikularinteressen gern dafür genutzt, um auf weniger strenge Schutzziele hinzuwirken. Die aktuell laufende formale Sicherung der FFH-Gebiete mit anschließender Managementplanung sei dabei jedoch nur der erste Schritt, die richtige Arbeit beginne dann ab 2020 mit der Umsetzung der festgesetzten Erhaltungs- und insbesondere auch Entwicklungsmaßnahmen.
Weitgehende Einigkeit bestand bei Referenten und Diskutanten darüber, dass die Finanzierungsfrage sowie die Etablierung tragfähiger Strukturen in der ausführenden Verwaltung elementar für die zukünftige erfolgreiche Umsetzung der Naturschutzrichtlinien und des Schutzgebietsnetzwerks Natura 2000 sind. Ähnlich lautende Schlussfolgerungen hatten bereits die Naturschutzverbände in einem Forderungspapier anlässlich des Deutschen Naturschutztages in Magdeburg gezogen und es ist davon auszugehen, dass insbesondere dieser Aspekt einer angemessenen Ressourcenausstattung die Diskussion der nächsten Monate bestimmen wird.
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