Peace to Ukraine – Ein Gastbeitrag

Peace to Ukraine – Ein Gastbeitrag

Der Krieg in der Ukraine schockt und beschäftigt uns alle, auch in unserem weltwelten Netzwerk von BirdLife International. Wir möchten hier Raum geben für einen persönlichen Gastbeitrag von Ariel Brunner, dem Koordinator für die politische Arbeit von „BirdLife Europe & Central Asia“ in Brüssel. Er reflektiert die Frage wie sich ein vielfältiges weltweites Netzwerk von Naturschutzorganisationen jetzt verhalten sollte. Der Originaltext ist hier auf der Website von BirdLife Europe zu finden.

Die Menschheit am Abgrund – von Ariel Brunner, Leiter Politik für Europa und Zentralasien BirdLife International

Ich bin in einer Region aufgewachsen, die von ethnischen und religiösen Konflikten heimgesucht wird.  Mein Leben widme ich bewusst der Natur, die ich vor menschlichen Übergriffen schützen möchte. Gleichzeitig will ich die Menschheit vor ihrem selbstzerstörerischen Krieg gegen die Natur beschützen.  Ich arbeite für eine Organisation, die stolz auf ihre Neutralität ist. Wir bringen Graswurzelbewegungen zusammen – und das über Grenzen, Kulturen und manchmal auch gewaltsame politische Trennlinien hinweg. BirdLife macht keine “Politik”, ist aber eine starke Stimme für die Natur.

Ich stamme zudem aus einer Familie, die stark unter der Gewalt gelitten hat, die der Ethno-Nationalismus und militaristische Ideologien im letzten Jahrhundert nach Europa gebracht haben. Ich wuchs in der Annahme auf, diese bösen Geister gehörten der Vergangenheit an. Oder würden nur noch in finsteren Ecken unserer Gesellschaft und unglückseligen Regionen der Welt existieren. Ich glaubte fest, die Menschheit hätte sich weiterentwickelt und ihre Lektion gelernt. Doch in den letzten beiden Jahrzehnten musste ich mitansehen, wie diesen alten Geistern neues Leben eingehaucht wurde.

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie unsere Menschenrechte sind verstärkt unter Beschuss. Demagogen instrumentalisieren die Furcht vor anderen Kulturen. Sie untergraben Wahrheit, säen Zwietracht und beschädigen die Grundlagen friedlichen Zusammenlebens innerhalb von Gesellschaften und zwischen Staaten. Ein absoluter Tief- und Wendepunkt ist die Aggression gegen die Ukraine. Sie wird von einem Regime ausgeübt, das seine eigene Zivilgesellschaft und Wahrheit unterdrückt, das Vertrauen von Menschen in Fakten und Institutionen mit großem Aufwand untergräbt. Grundlegende demokratische Anschauungen, Werte und Praktiken werden in noch nie dagewesenem Ausmaß angegriffen.

Die Wissenschaft mahnt uns: Die Menschheit steht ökologisch am Abgrund. Noch können wir uns Menschen und die Natur, die wir lieben und von der wir abhängig sind, retten. Doch die Zeit, sie läuft uns davon! Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber werden in immer mehr Staaten gezielt angegriffen. Um die Natur- und Klimakrise zu bekämpfen ist es unabdingbar in einer starken Gesellschaft offen und ohne Denkverbote über mögliche Lösungen zu diskutieren – mit NGOs, freien Medien, demokratisch legitimierter Politik und Wissenschaft. Doch in immer mehr Ländern wird die Zivilgesellschaft zerstört. Einige unserer Partner werden mit erfundenen Vorwürfen verboten oder auf subtile Art von ihrer Arbeit abgehalten. Damit wir am Ende friedvoll mit Mensch und Natur zusammenleben können, brauchen wir Friede unter den Menschen. Wir brauchen die freiwillige Zustimmung zu Regeln, die uns ein gleichberechtiges und friedliches Miteinander innerhalb der fragilen Ökosysteme ermöglichen. Dieser Frieden wird von immer mehr Regierungen geopfert, um eigene Interessen durchzusetzen.

Dies stellt uns vor ein noch nie dagewesenes Dilemma. Eine Naturschutzorganisation kann und muss bei Auseinandersetzungen zwischen Ländern, politischen Fraktionen, Ideologien, ethnischen Gruppen oder Religionen neutral bleiben. Aber können wir neutral bleiben angesichts der systematischen Zerstörung der Zivilgesellschaft? Wir können nicht einmal existieren, geschweige denn unseren Auftrag erfüllen, wenn der Totalitarismus siegt. Können wir neutral bleiben angesichts von Systemen, die die Existenz objektiver Fakten und wissenschaftlicher Beweisführung leugnen? Wenn Fakten nur Meinungen sind, auf welcher Grundlage plädieren wir dann für tiefgreifende Veränderungen im menschlichen Verhalten und in der Wirtschaft? Können wir neutral bleiben, wenn sogar die Idee einer auf Regeln basierenden Gesellschaft in Frage gestellt und Gewalt als gangbare Alternative angeboten wird? Kann es eine ökologisch ausgewogene Gesellschaft geben, die nicht auf Regeln beruht? Können wir für ein Ende der Gewalt gegen die Natur plädieren, wenn Gewalt zwischen Menschen wieder akzeptiert wird?

Dies sind schwierige Fragen. Umso schwieriger für ein inklusives und sehr vielfältiges Netzwerk, das Menschen unterschiedlichster Herkunft, Orientierung, Kultur und Lebensumstände umfasst. Unsere demokratisch vereinbarten Satzungsziele verlangen, dass wir uns aus der „Politik“ heraushalten und überparteilich arbeiten, aber die Verfolgung unseres Auftrags ist eminent politisch. Es geht darum, wie wir unseren globalen und unsere vielen lokalen „Polis“, unsere Verbände führen – die Stadt, den öffentlichen Raum, die Gesellschaft. Das geht nicht, wenn nicht zumindest einige Elemente dieser Grundprinzipien vorhanden sind: Wissenschaft, Fakten und eine auf Regeln basierende Gesellschaft, die offen und tolerant gegenüber Vielfalt und friedlicher Zusammenarbeit ist. Wenn diese Prinzipien angegriffen werden, können wir nicht neutral bleiben. Wir müssen unsere Stimme erheben. Wir müssen Frauen und Männer guten Willens, wer und wo auch immer sie sind, auffordern zu reagieren, bevor es zu spät ist. Wir haben unsere Welt zu verlieren.

Ariel Brunner (Übersetzung: NABU)

Zur Abbildung:

“This wonderful Ukrainian dove for Peace, above, was designed by Moscow-born designer Natasha Alimova to support Ukraine during the Maidan revolution of 2014. Inspired by the Ukrainian Trident coat of arms, she made it freely available to all. Our Albanian friends at the Albanian Ornithological Society resurrected it and shared it with us.”

Christopher Sands, Global Director of Communications, BirdLife International

 

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