NABU-GAP-Ticker: Systemwechsel? – Von wegen!

Generelle Ausrichtung des EU-Agrarrats ist kein Fortschritt im Vergleich zum Status quo

Wie oft Julia Klöckner in den letzten 24 Stunden die Wörter „Systemwechsel“ und „Meilenstein“ wiederholt hat, kann wohl niemand mehr zählen. Sie versucht damit ihren gestern Nacht nach harten Verhandlungen im EU-Agrarrat erzielten Kompromiss als Erfolg darzustellen. Ihr Hauptargument dafür ist, dass zukünftig 20% der Gelder für das neue Instrument „Eco-Schemes“ verwendet werden sollen. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell klar, dass der angebliche Systemwechsel keinen signifikanten Unterschied zum Status quo bedeuten würde – in Zeiten von großen Umweltherausforderungen grenzt dies an Realitätsverweigerung und ist schlicht nicht genug Leistung für den größten Posten im EU-Haushalt.

Es ist der deutschen Ratspräsidentschaft in weiten Teilen nicht gelungen, EU-weit einheitliche Bedingungen zu schaffen. Die enormen Wahlmöglichkeiten der Mitgliedstaaten werden zu genau dem Rennen um die niedrigsten Umweltstandards führen, vor dem die Umweltverbände bereits seit der Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags im Juni 2018 gewarnt haben.

Schönrechnen bei der Klimaquote

Die Kommission deklarierte vor allem die größtenteils ohne nennenswerte Umweltauflagen ausgeschütteten Direktzahlungen als zu 40% klimafreundlich. Der Rat ändert nichts an dieser erfundenen pauschalen Klimaquote von 40% der GAP-Gelder.

Zur Erinnerung: Der NABU konnte schon im Februar diesen Jahres in einem Gutachten aufzeigen, dass für den tatsächlichen Klimabeitrag entsprechende Nachweise vollkommen fehlen. Auch eine erst vor wenigen Wochen veröffentlichte Studie von Germanwatch kritisiert die Klimaquote als völlig unzureichend

Neues Instrument Eco-Schemes wird nicht ausreichend genutzt

Das Mindestbudget von lediglich 20% für Eco-Schemes wird mit einer unverbindlichen „Lernphase“ von 2 Jahren eingeführt, in der das nicht für Eco-Schemes ausgegebene Geld wieder als Pauschalzahlung verwendet werden kann oder  – und nur wenn die Mitgliedstaaten dies möchten – in die 2. Säule transferiert wird für Agrarumwelt, Wasserrahmen/Natura und Investitionen. Damit wird die Motivation, attraktive Programme für die Landwirte zu schaffen, weiter verringert. Erst ab 2025 gilt tatsächlich das 20% Mindestbudget für die Eco-Schemes. Zur Qualität und Ausgestaltung dieser Eco-Schemes macht der Rat jedoch keinerlei Vorgaben, sondern überlässt sie allein der Planung der Mitgliedsstaaten.

Zur Erinnerung: Der NABU hatte schon 2018 bei der Veröffentlichung der Vorschläge der Kommission ein Mindestbudget von 50% für die Eco-Schemes gefordert um die Gelder der 1. Säule zu qualifizieren und mit diesem recht flexibel ausgelegten Instrument die Betreibe bei der Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise zu unterstützen.

Grundanforderungen für die Direktzahlungen: Alles beim Alten – oder noch mehr Ausnahmen

Im Vergleich zum Vorschlag der Kommission schwächt die Ratsposition die grundlegenden Anforderungen an die Direktzahlungen („Konditionalität“) erheblich. Es werden zahlreiche Möglichkeiten geschaffen, einige Begünstigte von den Anforderungen der Konditionalität auszunehmen (z. B. basierend auf der Betriebsgröße oder Regionen).

Beispiele hierfür sind in den Standards für den „Guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ)“ zu finden:

  • GLÖZ 2: Schutz von Mooren und Feuchtgebieten: aus „angemessener“ Schutz von Mooren wird „Mindestschutz“, dieser soll erst ab 2025 gelten.

(kleine Erinnerung: Entwässerte Moore machen nur 3% der EU-Landfläche aus, sind jedoch für 25% der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen und 5% aller Treibhausgasemissionen der EU verantwortlich)

  • GLÖZ 5: Verpflichtendes Nachhaltigkeitstool für Nährstoffmanagement: wird gestrichen
  • GLÖZ 8: Fruchtfolge ODER andere Maßnahmen zum Sichern vom Bodenfruchtbarkeit: werden mit allen bisherigen Ausnahmeregelungen fortgeführt
  • GLÖZ 9: Die Mitgliedstaaten haben die Wahl zwischen der Einführung von 3% nicht-produktiver Fläche ODER 5% fake-nicht- produktiver Fläche, d.h. es dürfen weiterhin Zwischenfrüchte und Eiweißpflanzen angerechnet werden, die aber leider für die Artenvielfalt keine Fortschritte bringen. Welche Optionen wohl die meisten Mitgliedstaaten wählen werden, ist leider nicht schwer zu erraten.

Somit stellt dies keinerlei Verbesserung zum Status quo (Greening) dar und eine Abschwächung im Vergleich zum Vorschlag der Kommission. Diese hatte ursprünglich geplant, die Vorgaben für alle Agrarflächen der EU (Acker- und Grünland) verpflichtend zu machen. Der Agrarrat begrenzt sie nun ausschließlich auf Ackerland – und nimmt damit 40% der Agrarfläche der EU von dieser Verpflichtung aus. Weitere Ausnahmen für diese Verpflichtungen gelten wie bisher für Landwirte in Waldreichen Regionen, kleine Betriebe und Betriebe mit einem hohen Dauergrünlandanteil, etc.

Die zentrale NABU-Forderung nach mehr Space4Nature  – Platz für die Natur in der Agrarlandschaft wurde somit leider auf ganzer Linie nicht erreicht, obwohl die Forderung des NABU nach mindestens 10% seit Jahren seitens der Wissenschaft untermauert wird und auch die Biodiversitätsstrategie der EU die 10% als Zielwert ausgibt.

  • GLÖZ 10: Pflug- und Umbruchverbot von Grünland in Natura2000-Gebieten: Der Zusatz ”die als umwelt-sensibles Grünland in Natura2000-Gebieten ausgewiesen sind” stellt eine Verwässerung dar, da längst nicht alle Natura2000-Grünlandflächen bisher als umwelt-sensibel gekennzeichnet sind

Tricksereien auch beim geringen Umwelt- und Klimabudget in der 2. Säule

Schon die Kommission schlug mit 30% einen schwachen Ansatz für ein Mindestbudget für Umwelt und Klima in der 2. Säule vor. Der Rat möchte zu diesem Mindestbudget nun wieder die „Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete (ANC)“ anrechenbar machen, die jedoch erwiesenermaßen in den seltensten Fällen eine direkte Umweltwirkung haben. ANC repräsentieren ca. 16% des 2.Säule-Budgets und bis zu 40% des Umweltmindestbudgets in der 2.Säule. Dies bedeutet, dass ein großer Teil des Umweltbudgets durch eine Maßnahme ohne Umweltziele bereits aufgebraucht wird. Für echte Naturschutzmaßnahmen bleibt dann weiterhin viel zu wenig Geld übrig. Auf Vorschlag von Österreich wurde hier noch eine weitere Ausnahme eingeführt: Die Mitgliedstaaten, die bereits aktuell schon mehr als 30% der 2. Säule für Umwelt- und Klimaleistungen ausgeben, können ihr Budget für die Eco-Schemes in der 1. Säule entsprechend reduzieren.

Dies ist nur ein Beispiel für das Schachern der Mitgliedsstaaten um Ausnahmen und Verwässerungen, das wir bereits bei der letzten GAP-Reformrunde beobachten durften. Statt gemeinsam hohe Ambitionen zu setzten, versucht jeder einzelne, seine Pfründe zu sichern und zukunftsfähige Veränderungen zu unterminieren. Dazu passt auch die vom Rat angestrebte Erhöhung des Anteils von gekoppelten Zahlungen von 10 auf 13% zu erhöhen. So können weiterhin in den Mitgliedsstaaten einzelne Sektoren künstlich „gepäppelt“ werden – nicht selten sind ist dies die Intensivtierhaltungsbranche.

Verwässerung der Prüfbarkeit der nationalen Umsetzung: Strategiepläne ohne den Green Deal

Eine große Hoffnung der Umweltverbände ruhte stets darauf, dass die Mitgliedstaaten in ihrer nationalen Umsetzung der GAP tatsächlich etwas „liefern“ müssen, weil die Kommission diese nationalen Strategiepläne am Ende genehmigen muss. Nun soll sich diese Prüfung der nationalen Strategiepläne nach dem Wunsch des Rates aber ausschließlich auf Rechtsakte stützen, die für die Mitgliedstaaten bereits jetzt rechtsverbindlich sind. Dies stellt eine ernsthafte Schwächung, wenn nicht sogar Verweigerung des Green Deals dar, denn die Kommission kann so bei der Prüfung der nationalen Strategiepläne die Einhaltung der Ziele aus den Strategien zu Farm 2 Fork und Biodiversität nicht einfordern.

Die Kontrollmöglichkeiten der Kommission bei den Strategieplänen werden weiterhin durch die Streichung diverser Indikatoren geschwächt, v.a. im Naturschutzbereich. Statt die tatsächliche Wirksamkeit von Maßnahmen durch Artenindikatoren für Vögel und Insekten oder den Anteil von Landschaftselementen wie Hecken zu messen, sollen nach dem Willen der Mitgliedstaaten lediglich „weiche“ Indikatoren wie die Anzahl der an Agrarumweltprogrammen teilnehmenden Betriebe überprüft werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Beschlüsse des Rats nicht nur unambitioniert sind, sie schwächen sogar systematisch den Green Deal der EU-Kommission, indem sie gegen die Farm-to-Fork-Strategie und die Biodiversitätsstrategie arbeiten.

Auch für den Agrarsektor ist dies kein gutes Ergebnis, hängt doch langfristig die Produktion unserer Nahrungsmittel direkt von einer intakten Umwelt ab. Bodenerosion, Dürreeffekte, Hitzewellen, Bestäubungsverluste usw. schwächen die Betriebe bereits jetzt – dies wird sich durch Klimakrise und Biodiveristätsverluste zukünftig wohl leider noch weiter verschärfen.

Wann der Rat seine rückwärtsgewandte Position mit dem Parlament und der Kommission im Trilog final aushandeln muss, lässt sich derzeit noch nicht sagen, da die Abstimmungen im Parlament noch bis Ende dieser Woche laufen. Die bisherigen Ergebnisse dort sehen fast noch desaströser aus als die Beschlüsse des Rats, wie mein Kollege hier analysiert hat.

Jetzt muss Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen endlich einsehen, dass der gegenwärtige GAP-Vorschlag mit dem Green Deal und einer zukunftsfähigen Politik nicht in Einklang zu bringen ist. Sie hätte jederzeit die Möglichkeit den GAP-Vorschlag zurückzuziehen und stattdessen einen neuen Vorschlag erarbeiten zu lassen.

 

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titelfoto: Europäische Union 2013

3 Kommentare

Axel Aßmann

22.10.2020, 14:42

Wenn Unsere Landwirtschaftsministerin von "Systemwechsel" spricht, muss ich mich fragen, ob sie entweder zu unwissend ist, um die Definition dieses Wortes zu kennen, oder sie täuscht bewusst die Bürger. Der Übergang der DDR in die BRD war ein Systemwechsel, der Übergang einer Autokratie in eine Demokratie ist ein Systemwechsel und der Übergang von der derzeitigen industriellen Landwirtwirtschaft hin zu einer ökologisch-nachhaltigen Landwirtschaft wäre ein Systemwechsel. Die Veränderungen durch die EU-Agrarbeschlüsse, hinsichtlich Umwelt- und Naturschutz, sind derart marginal, dazu noch verwässert und zeitlich verschoben, dass hiermit das Gegenteil eines Systemwechsels zu erwarten ist. Das alte System wir hierdurch gefestigt. Ich dachte, es sei bereits schlimm genug, was der Artenschwund anbetrifft, und die Politiker beginnen sich zu bewegen. Weit gefehlt. Politik scheint mir mehr denn je als eine Marionette mächtiger Lobbyisten. Es muss wohl noch schlimmer kommen, aber es könnte dann zu spät sein.

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Markus Dietrich

22.10.2020, 18:33

Warum sieht man den NABU nicht mit dem Thema in den Nachrichten.

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Florian Treede

23.10.2020, 09:04

Hallo Herr Dietrich, tatsächlich sind wir ziemlich gefragt. In diesem Beitrag finden Sie eine Stellungnahme unseres Kollegen Raphael Weyland. Es gab auch längere Diskussionsrunden im Deutschlandradio und einiges mehr. Vielen Dank für Ihre Fragen und dem Beitrag zur Diskussion. http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-772957.html

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