IUCN Kongress: Biodiversitätskrise beherzt anpacken!

13. September 2021. Vergangenen Samstag ging in Marseille der IUCN World Conservation Congress zu Ende. Hier hatten sich Naturschutz-Engagierte aus aller Welt zusammengefunden und vom 3. bis 11. September unter anderem diskutiert, wie der weltweite Biodiversitätsverlust gestoppt und umgekehrt werden kann.

Schnelles Handeln nötig im Kampf gegen das Artensterben

In seiner Eröffnungsrede am 3. September machte Emmanuel Macron deutlich, wie eng unser menschliches Wohlbefinden von intakter Biodiversität und Klima abhängt und wie dringend etwas gegen das Artensterben getan werden muss.

„There is no vaccine for a sick planet“ – es gibt keine Impfung für einen kranken Planeten, sagte er. Aber wir kennen die Lösungen: Der Natur wieder mehr Platz geben, Schutzgebiete ausweiten und besser schützen, Pestizide und Plastikmüll massiv reduzieren etc. – wie es in den Zielen es EU Green Deals verankert ist. Sogar Handelsabkommen sprach er an, diese sollen künftig besser mit Biodiversitäts- und Klimazielen vereinbar sein. Außerdem müssen im Vorfeld der beiden großen Vertragsstaatenkonferenzen zu Biodiversität( CBD COP-15) in Kunming und Klima (UNFCCC COP-26) in Glasgow die Agenden zu beiden Themen besser synchronisiert werden.

Blick auf die Hafenstadt Marseille, wo der IUCN World Conservation Congress stattfand

Die Dringlichkeit ist also ganz oben angekommen. Wichtig ist allerdings, dass den Worten auch Taten folgen.

Oder wie Harrison Ford sagte: „We have the ambitions for perfect solutions, for the perfect policy. Nobody has got that luxury anymore. We got to get to work. We got to make things happen. We got to make them happen now.“ (Wir haben die Ambition für perfekte Lösungen, die perfekte Politik. Niemand hat mehr diesen Luxus. Wir müssen sofort mit der Arbeit loslegen).

Wer mag, kann sich die gesamte Eröffnung u.a. mit Beiträgen von Frans Timmermanns, Christine Lagarde und Sebastiao Salgado hier anschauen.

Echte Aufbruchstimmung oder alles nur Show?

Moment, das kommt uns doch alles irgendwie bekannt vor? Na klar, im Januar hatte der One Planet Summit stattgefunden, bei dem ebenfalls zu schnellem Handeln aufgerufen worden war. Dort hatte sich auch (Noch-) Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Videobotschaft geäußert. Davon kann diesmal keine Rede sein – die Biodiversitätskrise scheint spätestens seit dem Wahlkampf kaum noch jemanden zu interessieren.

Und von der nötigen Transformation ist bisher nur wenig zu spüren. Es werden sogar weiterhin Deals geschlossen, die verhindern, dass Biodiversitätsziele erreicht werden können. So wurde von der EU beispielsweise gerade eine Agrarpolitik beschlossen, die den Biodiversitäts-Zielen des EU Green Deals widerspricht. Im schlimmsten Fall heißt das: Weitere sieben Jahre wird der Verlust der Biodiversität mit Milliarden von Steuergeldern angeheizt.

Auch beim Thema Schutzgebiete ist die Lücke zwischen Worten und Taten groß. Deutschland hatte sich im Januar zum 30%-Schutzgebietsziel bekannt. Und noch im Februar wurde Deutschland von der EU-Kommission verklagt wegen unzureichender Umsetzung der FFH-Richtlinie. Denn es fehlt weiterhin an Geld und Personal, um den Schutz und das Management in den Gebieten sicherzustellen.

Post-2020-Debatte: Raus aus dem Silo-Denken, rein in die Zusammenarbeit

Die Biodiversität auf einen Pfad der Erholung zu bringen ist eine enorme Herausforderung, die politisch angeschoben werden muss. Machen wir uns nichts vor: Das wird eine gewaltige Kraftanstrengung sein und nicht wenig Geld kosten. Aber der Preis des Nicht-Handelns ist noch viel höher. Einen Teil dazu beitragen werden effektiv gemanagte Schutzgebiete und die Renaturierung degradierter Ökosysteme. Doch so lange Sektoren wie Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Fischerei nicht naturfruendlich gestaltet werden, sind die Biodiversitäts-Ziele nicht zu erreichen. Diese müssen genau dort Eingang finden, damit das Artensterben gestoppt und der Trend umgekehrt werden kann.

Inger Andersson (Exekutivdirektorin des Umweltprogramms der UN) machte auf dem IUCN Congress sehr klar, dass die Treiber des Biodiversitätsverlustes angegangen und mit den entsprechenden Sektoren gemeinsam gearbeitet werden müsse („if we do not get them shift we will not get anywhere“). Sie riet der Naturschutz-Gemeinschaft, nicht nur auf kleine Naturschutz-Projekte zu fokussieren sondern weiter in die Gesellschaft hinein zu agieren und größer zu denken.

Veranstaltung im „Post-2020 Pavillion“, u.a. mit BirdLife Geschäftsführerin Patricia Zurita (links) und Inger Andersson (UNEP).

Carlos Manuel, ehemaliger Umweltminister von Costa Rica und seit letztem Jahr Geschäftsführer der Global Environment Facility stellte klar, dass das Verfehlen der Biodiversitätsziele in den letzten Jahren vor allem auch institutionellen Beschränkungen geschuldet sei:

„Do you see the ministries of environment and agriculture working and planning together? Never. This is the institutional limit for our sustainability work.“ (Sieht man die Agrar- und Umweltministerien jemals gemeinsam arbeiten und planen? Niemals. Das ist das institutionelle Beschränkungen unserer Nachhaltigkeits-Arbeit).

Diesen Punkt adressiert auch eine „Motion“, die von der IUCN-Mitgliederversammlung zum Ende des Kongresses beschlossen wurde. Sie hat zum Ziel, einen transformativen und effektiven globalen Rahmen für die Biodiversität nach 2020 zu entwickeln und umzusetzen.

Sie ruft die IUCN-Mitglieder, Vertragsstaaten der CBD, andere Regierungen, NGOs, indigene Völker und weitere Akteure unter anderem dazu auf, die direkten und indirekten Treiber des Biodiversitätsverlustes zu adressieren und im neuen globalen Rahmen-Abkommen Sektorziele zu definieren sowie Aktionspläne für Landwirtschaft, Fischerei, Forstwirtschaft, Infrastruktur und andere relevante Sektoren zu erstellen sowie den Dialog zwischen Stakeholdern auf nationaler und regionaler Ebene zu fördern.

Außerdem ruft die Motion dazu auf, einen starken Umsetzungsmechanismus einzuführen. Dieser soll neben regelmäßiger Berichterstattung und Überprüfung, sofern mit der nationalen Gesetzgebung vereinbar, Ratcheting und Compliance-Mechanismen umfassen, sowie eine globale Bestandsaufnahme enthalten, womit der Fortschritt bei der Erreichung der Ziele ​gemessen werden kann. Mein Kollege Raphael Weyland machte in seinem Blogbeitrag bereits deutlich, dass die Umsetzungsmechanismen in dem Abkommen deutlich geschärft werden müssen, ansonsten ist es zum Scheitern verurteilt.

Mehr Aufmerksamkeit der stummen Krise der Natur!

Auch unser Dachverband BirdLife International war mit einer kleinen Delegation vertreten. Gemeinsam mit einem breiten Bündnis aus nichtstaatlichen Organisationen rief BirdLife zum schnellen Handeln auf, um die Natur bis 2030 auf einen Weg der Erholung zu bringen. BirdLife Geschäftsführerin Patricia Zurita sagte: „We need to make transformative change happen now because we are at a tipping point“ – wir müssen den transformativen Wandel jetzt anstoßen, denn wir befinden uns an einem Kippunkt.

Für die deutsche Politik bedeutet das zu diesem Zeitpunkt vor allem, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu schenken und nach der Wahl beherzt anzupacken. Und zwar mit aller Priorität. Die Natur ist in Not! Das Massensterben von Vögeln und Insekten, die Hochwasserkatastrophen, versauerte Meere, die Dürre und das Waldsterben, all dies schreit nach langfristigen politischen Lösungen.

Der NABU fordert im Rahmen seines Natur-in-Not-Programms, unter anderem:

  • Die Renaturierung von mindestens 15% der Ökosysteme an Land und Meer bis spätestens 2030. Zur effektiven Umsetzung wird ein Renaturierungsfonds eingerichtet, über den jährlich 500 Mio. EUR bereit gestellt werden. Flächen des Bundes werden nicht weiter privatisiert sondern renaturiert.
  • In der Landwirtschaft 10% der Fläche von Acker- und Grünland sowie Sonderkulturen als nicht-bewirtschaftete Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen zur Verfügung zu stellen.
  • Gut vernetzte Schutzgebiete schaffen, die auch effektiv schützen (auf 30% der Land- und Meeresfläche). Zur angemessenen Finanzierung wird ein Sonderrahmenplan Biodiversität eingerichtet, welcher mit 500 Mio. EUR jährlich ausgestattet wird.
  • Deutschland zu einem globalen Champion für die Natur zu machen, indem es im Rahmen der Biodiversitätsverhandlungen z.B. Finanzierungshilfen von zwei Milliarden EUR pro Jahr zusagt und Biodiversität zu einem Schwerpunktthema bei der deutschen G7-Präsidentschaft 2022 macht.

Diese Wahl ist eine Schicksalswahl für Klima und Natur. Wichtige Weichen für die Zukunft müssen neu gestellt werden. Bedenken Sie dies, wenn Sie bei der Bundestagswahl Ihre Stimme abgeben – spätestens am 26. September!

In diesem Blog berichtet der NABU wie Deutschland, die EU und die Welt ein neues gloales Rahmen-Abkommen für die Biodiversität verhandeln (im Rahmen der Konvention über die biologische Vielfalt, CBD), welche Ziele bis 2030 gesetzt werden und wie es um die Umsetzung in Deutschland steht.

Keine Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

Bitte bleibe höflich.
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht und Pflichtfelder sind markiert.