Europawahl: mehr Bürger votieren für Umweltschutz

Die NABU-Analyse am Tag nach der Wahl

Die Bürgerinnen und Bürger der EU haben gewählt. Zwar können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen, was das Wahlergebnis für die Zukunft Europas bedeutet. Nicht absehbar ist vor allem auch, wie sich in den nächsten Wochen das Machtgefüge, die Postenverteilung und die inhaltlichen Festlegungen der Parteien entwickeln werden – und was das alles für den Natur- und Klimaschutz heißt. Hier folgt trotzdem eine erste Bewertung der gestrigen Wahl.

Das Europaparlament in Straßburg Foto: europarl.ie

Die Ergebnisse auf EU-Ebene

Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zu den drei vorangegangenen Wahlen deutlich gestiegen und liegt bei rund 50% (zuvor zwischen 34% und 45%). Dies ist ein wichtiges Zeichen, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Wahl ernst und Europa wichtig nehmen. Die christdemokratische Europäische Volkspartei bleibt mit 180 Sitzen die größte Fraktion, hat jedoch 36 Sitze verloren. Die Sozialdemokratische Fraktion bleibt mit 145 Sitzen die zweitgrößte Fraktion, muss aber mit einem Minus von 40 Sitzen den größten Verlust von allen Fraktionen hinnehmen. Die liberale ALDE-Fraktion zeigte mit 40 zusätzlichen Sitzen den größten Zuwachs auf nun insgesamt 109 Sitze, vor allem auch weil sie sich mit Präsident Macron’s Initative „La Renaissance“ zusammenschloss. Einen stärker als vorhergesagten Zuwachs können auch die europäischen Grünen feiern: mit einer Zunahme von 17 Sitzen entsenden sie nun 69 Abgeordnete nach Brüssel (unter anderem auch 2 aus Österreich, wo die Grünen bei der letzten Nationalratswahl aus dem Parlament geflogen waren). Auch die EU-feindliche Parteien nahmen zu (ohne dass es zu dem befürchteten Tsunami kam); die rechtspopulistische EFDD (zu der die AfD gehört) und die rechtsextreme ENF gewannen jeweils 12 und 22 Sitze. Die Wahlergebnisse finden Sie auf der Internetseite des Europaparlaments.

 

Die Ergebnisse in Deutschland

Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei über 60 Prozent und war damit so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die Union der CDU/CSU musste deutliche Verluste einstecken, ist aber weiterhin (mit knapp 29% der Stimmen) die stärkste Kraft in Deutschland und wird mit 29 Abgeordneten ins Europäische Parlament einziehen (einen Verlust von 5 Sitzen). Die Grünen erkämpften sich einen historischen Sieg und landeten als zweitstärkste Partei mit 20,5% der Stimmen bei 20 Abgeordneten (eine Zunahme von 9 Sitzen). Noch deutlicher wird die Unterstützung, wenn man sich die Gruppe der Wähler nach Alter anschaut: von den unter 30-Jährigen wählten etwa 33% die Grünen und nur 13% die CDU, und auch bei allen unter 60 jährigen Wählerinnen und Wählern lagen die Grünen vor der CDU. Historisch war auch die Niederlage der SPD (15,8%), die mit 16 Abgeordneten ins Parlament einzieht (11 weniger als zuvor). Die AfD schickt 11 Abgeordneten nach Brüssel (10 mehr als zuvor), während die Linke und die FDP jeweils 5 Abgeordnete stellen. Die restlichen 9 Plätze gingen an mehrere kleinere Parteien, darunter die Partei, Freie Wähler, Tierschutzpartei und ÖDP.

 

Was bedeutet das für den Naturschutz?

Die Ergebnisse in den meisten Ländern, ganz besonders aber in Deutschland, zeigen, dass Umwelt- und Naturschutz die Menschen bewegt und die Parteien daran nicht mehr vorbeikommen. „Klima- und Umweltschutz“ war in vielen Umfragen das wichtigste Thema dieser Europawahl.

Gleichzeitig sind die Erfolge der EU-feindlichen Populisten insgesamt nicht ganz so hoch wie befürchtet, auch wenn gerade die Ergebnisse in Italien, Frankreich und Polen, sowie in Teilen Deutschlands sehr besorgniserregend sind.

Die Tatsache, dass die „rot-schwarze“ große Koalition im Europaparlament keine absolute Mehrheit mehr hat, lässt hoffen, dass nun mehr ökologische Inhalte aufgegriffen werden, zum Beispiel wenn demnächst die neue EU-Kommission gebildet und ihr Arbeitsprogramm entwickelt wird. Eine Situation wie 2014, als Jean-Claude Juncker beschloss, die Naturschutzrichtlinien aufzuweichen und einen eigenständigen Umweltkommissar abschaffte, wird vermutlich nicht wieder eintreten. Auf der anderen Seite drohen ernsthafte Störmanöver der Populisten, sollte es ihnen gelingen, sich in einigermaßen schlagkräftigen Fraktionen zusammenzuschließen.

 

Wie geht es jetzt weiter?

Die nächsten Tage und Wochen werden vom Ringen um die Spitzenposten der EU geprägt sein (allen voran um den Posten des Kommissionspräsidenten bzw. der Kommissionspräsidentin), gefolgt von der Besetzung der Ausschüsse im Europäischen Parlament und im Herbst dem Einsetzen der neuen EU-Kommission. Dazu laufen die EU-Haushaltsverhandlungen und die Verhandlungen über den Brexit weiter. All dies wird von großer Bedeutung für unsere Aufgabe sein, in den nächsten Jahren die dringend erforderliche Wende in der Energie-, Verkehrs-, Ressourcen- und Agrarpolitik zu erreichen, und die notwendigen Regeln und Investitionen für Klima- und Naturschutz auf den Weg zu bringen. 2020 wird ein entscheidendes Jahr gerade für die Artenvielfalt. Die Person des nächsten Kommissionspräsidenten, die am 1. November auf Jean-Claude Juncker folgt, wird großen Einfluss haben, auch für die Frage, ob es endlich wieder eine/n eigene/n Umweltkommissar/in gibt und mit welchen Kompetenzen.

 

Umwelt- und Naturschutz erfolgreich im Wahlkampf eingezogen!

In Deutschland und in vielen anderen EU-Ländern war die Aufmerksamkeit auf die Europawahl größer denn je. Eine Vielzahl von Organisationen, Vereinen und Gruppen haben zum Wählen aufgerufen und die Bedeutung der Wahl und der EU selbst kreativ und eindrücklich kommuniziert. Die Medien haben sehr viel mehr und oft auch tiefgründiger berichtet über die EU als jemals zuvor. Beeindruckend war hierbei – zumindest in Deutschland – vor allem die Umweltbewegung. Der NABU möchte allen Wählerinnen und Wählern danken, die ihr Kreuz für eine Partei gemacht haben, die sich für den Umwelt- und Naturschutz stark macht.

Der NABU und seine Dachverbände DNR (#natürlichEuropa) und BirdLife (#IvoteNature) haben vielen Menschen in Deutschland und in anderen Ländern nahe gebracht, wie wichtig die EU für Natur- und Umweltschutz ist, und was bei dieser Wahl auf dem Spiel stand.

Viele Verbände, darunter auch der NABU, haben dazu beigetragen, dass die Themen Klima- und Naturschutz bei Umfragen wieder ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Für ordentlichen Rückenwind sorgte auch die „Fridays-for-Future“-Bewegung. Das hätte man sich bei der letzten Europawahl nicht träumen lassen. Kaum eine Partei konnte es sich noch leisten, auf diese Themen zu verzichten – zumindest rhetorisch waren sie fast alle dabei.

Die Parteien selbst und ihre Kandidatinnen und Kandidaten haben es allerdings nur stellenweise geschafft, sich von ihrem nationalen Konkurrenzkampf zu lösen und die großen Weichenstellungen zu benennen, für die sie auf EU-Ebene stehen. Es war durchaus enttäuschend zu sehen, wie „alt“ die Politik oft aussah, verglichen mit dem bunten Druck aus Zivilgesellschaft und auch der Wirtschaft.

Der NABU und seine befreundeten Umweltverbände haben sich in den letzten Monaten mit besonders großem Einsatz für Europa engagiert. Jetzt erwarten wir von der Politik ein entschlossenes Handeln für unseren Kontinent und unseren Planeten. Wir lassen die frisch gewählten Parlamentarier nicht mehr unbeobachtet. Dabei nehmen wir auch die Bundesregierung in die Pflicht: viel zu passiv hat sie sich in den letzten Jahren gezeigt, Umweltschutz blockiert, Initiativen von Nachbarländern nicht aufgegriffen. In den Jahren 2019/2020 stehen mit der EU-Agrarreform, den Haushaltsverhandlungen und dem Weltnaturschutzabkommen große Herausforderungen an, die Deutschland in der zweiten Jahreshälfte sogar als EU-Ratspräsidentschaft angehen muss.

Raphael Weyland
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