Die Endlosschleife ums Düngegesetz – Umweltkatastrophe mit Ansage
Die Aufgabe, den Nährstoffüberschuss aus der Landwirtschaft durch gesetzliche Regelungen in den Griff zu bekommen, bleibt trotz jahrzehntelanger Versuche ungelöst. Die jüngsten politischen Entwicklungen geben wenig Hoffnung auf Besserung. Dabei sind die Auswirkungen der übermäßigen Düngung auf Gewässer und Artenvielfalt alarmierend. Deshalb müssen die Probleme der deutschen Landwirtschaft endlich grundlegend angegangen und das Düngerecht konsequent im Sinne des Umweltschutzes reformiert werden.
Die Nährstoffbelastung der Umwelt ist eines der drängendsten Probleme der Landwirtschaft. Vor allem hohe Stickstoff- und Phosphoreinträge verschmutzen die Gewässer und haben enorme Auswirkungen auf die Pflanzen- und Tierwelt. Das Düngerecht in Deutschland schafft es seit Jahrzehnten nicht, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Der weiterhin hohe Nährstoffüberschuss aus der Landwirtschaft führt zu Todeszonen in den Meeren, zum Verschwinden von sensiblen, artenreichen Lebensräumen und nicht zuletzt zu enormen gesellschaftlichen Kosten zum Beispiel für die Wasseraufbereitung. Das Gezerre im letzten Jahr über die Anpassungen im Düngegesetz ist Ausdruck dieses Versagens.
Die deutsche Düngegesetzgebung ist vor allem die Umsetzung europäischen Rechts. Schon 1991 hat die EU die Nitratrichtlinie ins Leben gerufen. Mit dem primären Ziel des Gewässerschutzes soll sie die Nährstoffüberschüsse aus der Landwirtschaft senken. Doch die Umsetzung ist, wie auch in anderen Fällen der Umweltgesetzgebung (etwa die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie), nach 30 Jahren immer noch unbefriedigend. Auch der dieses Jahr erschienene Nitratbericht zeigt kaum Verbesserungen der Gewässerqualität. Immer noch weisen gut ein Viertel der Grundwassermessstellen Werte über dem Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter auf. Diese Verschleppung führte bereits 2018 zur Verurteilung Deutschlands vor dem Europäischen Gerichtshof. Hohe Strafzahlungen konnten nur durch mehrere Änderungen der Düngegesetzgebungen und Versprechungen an die EU abgewendet werden.
Drohendes Vertragsverletzungsverfahren
Doch damit ist das Schauspiel nicht vorbei. Für die der EU versprochenen Maßnahmen, wie die Einführung des bundesweiten Wirkungsmonitorings, sieht es nicht gut aus. Die Bundesregierung hat unter anderem hierfür im April letzten Jahres einen Entwurf zur Änderung des Düngegesetzes vorgelegt. Nach einer langen Hängepartie im Bundestag konnte die Ampel-Koalition sich nach mehr als einem Jahr im Juni auf einen Kompromiss einigen. Doch die Länder blockierten die Anpassungen im Bundesrat, sodass das Gesetz nicht verabschiedet werden konnte. Ob es nun in den Vermittlungsausschuss übergeben wird, ist nach wie vor unklar. Auch wenn es keine starre Frist für die Einberufung des Vermittlungsausschusses gibt, sollte dies in „angemessener Frist” geschehen. Eine weitere Verzögerung könnte auch die Geduld der EU auf die Probe stellen und macht ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren immer wahrscheinlicher.
Der Hauptstreitpunkt bei der Änderung des Gesetzes ist die verpflichtende belegbasierte Bilanzierung der Nährstoffflüsse eines Betriebs. Angedacht ist sie als Instrument, um die Nährstoffströme in den Betrieben zu überwachen und zu verbessern, indem Ursachen für Überschüsse ermittelt und dadurch die Nährstoffflüsse besser gesteuert werden können. Die Bilanzierung ist auch schon heute für die Mehrheit der Betriebe Pflicht und in der Stoffstrombilanzverordnung (soll in Nährstoffbilanz umbenannt werden) geregelt. Es fehlen jedoch verbindliche Höchstwerte, Sanktionen und begleitende Beratung, sodass die Bilanzen bisher wenig Lenkungswirkung und Aussagekraft für die Landwirtschaft bringen.
Entlastung für die Landwirtschaft möglich
Die Nährstoffbilanz wird von manchen Stakeholdern unter anderem mit dem Argument abgelehnt, die EU-Kommission habe diese nicht verlangt. Aus der Sicht des Naturschutzes und der Reduktion der Nährstoffüberschüsse ergibt eine wirksame Bilanzierung in Kombination mit dem Monitoring aber definitiv Sinn, denn nur durch die belegbasierte Bilanzierung können die Ursprünge der Überschüsse aufgezeigt und das Monitoring validiert werden. Sie ist die Voraussetzung, um endlich die Landwirt*innen zu entlasten, die sich an die Regeln halten, und um die Verursacher der hohen Nährstoffüberschüsse zu ermitteln. Mittelfristig könnte die Bilanzierung bei guter Umsetzung die komplizierte Düngeverordnung ablösen und somit auch eine Entlastung für die Landwirtschaft schaffen.
Bleibt es bei diesem Status quo, in dem die Stoffstrombilanz keine ökologische Wirkung entfalten kann, und sie zusätzlich wenig Anreize für Betrieb bietet, maßvoll zu düngen, wäre die Kritik an unnötiger Bürokratie verständlich. Die Forderung nach einer gänzlichen Streichung, wie sie im Zuge der Agrarministerkonferenz gefordert wurde, und die angekündigte Aussetzung ist es jedoch nicht. Vielmehr muss nun die Gelegenheit genutzt werden, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Verordnung so anzupassen und weiterzuentwickeln, dass sie ihren Zweck erfüllt. Es liegt dann in der Verantwortung der Länder, die Anforderungen so umzusetzen, dass sie für die Landwirtschaft mit möglichst wenig Mehraufwand angewandt werden können und durch ergänzende Beratung den erhofften Nutzen bringen.
Das Problem endlich bei der Wurzel packen
Doch die großen Widerstände rühren auch daher, dass eine ganzheitliche Betrachtung der Stoffströme das ursächliche Problem mehr in den Mittelpunkt rücken könnte: die massive Konzentration der Tierhaltung. Durch die intensive Stallhaltung in wenigen Regionen, die gänzlich von der Fläche entkoppelt ist, fallen lokal hohe Mengen an Nährstoffen durch Gülle und Mist an. Ein Transport dieser Wirtschaftsdünger in andere Regionen mit weniger Viehhaltung ist teuer und aufgrund noch günstiger Mineraldünger nicht konkurrenzfähig und auch ökologisch nicht sinnvoll. Ein Blick auf die Landkarte zeigt die Verbindung von hohen Besatzdichten und Stickstoffüberschüssen deutlich auf.
Wieder einmal wird deutlich: Wenn wir Umweltprobleme in den Griff bekommen wollen, müssen wir das landwirtschaftliche System als Ganzes betrachten. Auch wenn die Tierbestände seit Jahren konstant sinken und insbesondere die Schweinehaltung abnimmt, ist der Umbau der Tierhaltung hin zu einer Entzerrung der Bestände und die Reintegration von Ackerbau und Viehzucht anzustreben. Denn eine weiterhin hohe Konzentration der Tierbestände in den wenigen verbleibenden Betrieben kann die Nährstoffproblematik nicht lösen und ist auch nicht im Sinne der gesellschaftlichen Erwartungen an die Landwirtschaft. Auch wenn der Wert der Stickstoffüberschüsse immer noch zu hoch ist, lässt sich in Deutschland in den vergangenen Jahren ein Trend zum Rückgang beobachten – einhergehend mit einer Verringerung des Mineraldüngereinsatzes und der Tierzahlen. Dies hat verschiedene Gründe: So spielen sicherlich auch die angestiegenen Preise für Düngemittel und die Dürrejahre eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Dennoch haben die anfänglichen Änderungen in der Düngegesetzgebung 2017 und 2020 eine Wirkung entfaltet – es zeigt sich also: Ordnungsrecht wirkt. Doch zum Erreichen der Umweltziele muss dieser Weg weitergegangen und beschleunigt werden.
Das Ziel nicht aus den Augen verlieren
Die gesamte Diskussion ums Düngerecht wird oft unabhängig davon geführt, worum es wirklich geht. Die Auswirkungen der übermäßigen Düngung sind nicht von der Hand zu weisen. Die Sensibilität der Ökosysteme ist vielfach belegt: Zum Beispiel dominieren auf nährstoffreichem Grünland nährstoffliebende Arten die Bestände und verdrängen andere Arten. Nicht zuletzt ist das über die FFH-Richtlinie geschützte artenreiche Grünland unter anderem durch übermäßige Düngung in einem schlechten Zustand. Auch die Meeresökosysteme kippen; so geht es auch den für viele Arten und den Klimawandel entscheidenden Seegraswiesen schlecht. Aus Sicht der Landwirtschaft ist das ewige Hin und Her frustrierend und das Gegenteil von Planungssicherheit.
Die Düngegesetzgebung darf nicht mehr länger entlang der Diskussionslinie um Minimalkompromisse verlaufen, sondern muss den Zweck in den Mittelpunkt stellen: Das bedeutet konkret, die tatsächlichen Nährstoffbedarfe der Pflanzen anzusetzen und Nährstoffüberschüsse, die Menschen und Umwelt gefährden, konsequent zu vermeiden. Hierfür gilt es über das Düngegesetz hinaus zu denken, beispielsweise über angepasste Fruchtfolgen, Qualitätsstandards in der Getreideproduktion und die Aufhebung der Konzentration der Tierhaltung. Die Anpassungen des Düngegesetzes wären ein erster kleiner Schritt. Denn es braucht einen verlässlichen Rechtsrahmen, der flankiert wird durch weitere marktorientierte Maßnahmen und Anreize, die diejenigen, die gut wirtschaften, entlasten und Anreize für einen ressourcenschonende Landwirtschaft setzen.
Der Beitrag erschien in leicht abgeänderter Form bereits im Tagesspiegel Background vom 11. September 2024.
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5 Kommentare
Martin Haase
25.09.2024, 08:08Nach den neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen stammen über 60% der Nähstoffbelastungen in den Flüssen und Meeren aus den Kläranlagen. Das Problem sollte vorrangig a gegangen werden.
AntwortenCäcilia Hagenow
25.09.2024, 09:45Sehr geehrter Herr Haase, Sie haben recht das auch Kläranlagen belasten unsere Gewässer mit Nitraten und hier müssen bessere Lösungen gefunden werden. Jedoch in einem weitaus kleineren Maßstab als die Landwirtschaft. Im Nitratbericht auf den ich im Artikel verwiesen habe werden sogenannte Punktquellen wie Kläranlagen bei der Auswahl der Messtellen beachtet so kann die Rolle der Landwirtschaft eindeutig nachgewiesen werden.
AntwortenChristine Steck
25.09.2024, 08:521. Wie ist es dazu gekommen, dass in manchen Landkreisen die Stickstoffbilanz rot ist? 2. Müssten die roten Bereiche für Stickstoffüberschuss und hohem Tierbestand nicht identisch sein? Warum sind sie das nicht immer? 3. Die Aufhebung der Konzentration des Tierbestands, würde bedeuten: a) mehr Ställe bauen in den grünen Bereichen? b) weniger Fleisch produzieren? Oder gibt es noch mehr Punkte dabei und welche strebt die Bundesregierung an?
AntwortenNadja
27.09.2024, 08:16Wir sollten mal schauen wie unsere Vorfahren die Bodenqualität vor nicht all zu langer Zeit verbessert bzw. gehalten haben.
AntwortenManfred Schumann
27.09.2024, 09:40Nicht nur das Nitrat-Problem sollte mit hoher Priorität behandelt werden, sondern auch, dass so wie es aussieht in unseren Gewässern (Seen und Flüsse) seit Jahrzehnten hohe Glyphosatwerte in den Sedimenten nachgewiesen werden konnten, die nicht durch das Ausbringen auf den Äckern erklärbar sind, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit, als Umwandlungsprodukt von Aminopolyphosphonaten (ist fast allen europäischen, Waschmitteln als Wasserenthärter zugesetzt), in die europäischen Flüsse gelangt. Siehe untenstehender Link https://www.mdr.de/wissen/news/glyphosat-vielleicht-aus-waschmitteln-100.html
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