Gesetzesvollzug ist Aufgabe für Rechtsstaaten(verbünde)

Vollzug von Umweltrecht auch nötig, um Vertrauen in EU und Institutionen zurückzugewinnen

Von Laura Hildt und Dr. Raphael Weyland

Justitia – Symbol für Gerechtigkeit und das Rechtswesens. Foto Raphael Weyland

Leider setzt sich in den letzten Jahren bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – auch Deutschland – der Trend fort, EU-Recht und insbesondere Umweltrecht immer schlampiger oder gar nicht um- und durchzusetzen. Diese Entwicklung ist aus verschiedenen Gründen gefährlich. Sie droht ganz grundlegend, das System des Rechtsstaats und der Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen. Mit der Konsequenz, dass auch Bürgerinnen und Bürger weiter Vertrauen in Institutionen und die EU verlieren. Schließlich müssen sie sich selbst an Recht und Gesetz halten, bekommen aber leicht den Eindruck, dass die „großen Fische“ (Stichwort #Dieselgate) unbescholten davon kommen. Darüber hinaus leiden auch die materiellen Ziele, welche mit der EU-Gesetzgebung verfolgt werden, sei es der Klima-, Natur- oder Gewässerschutz. Der folgende Beitrag geht diesem Vollzugs-Problem nach und zeigt Schritte auf, die von Zivilgesellschaft und Akteuren wie dem NABU unternommen werden (können).

 

A. Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss liefert gute Gründe für den Umweltrechts-Vollzug

Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Nein, es sind nicht die „Ökos“, sondern der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA). Dieser kritisiert in seiner Ende Mai 2018 verabschiedeten Stellungnahme (Berichterstatter: Arnaud Schwartz, Bericht NAT/730) die mangelhafte Durchsetzung der Umweltvorschriften durch die EU Kommission. Das sagt etwas über die Dimension des Problems aus.

Deckblatt der EWSA-Stellungnahme. Foto NABU

In ihrer in Bezug genommenen Mitteilung stellt die EU-Kommission Maßnahmen vor, die vermeintlich den Vollzug des Umweltrechts verbessern sollen. Dabei beziehen sich alle vorgestellten Maßnahmen auf die Unterstützung und den Aufbau von Kapazitäten auf Ebene der Mitgliedstaaten. Keine der Maßnahmen beinhaltet die Überwachung und Durchsetzung von Umweltrecht auf EU-Ebene durch die Kommission selbst. Der EWSA kommt daher zu dem Schluss, dass der Aktionsplan sehr „weich“ ist und kaum zu einem besseren Vollzug des Umweltrechts führen wird. Demnach (Ziffer 3.4.5) ist der EWSA „ernstlich besorgt, dass es innerhalb der Europäischen Kommission an politischem Willen mangelt, was dazu führt, dass Beschwerden nicht weiterverfolgt werden.“

Der EWSA betont die Bedeutung von Vertragsverletzungsverfahren für den Schutz der Bürgerinnen und der Umwelt. Der vielschichtig besetzte Ausschuss fordert die EU-Kommission auf, systematisch die Verstöße von Umweltrecht zu verfolgen und ihrer Rolle als Hüterin der Verträge (Art. 17 EUV) in Umweltangelegenheiten gerecht zu werden. Dabei macht der EWSA auch auf die positiven Auswirkungen der Verfahren, über ihren unmittelbaren Anwendungsfall hinaus, aufmerksam. Diese bestehen unter anderem in der Signalwirkung für andere Mitgliedstaaten, die zur besseren Regelkonformität beitragen kann, das Vertrauen in EU-Recht allgemein stärken kann und zeigt, dass die EU den Umweltschutz ernst nimmt – was momentan weniger ersichtlich ist. Außerdem geht es um das sogenannte „common level playing field“, also gleiche Bedingungen für alle Mitgliedstaaten anstelle eines „Race to the bottom“.

 

B. Auch Deutschland leider nicht der selbsternannte „Musterschüler“

Auch in Deutschland besteht eine mangelhafte Umsetzung und Durchsetzung der Umweltvorschriften. Deutschland ist nicht der Vorreiter, für den es sich gerne gibt. So waren im Dezember 2017 laut Auskunft der Bundesregierung im Bereich Natur- und Umweltschutz 15 Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik anhängig. Die Zahl der Beschwerden, die sich bei der Kommission auf dem Schreibtisch stapeln und darauf warten vorangetrieben zu werden, wird weitaus höher sein.

„Nature’s last line of defence“, 17.5.2018, Europaparlament, Brüssel. Foto Birdlife

Während 12 der Verfahren sich noch auf der Stufe der Mahnschreiben oder begründeten Stellungnahme befinden, sind in drei Verfahren bereits Klagen gegen Deutschland eingeleitet worden. Zweidrittel der anhängigen Verfahren beinhalten nicht ordnungsgemäß umgesetzte Richtlinien. Insbesondere die Umsetzung und Anwendung der FFH-Richtlinie ist Inhalt mehrerer Verfahren. Auch die Umsetzung und Anwendung der UVP-Richtlinie steht mehrfach in der Kritik. Weitere von der EU-Kommission vorangetriebene Verfahren beinhalten Verstöße gegen die Luftqualitätsrichtlinie, das Wasserrecht und die Nitrat-Richtlinie (vgl. hierzu auch die Pressemitteilung des NABU zum aktuellen EuGH-Urteil).

Während Deutschland in erster Linie selbst für die Umsetzung von EU-Umweltrecht verantwortlich ist, hat die EU-Kommission als Hüterin der Verträge die Aufgabe, aktiv gegen die unzureichende oder fehlerhafte Umsetzung von Umweltvorschriften vorzugehen. Da die Umwelt, im Vergleich zur Wirtschaft, keine eigene Stimme hat, ist es besonders wichtig, dass die altruistische Arbeit der Umweltverbände bei der Kommission auf Gehör stößt. Die Ermächtigung der EU-Kommission, Verstöße zu verfolgen, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten und diese bei Bedarf dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen, überträgt der EU-Kommission auch die Verantwortung, die „Letzte Verteidigungslinie (so der Titel einer Veranstaltung unter Beteiligung des NABU in Brüssel) von Natur und Umwelt zu sein.

 

C. Die Rolle der Zivilgesellschaft und von Organisationen wie NABU

Wenn Deutschland EU-Umweltrecht fehlerhaft oder verspätet umsetzt, ist die EU-Beschwerde eine der Maßnahmen, die der NABU ergreifen kann, um die EU-Kommission auf den Verstoß aufmerksam zu machen. Leider scheint die EU-Kommission selbst diesen Beschwerden nicht ausreichend Priorität beizumessen, so dass häufig jahrelang wenig passiert bzw. zumindest Unklarheit über den Verlauf der Beschwerden besteht. Nun machen auch Stimmen aus Brüssel auf diesen Mangel an politischen Willen aufmerksam und fordern die EU-Kommission auf, sich aktiver für den Vollzug des Umweltrechts einzusetzen.

Einladung zur Veranstaltung. Foto: NABU/BirdLife

Nachdem nationale Maßnahmen nicht ausreichten, um eine bessere Durchsetzung des geltenden Umweltrechts in Deutschland herbeizuführen, hat sich auch der NABU mit mehrere Beschwerden gegen Deutschland an die EU-Kommission gewandt. So reichte der NABU im April 2014 eine Beschwerde zum Grünlandverlust ein und beklagt darin Vollzugsdefizite, die dazu führen, dass sich Deutschland immer weiter von den verbindlichen Zielen der FFH-Richtlinie entfernt. Zwischen 2008 und 2014 verbesserte sich kein einziger Lebensraumtyp, während sich 13 deutlich verschlechterten und der Erhaltungszustand vieler FFH-Lebensraumtypen schlecht oder unzureichend ist. Deutschland verstößt demnach gegen das Verschlechterungsverbot aus Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie. Der NABU beklagte zudem, dass die Landes- und Bundesregierung die Zerstörung und Verschlechterung der Grünland-Lebensraumtypen trotz zur Verfügung stehender Vollzugsinstrumente tolerieren.

Leider muss auch der NABU selbst erfahren, wie lange es dauert, bis die Kommission eine Beschwerde vorantreibt. Daher hinterfragt auch der NABU den politischen Willen der EU-Kommission, umweltrechtliche Beschwerden voranzutreiben und sich aktiv für einen besseren Vollzug des Umweltrechts einzusetzen. So besteht auch Unklarheit über den Verlauf der Grünlandverlust-Beschwerde: Knapp drei Jahre nach Einreichen, im März 2017, hieß es auf Nachfrage, die Beschwerde würde nun außerhalb der Generaldirektion Umwelt bei der EU-Kommission liegen. Diese Verzögerung führt zu großflächigem Verlust von artenreichem und geschützten Grünland und der Umwandlung in artenarme Graswüsten oder Ackerland. Immerhin könnte nun endlich – auch dank des Drucks des NABU – langsam Bewegung in den Fall kommen. Eine am 28.05.2018 veröffentlichte Antwort von EU-Umweltkommissar Karmenu Vella auf eine Parlamentarische Anfrage der Europaabgeordneten Ska Keller offenbart: „Deutschland hat … erklärt, dass sich die Lebensraumtypen für Mähwiesen in einem ungünstigen Erhaltungszustand befinden und eine negative Entwicklung festzustellen ist. Die Kommission wird sich schriftlich an die betreffenden Mitgliedstaaten einschließlich Deutschlands wenden, um die Frage der durch die landwirtschaftliche Erzeugung verursachten Verschlechterung der Lebensräume für Vögel anzusprechen.“ Dieser schriftliche Brief deutet auf den ersten Schritt eines Vertragsverletzungsverfahrens hin, der offenbar unmittelbar bevorsteht oder bereits eingeleitet wurde.

Auch im Gewässerschutz ist Deutschland alles andere als ein Vorreiter. Der NABU und der BUND reichten dementsprechend im August 2017 eine Beschwerde wegen mangelhafter Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ein. Darin beklagen die beiden Umweltverbände, dass Deutschland die Umweltziele des Art. 4 Abs. 1 WRRL nicht hinreichend umsetzt und es zudem versäumt, die Verantwortung für die Umsetzung der WRRL an Bundeswasserstraßen klar zu verteilen. Auch hier scheint die EU-Kommission bisher wenig zu unternehmen, um sich der Beschwerde anzunehmen und sich für den Gewässerschutz einzusetzen.

 

D. Fazit

Um ihrer Rolle als Hüterin der Verträge gerecht zu werden, muss die EU-Kommission entschiedener und mit klarem politischen Willen gegen Umweltrechtsverstöße vorgehen und konsequenter Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen. So würde dem Natur- und Umweltschutz durch die Verbände eine Stimme gegeben. An konkreten Schritten schlagen die Verbände wie auch der NABU insbesondere vor:

Der angebliche Vollzugs-Dreiklang der EU-Kommission: Sprich darüber, kontrolliere und leite notfalls Vertragsverletzungsverfahren ein. Quelle: Generaldirektion Umwelt

  • Mehr Personal und Ressourcen für die schnellere und gründlichere Bearbeitung von Beschwerden
  • Transparentere Beschwerde- und Vertragsverletzungsverfahren
  • Vollständige Bearbeitung von Beschwerden, um Straflosigkeit zu vermeiden und Umweltschäden zu minimieren
  • Schnelle Bearbeitung von Beschwerden, um schwerwiegende Umweltschäden zu vermeiden
  • Anordnung von vorläufigen Maßnahmen durch den EuGH als Möglichkeit, weitere Schäden vor der endgültigen Entscheidung zu vermeiden
  • Effektive Strafen als Abschreckungsmaßnahmen für Umweltkriminalität

Da die einschlägigen Rechtsvorschriften bereits bestehen, ist die unzulängliche Sicherstellung von Rechtskonformität eine vertane Chance der Kommission, den Werten der EU gerecht zu werden und eine Vorreiterrolle im wirksamen Schutz von Umwelt und Bürgerinnen einzunehmen.

Raphael Weyland
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