Brexit: Deal, Umwelt und aus?

Die EU und Großbritannien. Foto Willfried Wende

 

Liebe Leserinnen und Leser,

ich weiß dass der Brexit bei vielen von uns nicht (mehr) zu den Lieblingsthemen zählt. Auch ich habe andere Favoriten. Trotzdem kann und möchte ich Ihnen und Euch diesen Text nicht ersparen. Denn schließlich hat das künftige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Großbritannien Auswirkungen für den Umwelt-, Klima- und Naturschutz. Ganz ausblenden sollten wir das Thema also auch in Zukunft nicht. Aber seht selbst!

Die unendliche Geschichte

Im Juni 2016 entschieden sich eine hauchdünne Mehrheit der Briten dafür, die Europäische Union verlassen zu wollen. Damals schrieb ich, dass mit dieser Entscheidung auch die Juncker-Politik einer sozial unfairen, den Umweltschutz vernachlässigenden und wenig bürgerdemokratischen Union gescheitert sei (siehe diesen Naturschätze.Retten-Blog). Wir alle wissen, dass das Drama sich sodann in die Länge zog. Im Oktober 2017 veranstalteten wir vom NABU mit unserem Partnerverband RSPB aus Großbritannien in der britischen Botschaft in Berlin eine Veranstaltung, um Leitlinien für einen umweltschutzkonformen Deal aufzuzeigen (näheres in diesem Naturschätze.Retten-Blog). Auch zur Europawahl 2019 ließen wir den Vorsitzenden des RSPB zu Wort kommen und erinnerten daran, einen Unterbietungswettbewerb zu vermeiden (siehe diesen Gastbeitrag von Mike Clarke). Umwelt- und Naturschutz sind schließlich grenzüberschreitend nötig. Eigentlich sollte es dann schon im Januar letzten Jahres konkreter werden mit dem Brexit-Deal, also dem Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien. Also formulierten wir erneut Ideen und bewerteten die aktuelle Debatte (siehe diesen teils mahnenden, teils vorsichtig optimistischen Naturschätze.Retten-Blog). Doch letztlich sollte noch ein weiteres Jahr vergehen. Die vom Europäischen Parlament wegen der Vertragsprüfung gesetzte Frist vor der Weihnachtspause war bereits verstrichen. Der NABU warnte kurz vor Jahresende davor, ein Abkommen um jeden Preis zu schließen (siehe diese Pressemitteilung). Das Aufgeben von in der EU bestehenden Umweltschutzstandards etwa, nur um den Briten entgegenzukommen, war unbedingt zu vermeiden. Am 24. Dezember 2020 einigten sich die EU und UK aber in letzter Minute vor Vollzug des Brexits doch noch auf ein Handelsabkommen. Viele hielten es wichtig, einen „Deal“ zu haben, statt in die bürokratischere und ungewissere „No-Deal-Situation“ einzutreten.

 

Das Handelsabkommen

Was steht diesbezüglich nun in dem langen, teils aber dennoch wenig spezifischen Vertragstext (in verschiedenen Sprachen hier abrufbar)? Vorweg: ganz so tragisch wie befürchtet ist die Vereinbarung bezüglich fairer Wettbewerbsbedingungen und geltender Umweltstandards nicht. Gleichwohl sind die Sicherheitsmechanismen, um künftige Abwärtsspiralen („race to the bottom“) zu verhindern, nicht besonders stark (siehe für eine weitergehende Analyse z.B. auch diesen Beirag von Martin Harper vom RSPB).

Das in der englischen Fassung einschließlich der Anhänge 1449 Seiten umfassende Abkommen gliedert sich in verschiedene Teile. Von diesen sind für den Umweltschutz wohl vor allem jene zum „fairen Wettbewerb“ (Teil 2, Unterabschnitt 1, Überschrift 11) mit den allgemeinen Bedingungen (Kapitel 1) und den besonderen Vorschriften zu „Umwelt und Klima“ (Kapitel 7) relevant.

  • Bezüglich des fairen Wettbewerbs wurde blumig ein Wettbewerbsumfeld mit hohem Schutzniveau vereinbart (Überschrift XI, Kapitel 1, Artikel 1). Hervorgehoben wird dabei der Handel als Hauptzweck des Abkommen, nicht die Harmonisierung von Standards.
  • Im (Unter-) Kapitel zu Umwelt und Klima findet sich sodann zwar die Auflistung verschiedener Umweltgüter wie Naturschutz und Biodiversität, die zum gemeinsamen Schutzniveau zählen sollen (Kapitel 7, Artikel 7.1).
  • Allerdings ist die gewählte Formulierung, die das  gemeinsame Schutzniveau für einen fairen Wettbewerb sichern soll (in Artikel 7.2), interpretationsbedürftig. Diese stellt nämlich ein Verhältnis zum Handel oder Investitionen der Vertragsparteien her („in a manner affecting trade or investment between the parties“). Die genaue Reichweite muss sich hier erst noch zeigen.
  • Das heißt zum anderen aber vor allem, dass vom Grundsatz her nur die heutigen Standards das Schutzniveau des Wettbewerbsumfelds bilden. Zukünftige Fortschreibungen müssen nicht automatisch von beiden Seiten übernommen werden.
  • Bezüglich gewisser Grundprinzipien des Umweltschutzes (Artikel 7.4) verpflichten sich die Vertragsparteien vom Wortlaut her auch nur, diese zu respektieren, sprechen aber nicht von „umsetzen“.
  • Die Durchsetzung der Gewährleistung des Schutzniveaus erfolgt (laut Artikel 7.5) durch die jeweiligen Behörden der Vertragsparteien selbst. Im Unterschied zu anderen Vertragsbestandteilen greifen also nicht die Regeln über den eigentlichen Streitbeilegungsmechanismus (Teil 6, Dispute Settlement). Eine effektive Kontrolle unabhängig von den Mitgliedstaaten, wie wir sie in der EU z.B. durch den EuGH kennen, gibt es bezüglich der Achtung gemeinsamer Umweltstandards naturgemäß auch nicht mehr.
  • Immerhin enthält das Abkommen auch das Bekenntnis, dass sich die Vertragsparteien zur effektiven Umsetzung z.B. des Paris-Übereinkommens verpflichten (Artikel 8.5). Weitergehende Absprachen gibt es für die Kooperation im Bereich Offshore-Windenergie (Überschrift 8 dieses Unterabschnitts), Transport, etc.

 

Wie geht es weiter

Offiziell muss zunächst noch das Europäische Parlament dem vorläufig in Kraft gesetzten Brexit-Deal zustimmen. Dies sollte bis Ende Februar passieren. Fraglich ist natürlich, inwieweit Abgeordnete in diesem Stadium überhaupt substantielle Änderungsanträge einbringen können. Auch viele andere Fragen sind noch offen. So wird sich erst in den Folgejahren zeigen, in welche Richtung sich die Gesetzgebung von Großbritannien (und der Europäischen Union mit ihrem aktuellen European Green Deal) entwickelt, und welche Rolle dabei Umwelt- und Klimaschutz spielen. Düstere Prognosen sind verfrüht. Die Grundgefahr, dass ein gewichtiger Wirtschaftsraum sich durch das Absenken von Umweltstandards Wettbewerbsvorteile zu verschaffen sucht, und dies auch bei den Handelspartnern einen Abwärtstrend auslöst, besteht in gewissem Maße fort. Die diesbezüglich getroffenen Regelungen lassen Interpretationsspielraum zu und bieten keine abschließende Sicherheit. Ob der Mechanismus, über die jeweiligen Behörden von UK und EU Einspruch gegen Wettbewerbsverzerrungen durch abweichende Umweltstandards einzureichen, effektiv sein kann, ist ungewiss. Auf beiden Seiten ist hierfür zeitnah überhaupt erstmal auf das Einrichten der entsprechenden Stellen zu drängen. Sodann sind sicher auch gemeinsame Kriterien sinnvoll, die festlegen, wann eine Wettbewerbsverzerrung vorliegt. Außerdem ist weiterhin die Aufsichts- und Kontrollfunktion von Umweltschutzverbänden und der Zivilgesellschaft erforderlich, sowohl in der EU als auch in Großbritannien. Bleibt insgesamt zu hoffen, dass sich die Gesetzgebung auch in Großbritannien nicht nach unten entwickelt, und stattdessen ein beidseitiger Aufwärtstrend („race to the top“) einsetzt. Gänzlich ad acta legen können wir das Thema also leider noch nicht.

 

Raphael Weyland

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