Rechtsschutz, Aarhus und Brüssel

Gerichtshof der Europäischen Union (Foto: EU)

Blockade gegen mehr Rechtsschutz bei EU-Entscheidungen

Die Aarhus-Konvention ist Vielen ein Begriff. Sie regelt den Zugang zu Umweltinformationen sowie die Partizipation und den Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten.

Der völkerrechtliche Vertrag ist nach dem schönen Ort Aarhus in Dänemark benannt, weil er dort beschlossen wurde. Wie bei vielen anderen Abkommen auch können der Konvention sowohl Staaten als auch die Europäische Union (EU) selbst als Rechtssubjekt beitreten. In Deutschland wurde die Säule des Rechtsschutzes (aus NABU-Sicht unvollständig) durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz umgesetzt.

Hier möchte ich heute die aktuelle Debatte zur Umsetzung der Rechtsschutz-Vorgaben durch die EU für sich selbst vorstellen. Es geht also nicht um die nationale Umsetzung (unter welchen Voraussetzungen können welche Akteure nationale Entscheidungen wie etwa ein Infrastrukturprojekt gerichtlich überprüfen lassen). Es geht auch nicht um die Frage, ob die EU (beispielsweise in einer bisher noch ausstehenden Rechtsschutz-Richtlinie) einheitliche Vorgaben für ihre Mitgliedstaaten macht, dass national eben nicht nur Infrastrukturprojekte gerichtlich überprüft werden können (sondern alle Entscheidungen, die sich auf die Umwelt auswirken). Gerade geht es „nur“ darum, ob und unter welchen Voraussetzungen die Öffentlichkeit gewisse Entscheidungen der EU-Institutionen (etwa der EU-Kommission oder ihrer Dienststellen und Agenturen) vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) überprüfen lassen kann. Diese Frage ist in der sogenannten Aarhus-Verordnung der EU geregelt.

 

Änderungsvorschlag der EU-Kommission

Wir blicken kurz zurück: Schon seit längerem hatte das „Compliance Committee“ der Aarhus-Konvention (ACCC), also die auf Grundlage dieses völkerrechtlichen Vertrags geschaffene offizielle Prüfinstanz, festgestellt, dass die EU selbst die Aarhus-Konvention verletzt. Nach langem politischen Tauziehen legte die EU-Kommission im Oktober 2020 daher einen Vorschlag vor, um die Aarhus-Verordnung zu ändern (hier der Kommissionsvorschlag). Umweltverbände – etwa das Europäische Umweltbüro, einer der Dachverbände des NABU in Brüssel – begrüßten zwar, dass die EU-Kommission endlich gesetzgeberisch Abhilfe schaffen wolle, aber bemängelten, dass die Änderungen nicht ausreichten. Die Umweltrechts-Expert*innen kritisierten unter anderem (siehe auch die ausführliche Stellungnahme hier):

  • Insgesamt erfolgen keine grundlegenden Änderungen am „Internen Überprüfungs-Mechanismus“ der EU-Kommission. Hierdurch bleiben gewisse Enscheidungen von Anfang an außen vor (z.B. EU-Zulassungsentscheidungen für Pestizide).
  • Weiterhin nicht überprüfbar sein sollen z.B. Beihilfe-Entscheidungen der EU-Kommission, obwohl diese höchst umweltrelevant sind (z.B. wenn über die Förderung von Atomkraft oder gegen Erneuerbare Energien entschieden wird).
  • Keine Vorsorge getroffen wird auch gegen abschreckende Kostenentscheidungen (obwohl in der Vergangenheit auch EU-Dienststellen derart horrende Kostenbescheide verschickt hatten, dass Umweltverbände sich den Rechtsschutz oftmals nicht leisten konnten).

Der NABU brachte sich immer wieder in die Debatte ein und diskutierte mit verschiedenen Akteuren, z.B. bei Workshops des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (ufu, vergleiche auch die Projektseite des ufu hierzu).

 

Position des (Umwelt-)Rats

Noch unter Deutscher Ratspräsidentschaft hatte sich der Umweltrat mit dem Dossier befasst. Am 17.12.2020 beschloss er eine sogenannte „Allgemeine Ausrichtung“. In dieser legte er die Position des Rates für die Trilog-Verhandlungen zur Änderung der Aarhus-Verordnung fest. Insgesamt erfolgten keine wesentlichen Änderungen des Kommissionsvorschlags (hier die naturgemäß positive Pressemitteilung des Rates). Der NABU hatte sich im Vorfeld noch um grundlegendere Änderungen bemüht. Einige Mitgliedstaaten verwiesen bei der Abstimmung zumindest darauf, dass die Positionierung nochmals geändert werden müsse, wenn die Prüfinstanz der Aarhus-Konvention (ACCC) entsprechende Nachforderungen an den Kommissionsvorschlag habe. Der NABU dankte dem BMU zwar für die zügige Verhandlung des Dossiers, bedauerte aber die vertane Chance für eine inhaltliche Korrektur.

Inzwischen hat das ACCC tatsächlich (Februar 2021) seine Stellungnahme zum Kommissionsentwurf abgegeben. Diese bestätigt weite Teile der Kritik der Umweltverbände, etwa bezüglich der fehlenden Überprüfbarkeit von Beihilfeentscheidungen. Der EEB und andere Umweltverbände begrüßten die offizielle Unterstützung und wandten sich erneut an die EU-Mitgliedstaaten, um eine Kurskorrektur einzufordern (siehe diesen Brief, mit Link zum ACCC).

 

Entscheidung des Europäischen Parlament

Die Entscheidung des anderen Ko-Gesetzgebers der EU steht noch aus. Früher war das Europäische Parlament bei derartigen Positionierungen zwar in der Regel schneller als der Umweltrat. Aber meinem Eindruck nach führen sowohl die virtuelle Organisation der Fraktionen und Ausschüsse als auch die offenbar noch nicht ganz eingespielte Neuzusammensetzung dazu, dass es in vielen Dossiers derzeit zeitlich etwas knirscht (so auch in der noch ausstehenden Positionierung zur EU-Biodiversitätsstrategie, die der Umweltrat bereits im Oktober 2020 begrüßte). Gleichwohl sind erste Linien absehbar, und auch diese verheißen leider keinen Ambitionsschub. Dies liegt vor allem am zuständigen Berichterstatter. Ausgerechnet ein deutscher CSU-Abgeordneter, Herr Doleschal, ist hier federführend. Durch Brüsseler Umweltverbände wurden zwar ein Austausch gesucht. Trotzdem bleibt zu befürchten, dass Herr Doleschal die Bedeutung einer Aarhus-konformen umfänglichen Überprüfungsbefugnis auf EU-Ebene für die Demokratie und den Schutz des Planeten nicht beherzigen wird. Dies ist umso erstaunlicher, als es  wie gesagt nicht um die Überprüfung bayerischer Vorhaben geht, sondern nur solcher Rechtsakte der EU-Institutionen selbst. Im Zweifel düfte außerdem Inkrementalismus und fehlender Änderungswillen seitens der EU-Kommission die größte Hürde sein. Bleibt zu hoffen, dass die Schattenberichterstatter*innen der progressiveren Fraktionen, gestützt auf das ACCC, hier noch für Änderungen sorgen. Eigentlich war für Mitte April die Abstimmung im Umweltausschuss vorgesehen, für Mitte Mai die Plenar-Abstimmung. Zuletzt machten aber auch Gerüchte über Verzögerungen die Runde. Grundsätzlich geht Gründlichkeit vor überhetzter Schnelligkeit. Bis zum nächsten Treffen der Vertragsstaaten der Aarhus-Konvention (MOP-7) im Oktober müsste dann aus NABU-Sicht aber auch der Trilog über die Bühne gegangen sein. Ich werde das Thema für Sie weiter verfolgen. Nun aber erst einmal frohe Ostertage!

 

 

Raphael Weyland
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