Goldhähnchen Blues
Liebe Blogleserinnen und -leser,
die letzten paar Tage stürmt es fast ununterbrochen. Auch wenn ich nicht direkt von dem Wind durchgeschüttelt werde, fühle ich mich am Ende des Tages völlig ausgelaugt und ein bisschen desorientiert. So oder noch schlimmer müssen sich die Goldhähnchen fühlen, die mich derzeit fast täglich an der Hütte begrüßen. Meistens sind es nur ein oder zwei Individuen, deren leise „zri“ oder „zü“ Rufe aus dem Holzstapel unter der Hütte, in dem sie Schutz gesucht haben, erklingen. Und jedes Mal, wenn ich ihre Rufe oder ein aufgeregtes Flattern aus den Augenwinkeln wahrnehme, wird der Tag ein kleines bisschen besser. Die kleinen Punker-Flauschkugeln sind nicht nur unglaublich süß, sondern zeigen wieder einmal, dass Größe nichts über Stärke aussagt.
Wintergoldhähnchen zum Beispiel sind kleiner als Zaunkönige und wiegen etwa 4-7g. Damit sind sie nicht nur unsere kleinsten heimischen Brutvögel, sondern stellen auch europaweit die kleinste Vogelart da. Sie kommen in ganz Mitteleuropa bis nach Skandinavien, Vorderasien und Südwestsibirien vor. Die nordöstlichen Populationen verlassen im Winter ihre Brutgebiete und ziehen weiter südlich, wobei sie teilweise auch das Meer überqueren müssen. Und das ist auch der Grund, weshalb ich hier von ihnen berichte. Denn wenn ich mir vorstelle, wie sich die Winzlinge durch den Sturm kämpfen, bin ich einfach nur beeindruckt. Bei Wetterumschwüngen und auf Hochseeinseln wie Helgoland sind zu den Zugzeiten immer wieder geschwächte Tiere zu finden, die notlanden mussten, um Energie zu tanken. Sowieso nicht besonders scheu, sind die Goldhähnchen dann im wahrsten Sinne des Wortes „völlig durch den Wind“ und flattern einen Meter neben den Füßen herum – so wie bei mir an der Hütte.
Übrigens: ein naher Verwandter des Wintergoldhähnchens ist das Sommergoldhähnchen. Hauptunterscheidungsmerkmale sind: ein breiter weißer Überaugenstreif, ein schwarzer Augenstreif sowie ein eher orangener Scheitel. Daher wirken die Sommergoldhähnchen immer etwas grimmig, während die Wintergoldhähnchen einen eher erstaunten Eindruck machen. Aber wieso jetzt Sommer- und Wintergoldhähnchen? Schließlich sind Wintergoldhähnchen als deutsche Brutvögel nicht nur im Winter hier anzutreffen. Grund ist vermutlich das Zugverhalten des Sommergoldhähnchens. Der größte Teil der deutschen Population zieht im Winter nämlich in wärmere Gefilde, weshalb es hier im Winter deutlich seltener zu finden ist als das Wintergoldhähnchen.
Und um nun den Bogen zurück nach Trischen zu schlagen: was bedeutet der Goldhähnchen Blues für mich? Bei Tee und leckeren Keksen vor dem Ofen etwas Energie tanken und dann raus in den Sturm zum Seawatchen oder Feuerholz machen! Denn auch wenn ich nicht mit Flugkünsten glänzen kann, dann doch hoffentlich mit Ausdauer und guter Laune bei Sturm und Kälte.
Ihre Melanie Theel