Der grüne Schleier fällt: Leak offenbart die umweltfeindlichen Pläne des EU-Agrarkommissars.

Der grüne Schleier fällt: Leak offenbart die umweltfeindlichen Pläne des EU-Agrarkommissars.

Neuer Leak der GAP-Vorschläge: Phil Hogan will über 50% der Subventionen für erwiesen ineffiziente und kontraproduktive „Einkommensstützung“ festlegen. Umweltfördermittel sollen um 80 Prozent gekürzt werden.

PDF-Download zum Leak hier (Politico), zur NABU-Pressestatement hier. Im Folgenden eine ausführlichere Analyse und Einordnung.

Hartes Ringen in Brüssel

Hinter den verschlossenen Türen der Europäischen Kommission tobt derzeit ein erbitterter Kampf um die Gesetzesvorschläge, die am 1.Juni zur Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgelegt werden sollen. Es geht um die Verteilung von über 50 Milliarden Euro an Steuergeldern im Jahr, im nach wie vor größten Posten des EU-Haushalts für 2021-2027. Mächtige Player haben viel zu verlieren. Es geht gleichzeitig um das Überleben der Insektenvielfalt, des sauberen Grundwassers, den Klimaschutz und die Frage ob naturverträglich wirtschaftende Bauernhöfe eine Zukunft haben. Bislang fördert die GAP den wesentlichen Treiber des Insektensterbens, die intensive Landwirtschaft: Durch ihre überwiegend pro Fläche ausgeschütteten Pauschalzahlungen treibt sie die meisten Landwirte in einen Wettlauf nach dem Motto „Masse statt Klasse“, den sie, wenn überhaupt, nur mit immer intensiverer und großflächigerer Produktion gewinnen können. Es ist verständlich, dass sie dabei verstärkt zu Pestiziden und Dünger greifen. Ökonomisch attraktive Anreize zu einem Umstieg auf naturverträgliche Bewirtschaftung fehlen. Ebenso fehlen aber auch klare Ziele und Indikatoren bei der sogenannten Einkommensstützung. Das Steuergeld fließt zu einem großen Teil direkt weiter an Grundeigentümer, es wird verteilt ohne Rücksicht auf Familieneinkommen oder Vermögen der Betriebe. Bei jeder anderen sozialpolitischen Leistung wäre das undenkbar. Durch die Bindung der Zahlungen an die Fläche landen 80% der Zahlungen bei lediglich 20% der Empfänger, ein Ungleichgewicht, dass auch von immer mehr Landwirten selbst kritisiert wird.

Noch vor einem Jahr erhielt Phil Hogan eine klare Botschaft aus der Bevölkerung: 80% der Teilnehmer seiner Bürgerbefragung wollen eine umweltverträgliche und faire GAP. Foto: BirdLife Europe

Ein jetzt durchgesickerter Entwurf („Leak“ zum Download als PDF hier)  lässt befürchten, dass der zuständige Agrarkommissar und sein Chef Jean-Claude Juncker nichts gelernt haben. Sie scheinen gewillt, die erdrückende Zahl an wissenschaftlichen Analysen zum ökonomischen und sozialen Versagen der GAP aber auch zum dramatischen Insektensterben in den Wind zu schlagen. Aus womöglich politischem Kalkül werden die Ergebnisse ihrer eigenen Bürgerbefragung und die Meinung von unzähligen Unternehmen und Organisationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen ignoriert. Hauptsache, so scheint es, ist für sie das Erringen der Zustimmung der  Mitgliedstaaten für einen Haushalt 2021-2027, der nach Meinung des NABU Europas Führungsanspruch bei der nachhaltigen Entwicklung endgültig aufgeben würde. Dafür scheinen sie bereit, die GAP zu einem Selbstbedienungsladen zu machen. Einfluss hat sicher auch der mächtige Dachverband der Agrarlobby COPA-COGECA, unter Führung von Bauernverbandspräsident und NABU-Dino-Preisträger Joachim Rukwied. Dort will man jegliche Kürzungen bei den Pauschalzahlungen um jeden Preis vermeiden (Pressemitteilung zum Download). Die Kommission versucht die Lobby offenbar zu beruhigen – durch das explizite Ausschließen von Möglichkeiten zur Umweltförderung.

Der Anspruch von 2017

Als Reaktion auf die vehemente Kritik an der GAP, aus der Wissenschaft, dem Europäischen Rechnungshof und aus der ganzen Bevölkerung, hatte Phil Hogan im vorigen Jahr angekündigt, die Politik einfacher, flexibler und vor allem aber auch umweltfreundlicher zu machen. Die Mitgliedstaaten sollen mehr Freiheiten bei der Wahl der Instrumente bekommen, dafür aber stärker bei der Erreichung von Zielen zur Rechenschaft gezogen werden. Ziele, wie zum Beispiel die Unterstützung bedürftiger Landwirte, aber auch der Erfüllung von europäischen Natur-, Wasser- oder Klimaschutzauflagen. Ein wesentlicher Punkt war hierbei das Vorhaben, dass die Regierungen die pauschalen Flächenprämien der sogenannten „Ersten Säule“ auf bestimmte, messbare Ziele hin ausrichten müssen und bei Nichterreichung Gelder von Brüssel zurückgehalten werden sollten.

Weiterhin sollte die „Zweite Säule“ viel stärker als bisher zur gezielten Honorierung gerade von Naturschutzmaßnahmen dienen. Last but not least wurde versprochen, die Grundanforderungen zu erhöhen, die Betriebe erfüllen müssen um überhaupt in den Genuss von europäischem Steuergeld zu gelangen („enhanced conditionality“). Als „extra“ sollte es auch anspruchsvollere „Eco-schemes“ in der Ersten Säule geben, zur Finanzierung von einfache Umweltleistungen durch Landwirten in der gesamten Landschaft. Das weitgehend unwirksame Greening sollte stattdessen entfallen.

Die wahren Pläne: EU-Staaten können sich auf Blankoschecks freuen

Doch in den letzten Monaten hat Phil Hogan seine grüne Garderobe hinten im Kleiderschrank verstaut. Bei Vorlage des Haushaltsvorschlags seines Kollegen Günter Oettinger am 2.Mai verkündete er vor der Presse, dass die Direktzahlungen der Ersten Säule künftig einen größeren Anteil an der GAP ausmachen werden als bisher, die Kürzungen der Zweiten Säule könnten die Mitgliedstaaten aus eigenen Mitteln ja ausgleichen. Offensichtlich hoffte er damit, die Regierungen zu beruhigen, die sich gegenüber GAP-Kürzungen insgesamt kritisch ausgesprochen hatten. Die soziale und die Umweltbilanz spielte hier schon keine Rolle mehr. Nach Expertenberechnungen sind Kürzungen der Zweiten Säule um bis zu 25% zu erwarten – das hat die Kommission mit Rechentricks bisher zu kaschieren versucht.

Aus dem geleakten Dokument. Zur Erläuterung „EAFRD“ steht für die „Zweite Säule“, Artikel 83(4) bezeieht sich auf die „Erste Säule“.

Aber es kommt noch schlimmer: Aus dem uns in den letzten Tagen zugespielten Dokument (siehe Abbildung Punkt 4) geht hervor, dass Hogan künftig 60 Prozent der Ersten Säule explizit für „basic income support“ reservieren will – mit dem vorgeblichen Ziel, die Einkommen von Landwirten zu stützen. Zum einen verraten andere Teile des Dokuments, dass es den Mitgliedstaaten nahezu frei gestellt sein soll, wie sie dieses sozialpolitisch Ziel definieren und umsetzen wollen. Ein echter Blankoscheck – es ist zu erwarten, dass nach wie vor riesige Mengen an Steuergeld nicht bei bedürftigen Bauernfamilien ankommen sondern bei Grundeigentümern, der Agrarindustrie und – wie in einigen EU-Staaten bereits jetzt debattiert – auch bei der organisierten Kriminalität. Kein Sozialminister könnte sich so eine Förderung jemals erlauben. Die angekündigte Deckelung der Flächenprämie auf ein Maximum von 60.000 EUR pro Jahr ist da nur ein Feigenblatt –eine Studie des Thünen Instituts (download hier), das dem Bundeslandwirtschaftsministerium nahe steht, gab kürzlich zu Bedenken, dass dies leicht umschifft werden könnte. Der renommierte GAP-Experte Alan Matthews nennt die Kappungspläne eine Fata Morgana. Man kann sich vorstellen, dass die Aufteilung großer Betriebe in kleine Untereinheiten nicht besonders viel Kreativität benötigt.

Im Umkehrschluss bedeutet dieser deaströse Plan aber auch: Über 20 Milliarden Euro im Jahr dürfen die Mitgliedstaaten demnach explizit nicht in eine zukunftsfähige Transformation der Landwirtschaft investieren, sie dürfen sie nicht für eine Förderung von Umweltleistungen der Betriebe nutzen. Es fehlen zudem jegliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten, die übrigen 40% der Ersten Säule für Umweltziele auszugeben. Die Unwirksamkeit der derzeitigen Greening-Auflagen wurde weithin kritisiert. Hogans Konsequenz: Streichung, aber ersatzlos – zumindest fehlt jegliche verpflichtende Zweckbindung von Mitten für die von ihm geplanten „Eco-schemes“. Aufgrund der Erfahrungen der laufenden Förderperiode befürchten wir, dass so wohl kaum ein Mitgliedstaat diese Option nutzen wird. Bereits in der Vergangenheit haben sich die Mitgliedstaaten bei den bereits existierenden Wahlmöglichkeiten nicht für einen ambitionierten Umweltschutz entschieden. Die Versuchung, das Geld ohne Auflagen an die einflussreichsten Akteure im Land zu verteilen wird sehr groß sein.

80 Prozent Kürzung der Umweltförderung

In der zweiten Säule will man nach wie vor 30% für Umwelt- und Klimaziele ausgeben. Deren massive Kürzung, kombiniert mit der Streichung des Greening, ergibt insgesamt jedoch eine Kürzung der (verpflichtenden) Umweltförderung auf EU-Ebene um rund 80 Prozent. Und dazu fehlt auch in der Zweiten Säule eine klare Bindung an Ziele. So ist weder eine Zweckbindung von Mitteln an die EU-Naturschutzrichtlinien vorgesehen, noch eine echte Mitsprache der Naturschutzverwaltung. Auch von den immer wieder geforderten Einkommensanreizen ist hier nichts zu sehen.

Letzte Chance für die EU-Kommission

Hoffnung bleibt: Offenbar tobt hinter den Kulissen ein heftiger Kampf unter den EU-Kommissaren. Es bleibt zu hoffen, dass sich Umweltkommissar Karmenu Vella und der für Nachhaltigkeit zuständige Vizechef der Kommission Frans Timmermans entschieden gegen die GAP-Pläne von Hogan wehren. Vielleicht erkennen auch diejenigen, denen die Effizienz des EU-Haushalts und das Ansehen der EU bei den Bürgerinnen und Bürgern am Herzen liegt: Dieser Vorschlag wäre ein Desaster. Nur noch bis zum 1.Juni ist Zeit für Nachbesserungen will die Kommission ihren  Zeitplan einhalten.

Bei der letzten Reform hat die Europäische Kommission einen progressiven Vorschlag vorgelegt, der von den Mitgliedstaaten, allen voran der deutschen Agrarministerin Ilse Aigner gnadenlos verwässert wurde. Wir hoffen nicht, dass Jean-Claude Juncker nun bewusst mit einem Bettvorleger startet in der Hoffnung, dass darauf in den Verhandlungen der Regierungen und des EU-Parlaments noch ein Tiger wird.

Titelfoto: EU 2017

4 Kommentare

Axel Aßmann

24.05.2018, 11:59

Lieber Konstantin Kreiser, vielen Dank für Ihre Ausführungen über die reaktionären Pläne des EU-Agrarkommissars! Wenn diesen Plänen gefolgt wird, bedeutet dies die Missachtung des eindeutig bekundeten Bürgerwillens in Bezug auf den Natur- und Klimaschutz. Was sitzen in der Politik nur für engstirnige und auf Eigennutz ausgerichtete Menschen...!? Es darf niemanden wundern, wenn aus Ohnmacht, Frustration und Zorn Gegenbewegungen entstehen, die sich irgendwann nicht mehr an demokratische und gesetzliche Regeln halten, so dass in vllt. 20-30 Jahren, in einer zunehmend lebensfeindlichen Umgebung, ein gewaltbereiter Ökoterrorismus entstehen könnte. Solche Entwicklungen lassen sich in anderen Bereichen und in der Vergangenheit konkret nachweisen. Soweit muss es nicht kommen! Ökologische Nachhaltigkeit und Ökonomie lassen sich vereinbaren - das muss gelingen, sonst werden unsere Urenkel auf unsere Zeit zurückblicken und zurecht uns verurteilen... Beste Grüße

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catherine Steghens

24.05.2018, 15:16

bei den vorherigen Versuche, die agrarpolitik zu REFORMIEREN hatte der Rumäne Dacian Ciolos, damals EU-Kommissar, einen sehr gut ausgearbeiten Programm vorgeschlagen, der komplett torpediert wurde, von der damals deutschen agrarministerin Ilse Aigner. Neoliberalen Reformen werden von Deutschland IMMER unterstützt, aber die, die unsere Umwelt, Gesundheit oder Gerechtigkeit fördern wollen, werden komplett ignoriert... Es ist eine Schande für Deutschland und die EU

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Margrit Klingsiek

24.05.2018, 21:11

Das ist unverantwortlich!!!!! Sie nehmen unseren Kindern und Enkelkindern die Zukunft!!!!

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Ingrid Kaufmann

25.05.2018, 01:42

Ich kann dem Kommentar von Herrn Aßmann nur zustimmen - er hat Recht mit jedem Wort.

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