NABU-GAP-Ticker: Kniefall des Europaparlaments vor EU Agrarministern
Brüssel, 28.06.2021. Früher als erwartet stieg am Freitagvormittag weißer Rauch auf in Brüssel. Nach mehr als einem Dutzend Verhandlungsrunden hatten sich Vertreter des Europaparlaments, der EU Kommission und der portugiesischen Ratspräsidentschaft auf den europäischen Rahmen der zukünftigen EU Agrarpolitik geeinigt. Der sogenannte Trilog ist damit vorbei. Im Anschluss gaben sich alle mit dem Ergebnis höchst zufrieden, insbesondere auch EU Agrarkommissar Janusz Wojciechowski und EU Klimakommissar Frans Timmermans. Sieht man sich den gefundenen Kompromiss jedoch genauer an, zeigt sich, dass sowohl die EU Kommission und vor allem das Europaparlament als Ko-Gesetzgeber gegenüber dem Rat massive Zugeständnisse beim Umweltschutz gemacht haben.
Was wurde beschlossen?
Der ausgehandelte Kompromiss lässt sich hier im Detail nachlesen. Bei den künftigen Öko-Regelungen liegt der Beschluss sehr nahe an der Position des Rates vom Oktober 2020, mit Ausnahme des Gesamtbudgets, welches bei 25% der 1.Säule liegen soll. Die Mitgliedstaaten bekommen weitreichende Wahlmöglichkeiten bei der Umsetzung, so dass die tatsächlichen Ausgaben vor allem in den ersten Jahren bei 20% oder sogar deutlich drunter liegen können. Von den ursprünglich vom Parlament geforderten 30% ohne Ausnahmen ist dies weit entfernt und überschreitet auch die roten Linien, die die Verhandler im gescheiterten Jumbo-Trilog im Mai gezogen hatten.
Auch bei der Konditionalität konnte sich der Rat größtenteils durchsetzen. Bei verpflichtenden Vorgaben zur Fruchtfolge gibt es laut Verhandlungstext nun massive Verwässerungen, so dass die Realität künftig sehr nahe am gescheiterten Greening liegen dürfte. Gerade für die Umsetzbarkeit der Ziele zur Pestizidreduktion (etwa im Rahmen des Green Deals), wären Fortschritte hier jedoch nötig gewesen. Das laut Wissenschaft notwendige Ziel für einen Anteil von 10% von nicht-produktiven Flächen in der Agrarlandschaft rückt in weite Ferne. In Zukunft dürften maximal 3-4% wirklich verpflichtend sein. Die Lücke müsste dann mit Hilfe der Öko-Regelungen geschlossen werden. Angesichts des geringen Budgets derselben ist dies jedoch womöglich schwierig bis unmöglich.
Green Deal adé?
Krachend gescheitert sind sowohl Parlament als auch EU Kommission damit, den Green Deal als Leitplanke für die künftige GAP festzuschreiben. Hier wollte der Rat nicht mitspielen und v.a. verhindern, dass die EU Kommission die Ziele aus der Farm-to-Fork und der Biodiversitätsstrategie als Maßstabe für die nationalen Strategiepläne ansetzen könnten. Am Ende knickten sowohl Parlament und EU Kommission ein. Die EU Kommission darf künftig lediglich Bericht erstatten, in wie weit Green Deal und GAP zusammenpassen. Echte Konsequenzen dürften den Mitgliedsstaaten jedoch nicht drohen.
Auch beschlossen wurden die berüchtigten „Rio-Marker“ aus dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag von 2018. 40% der Direktzahlungen soll künftig als Klimaschutz gelten, entgegen jedweder wissenschaftlicher Evidenz. Kurz vor Ende der Programmierungsperiode, nach 2025 darf die EU Kommission eine neue Methodik entwickeln, viel zu spät für echte Veränderungen auf dem Feld. Somit wird nicht nur der Bericht der EU Rechnungsprüfer ignoriert, der letzten Montag feststellte, dass die bisherige GAP beim Klimaschutz wirkungslos war (siehe hier). Es werden gleichzeitig die aktuellen Bemühungen der EU Kommission konterkariert, ihr sgn. „Tracking“ von Klimaschutzinvestitionen im EU Haushalt neu aufzustellen.
Die Schlacht ist verloren, aber nicht der Krieg?
Während die Ewiggestrigen feiern, stehen EU Kommission und Parlament inhaltlich mit heruntergezogenen Hosen da, auch wenn man in der Öffentlichkeit gute Miene zum bösen Spiel macht. Die Chance zur Revanche bittet sich womöglich aber schon bald. So muss das Plenum des EU Parlaments dem Deal noch zustimmen, vermutlich im Herbst. Auch wenn es unwahrscheinlich scheint, so könnte eine überparteiliche Koalition der Unzufriedenen diesen zu Fall bringen und damit ein politisches Erdbeben auslösen. Zu guter Letzt hat die EU Kommission die Aufgabe, die nationalen Strategiepläne der EU Mitgliedstaaten zu genehmigen. Hier muss sie nun ihr Versprechen einhalten und die Mitgliedstaaten an die kurze Leine nehmen. Dies ist mit dem Trilog-Ergebnis deutlich schwieriger geworden, aber angesichts von Arten- und Klimakrise nun alternativlos.
Der NABU-GAP-Ticker
Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kulissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv – #FutureOfCAP
Titelfoto: Europäische Union 2013
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2 Kommentare
G.W.
28.06.2021, 23:49Unglaublich..... Und doch sehr lehrreich für jeden, der sich fragt, woran eigentlich Hochkulturen in der Menschheits-Gechichte untegegangen sind. Wir werden grad Zeitzeugen dessen, was passiert, wenn Gier und persönliche Dekadenz Überhand nehmen bei den politischen Entscheidern und ihren oft nutznießenden "dummen" Mitläufern. Die Tragik der kollektiven Selbstzerzörung liegt wohl tief im Menschen verankert. Sollten die Menschen sich diesmal besinnen? Oder überwiegt die dumpfe Masse, die zum Klippenrand drängt? Schaue ich auf das unlogische EU-Ergebnis, kommt wohl eher letzteres in Frage. Bleibt im letzten Schritt tatsächlich nur noch die Mobilisierung der eigenen, gewählten Abgeordndeten bis zur Abstimmung im Herbst.
AntwortenAndreas
01.07.2021, 19:13👏 Dem ist nichts hinzuzufügen!
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