NABU-GAP-Ticker: Jumbo-Trilog – Zwischenfazit

Brüssel, 27.05.2021. Bis tief in die Nacht verhandelten EU-Kommission, die portugiesische Ratspräsidentschaft und das Europäische Parlament über eine finale Einigung zur zukünftigen EU Agrarpolitik (zum Hintergrund, siehe  hier). Kurz nach Mitternacht verkündete Norbert Lins (Vorsitzender des Agrarausschusses des Parlaments), dass die Verhandlungen vertagt wurden und heute um 14 Uhr fortgesetzt werden. Der Jumbo-Trilog geht damit in die Verlängerung und es ist zu erwarten, dass die Verhandler versuchen werden in einer weiteren nächtlichen Marathon-Sitzung einen Deal zu erzwingen.

Woran hängen die Verhandlungen?

Unter anderem die soziale Konditionalität bereitet den Unterhändlern Kopfschmerzen. Diese war die große Errungenschaft, welche die Sozialisten in die Position des Europäischen Parlaments einbringen konnten. Vor dem Hintergrund immer neuer Skandale rund um die Missachtung von Arbeitsschutzstandards in der Landwirtschaft, soll sie verhindern, dass schwarze Schafe in der Branche weiter Gelder aus Brüssel bekommen. Während Zivilgesellschaft und Gewerkschaften diesen Vorschlag begrüßen, laufen die Agrarlobby COPA&COGECA sowie eine Mehrheit von EU Mitgliedstaaten im Agrarrat dagegen Sturm (siehe hier). Möglicher Ausgang: ungewiss.

Zur zukünftigen Umweltarchitektur besteht weiter Streit darüber, wie viel Geld die Mitgliedstaaten mindestens in den Umweltschutz stecken müssen. Die Unterhändler verbrachten den gestrigen Tag damit, sich gegenseitig immer neue Positionspapiere zuzuschicken. Die EU Kommission schlug vor, im Jahr 2023 mit 25% für die neuen Öko-Regelungen in der ersten Säule zu starten und diesen Anteil bis 2027 auf 30% zu steigern. Der Rat legte ein Papier vor, das 22% ab 2023 und 25% ab 2025 einplant. Das Parlament fordert ebenfalls 30% bis 2027. Neben der %-Zahl sind jedoch eine Reihe an Ausnahmen und Flexibilitäten für die Mitgliedstaaten im Gespräch, wie etwa die Möglichkeit, ungenutzte Gelder aus den Öko-Regelungen in die Direktzahlungen zu verschieben. Möglicher Ausgang: Am Ende könnte ein hoher Prozentsatz für die Öko-Regelungen im Schaufenster präsentiert werden, mit gleichzeitig massiven Verwässerungen hinter der Fassade. De-facto würden die Öko-Regelungen damit das gleiche Schicksal wie das Greening vor sieben Jahren erleiden.

Auch bei der zweiten Säule geht es um die Höhe des Umweltbudgets, aber auch darum, ob die Ausgleichszulage an benachteiligte Gebiete sowie Tierwohlleistungen auf dieses anrechenbar sind. Der Rat fährt hier die am wenigsten progressive Linie: volle Anrechenbarkeit der Ausgleichszulage, sowie 60% der Investitionen ins Tierwohl, bei einem Gesamtbudget von 33% der zweiten Säule. Dieser Vorschlag läge kaum über dem, was in der heutigen GAP bereits verpflichtend ist und deutlich weniger, als das was die Mitgliedstaaten tatsächlich bisher ausgeben. Die EU Kommission wünscht sich dagegen 40% als Gesamtbudget und nur eine teilweise Anrechenbarkeit von Ausgleichszulage und Tierwohlmaßnahmen, womit wohl auch das Parlament leben könnte. Möglicher Ausgang: Vermutlich weitere Zahlenspiele. Das aus Umweltsicht ideale Szenario, d.h. vor allem keine Anrechenbarkeit der Ausgleichszahlung auf das Umweltbudget der 2.Säule, scheint endgültig vom Tisch. Unklar bleibt, ob tatsächlich eine Verbesserung ggü. dem Status Quo noch erreichbar ist.

Verhandlungen bis in die Nacht

Es stehen weiter intensive Verhandlungen an. Am heutigen Vormittag treffen sich erneut die Agrarminister, um sich zu beraten. Gleichzeitig sollen bilaterale Verhandlungen in verschiedenen Konstellationen, d.h. zwischen Rat, Kommission und Parlament stattfinden. Ab 14 Uhr wird der eigentliche Trilog fortgesetzt und wird vermutlich bis in den frühen Freitagmorgen andauern. Noch liegen vor allem Rat und Parlament weit auseinander, auch ein Scheitern ist nicht gänzlich ausgeschlossen. Angesichts des Zeitdrucks und den hohen Erwartungen, welche die drei Institutionen im Vorfeld immer weiter aufgebaut hatten, dürfte diese jedoch alles dransetzen, dies zu vermeiden. Umso größer ist die Gefahr, dass am Ende nur ein Formelkompromiss steht, gespickt mit allen möglichen Ausnahmen und Sonderregeln und ohne echte Umweltambition.

Der NABU-GAP-Ticker

Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kulissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/Agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv#FutureOfCAP

Titelfoto: Europäische Union 2013

3 Kommentare

Andreas Damm

27.05.2021, 11:50

Den Zwang zum Bioanbau bzw. gewisse Quoten zu erreichen, geht voll in die falsche Richtung. Es wird zugunsten von Bioframing und NGO´s (Nabu einer der größten Agrarsubventionsempfänger) darauf gesetzt, dass Bio besser für unsere Biodiversität ist. Mit nichten. Es wird der Bevölkerung verschwiegen, dass beim Bioanbau das zweieinhalb bis dreifache an Fläche benötigt wird um die gleiche Kalorienzahl für die menschliche Ernährung zu erzeugen. Wenn dann die Erzeugung der Lebensmittel noch ins Ausland abwandert, ist der Flächenverbrauch noch höher. Es besteht dann nicht mehr die Möglichkeit flächen für die Artenvielfalt frei zu halten, sondern es wird noch mehr Regenwald geopfert. Die Geschichte hat es Jahrtausende gezeigt, der Bioanbau war nie in der Lage die Menscheit sicher mit Lebensmittel zu versorgen.Hungersnöte und Auswanderungswellen belegen das. Es wurden immer mehr Wälder gerodet, Moore trockengelegt, weil einfach zu wenig Nahrungsmittel da waren. 10000 Jahre Bioanbau konnte keine sichere Grundlage der Ernährung bieten. Mit Sicherheit brauchen wir keine Gentechnik, auch gibt es auswüchse der modernen Landwirtschaft. Aber ohne Pflanzenschutzmittel ist die Ernährung nicht gesichert. Und warum diskutiern wir nicht ein Verbot von Arzeneimittel, von denen findet man mehr in unseren Flüssen als Pflanzenschutzmittel. Wo sind denn die 200-300 Freiwilligen die von Anfang April bis Ende Oktober bei mir auf dem Betrieb Unkraut jeten oder Kartoffelkäfer Sammeln???? Bezahlen kann ich Sie aber nicht, vielleicht gibts ein Essen für die Arbeit, so wie vor über 90 Jahren. Mehr ist aber nicht drin. Damit die Menschen so leben können wie heute war es notwendig das Arbeitszeit auf dem Lande frei wurde um in der Stadt zu Wohlstand zu kommen. Wer aus der Stadt herraus ruft wir brauchen mehr Bio, bitte komm aufs Land. Vergesse Freizeit, Urlaub oder Sport. Wir brauchen jeden und die komplette "Freizeit" um den Schädlingen und dem Unkraut her zu werden. Gerne komme ich mit meinem Betrieb wieder auf Handarbeit zurück. Aber die die am lautesten Rufen sollen erstmal Wochenlang bei Regen und Sonnenschein Rüben und Co. hacken. Und Bittte, nicht nur eins zwei Stunden am Tag, nein nach getaner Arbeit von 7-8 Stunden in der Stadt um das tägliche Einkommen zu haben nochmal 4-6 Stunden Frohnendienste auf dem Acker, nicht für mich, sondern für die Umwelt und Klimaschutz. Auch bringt der Verzicht von Mineraldünger eine Zerstörung unserer Böden mit sich. Da wir unsere Nährstoffe (Essen) in die Stadt fahren und sie so aus dem Kreislauf genommen werden verarmen unsere Böden. Einer Bodenzerstörung kann nur so entgegengewirkt werden, dass dem Boden das zurück geben wird, was ihm genommen wird. Also es gibt kein gut und böse wie es gerne im grünen Framing dargestellt wird. Alles ist komplexer. Leider wird das in der öffentlichen Diskusion nicht dargestellt. Klar, ohne panikmache keine Spendengelder. Das Geschäftsmodell verstehe ich. Ich wünsche mir für die Zukunft ehrliche Diskusionen und Wegfindung, faktenbasiert und nicht geframt sowie ohne Ideologien von beiden Seiten. Liebe Städter kommt aus eurer Stadt herraus und zeigt doch mal ob ihr es besser könnt und ob ihr das mit dem Arten- Klimaschutz ernst meint, aber nicht nur einmal sondern Jahrelang. Wir planen Fruchtfolgen, auch im konventioneller Landwirtschaft für viele Jahre, denn Nachhaltigkeit die wir täglich seit Generationen betreiben braucht taten keine Worte. Viele liebe Grüße euer Bauer vor der Großstadt

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Ute Hasenbein

27.05.2021, 12:42

Und täglich grüßt das Murmeltier.... Was ist eigentlich aus der sgn. „nuklearen Option“ (ich mag solch Kriegsvokabular gar nicht) geworden, welche die EU-Kommission als Trumpf ausspielen könnte (bedeutet: die Kommission kann den ursprünglichen Vorschlag aus Zeiten der Juncker-Kommission (und damit vor dem Green Deal) zurückziehen und so das Gesetzgebungsverfahren komplett abbrechen. Sie könnte dann einen neuen Legislativvorschlag machen, der die neuesten Entwicklungen um den Green Deal besser berücksichtigt)? Diese Karte hat die Kommission bis heute ncht gespielt und wahrscheinlich auch zu keinem Zeitpunkt als Szenario auf den Tisch gelegt. Schade eigentlich! Dabei gibt es immer häufigere und bedrohlichere Warnungen seitens der Wissenschaft, uns läuft die Zeit davon! Gleichzeitig gibt es mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Ende April (kräftige Watschen für unsere Bundesregierung) wie auch mit dem aktuellen bahnbrechenden Urteil gegen den Ölkonzern Shell aus Den Haag Hoffnung und Anzeichen dafür, dass den Uneinsichtigen/ewig Gestrigen/Profitgeiern doch auf die Finger geklopft wird. Wenn sich wieder nur ein mit allen möglichen Ausnahmen und Sonderregeln und ohne echte Umweltambition gespickter Kompromiss in der GAP für die nächsten Jahre ergibt, dann sollten wir die Verantwortlichen vor dem Eurpäischen Gerichtsgof für Menschenrechte verklagen.

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Konstantin Kreiser

31.05.2021, 16:44

Die Kommission könnte immer noch den ursprünglichen Vorschlag zurückziehen, darauf zielt auch der Slogan #WithdrawTheCAP ab, der derzeit in den Sozialen Medien wieder an Fahrt gewinnt. Praktisch würde dies bedeuten die gegenwärtige GAP nocheinmal um zwei Jahre zu verlängern, gleichzeitig aber einen tatsächlich zukunftsfähigen neuen Vorschlag auszuarbeiten und zu verhandeln. Die Frage ist ob die Kommission diesen Mut hat - leider aber auch ob sie nicht wieder ähnlichen Widerstand bei den 27 Agrarministerinnen und -ministern ernten würde wie jetzt. Letztlich sind es die politischen Mehrheiten in den (v.a. großen) Mitgliedstaaten, die darüber entscheiden in welche Richtung sich die EU-Politik bewegt. Darum wir die deutsche Bundestagswahl ganz wichtig für die Zukunft der Agrarpolitik sein.

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