Alles auf Anfang? Treckerproteste und Sackgassen der Agrarpolitik

19.12.2023. Wütende Landwirte und Treckerproteste im Dezember 2023 vor dem Brandenburger Tor. Ein Déjà-Vu? Vor fast genau vier Jahren produzierten unzählige Traktoren ähnliche Bilder in der Hauptstadt. Während nun die geplanten Haushaltskürzungen bei der Agrardiesel-Rückvergütung die Gemüter erregen, entlud sich damals der Frust über strengere Umweltauflagen in den Bauernprotesten. Was seitdem geschah und warum die Proteste von heute auch mit denen von damals zu tun haben.

Damals, im Herbst 2019, nahm die Politik den Protest ernst. Er bezog sich längst nicht nur auf  Umweltauflagen. Das Grundrauschen der Proteste wurde von den zunehmenden Gräben zwischen Landwirtschaft und Verbraucher*innen („Bauernbashing“), aber auch zwischen den einzelnen landwirtschaftlichen Gruppierungen erzeugt. Land schafft Verbindung (LsV) wurde gegründet und macht dem Deutschen Bauernverband (DBV) Konkurrenz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Agrarministerin Julia Klöckner luden Vertreter*innen aus Landwirtschaft, Handel, Wissenschaft, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz in die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) ein. Diese sehr heterogene Kommission raufte sich zusammen. Schuf Verständnis für die unterschiedlichen Sichtweisen, lotete Schnittmengen aus – und einigte sich schließlich im Sommer  2021 auf ein ziemlich umfassendes Empfehlungspapier, dessen Entstehung keineswegs selbstverständlich war.

Fast zeitgleich zu diesem Prozess arbeitete die ebenfalls von der Bundesregierung eingesetzte Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung. 2020 einigten sich die Stakeholder auf einen ambitionierten, aber realistischen Plan für eine zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland. Anders als die meist recht abstrakten ZKL-Empfehlungen ist der Borchert-Plan viel näher an der Umsetzung. Offizielle Gutachten bestätigen seine wirtschaftliche und juristische Machbarkeit.

Was ist seitdem passiert? Eigentlich nicht viel. In jedem Fall: zu wenig.

Das unionsgeführte Bundeslandwirtschaftsministerium traute sich nicht an die Umsetzung. Nach dem Regierungswechsel wurden die Hoffnungen ebenfalls enttäuscht. Politischer Mut ist Mangelware, die Ideen- und Konzeptlosigkeit zieht sich durch Jahrzehnte deutscher Agrarpolitik. Da scheint auch Input von außen nicht viel zu bewirken. Der Strukturwandel in der Tierhaltung hat längst Fahrt aufgenommen, die Politik schaut zu.

„Der Ball liegt bei der Politik“, werden die an den Prozessen beteiligten Verbände nicht müde zu betonen. Ambitionslose Landwirtschaftspolitik und Ampel-Gezanke ließen den Frust, der durch die Stakeholder-Prozesse besänftigt werden konnte, wieder ansteigen. Die gekitteten Gräben zwischen den einzelnen Interessengruppen brechen zunehmend auf, wie an den emotional geführten Debatten um „Ernährungssouveränität vs. Umweltschutz“ oder die EU-Verordnungen zur Wiederherstellung der Natur bzw. zur Pestizidreduktion zu beobachten ist.

Streichung der Dieselrückvergütung: ca. 25 Euro Mehrkosten pro Hektar (Foto: Volker Gehrmann)

Alles auf Anfang?

Die aktuelle Gesamtgemengelage ist also komplexer als nur ein Ärger über steigende Ausgaben für Diesel auf den Betrieben. Auch die in der Landwirtschaft Beschäftigten, von denen es immer weniger gibt und die als Wählerpotential an Bedeutung verlieren, sind zunehmend in Lager aufgespalten. Nur wenige Themen haben das Potential, diese Gegensätze innerhalb der Landwirtschaft zu überwinden. Man kann die Heftigkeit der aktuellen Proteste kurz vor der medial stark begleiteten Internationalen Grünen Woche im Januar auch in diese Richtung interpretieren.

Wie 2019 entlädt sich der Frust der Landwirt*innen wieder auf der Straße – auch in Form von abgekipptem Mist. Statt aus durchdachten, langfristigen Konzepten besteht Agrarpolitik weiter vor allem aus schlecht abgestimmten Einzelmaßnahmen. Selbst wenn die Ampel als Reaktion auf die Proteste die finanzielle Belastung der Betriebe reduzieren wird – es bleibt Stückwerk. Und anders als 2019 ist ein erneuter Branchendialog wohl keine Option mehr.

 

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7 Kommentare

Martin Schmid

19.12.2023, 12:28

Hallo Pierre, ich teile Deine Hoffnungslosigkeit. Einen Unterschied zu vor 4 Jahren gibt es: Der Bauernverband macht bei den Protesten mit und befeuert diese. Das hat einen einzigen Grund, aktuell stellt die CDU nicht den Bundeslandwirtschaftsminister. Bei meiner Teilnahme an des Protesten der letzten 5 Tage hörte ich aus allen Ecken, dass die Bauern sich nicht vor den parteipolitischen Karren spannen lassen werden. Ich habe Sorge, dass die Situation völlig aus dem Ruder läuft.

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Roland

19.12.2023, 15:36

Es ist doch immer wieder das gleiche, die Bauern werden von den Handelsketten mit Niedrigpreisen unter Druck gesetzt.Der Endverbraucher regt sich über hohe Preise auf,der Bauer spritzt mit Gift die Felder um die Erträge zu erhöhen und allmählich zerstören wir die Natur und irgendwann uns selbst. Aber trotzdem verdienen irgendwelche Aktionäre Millionen.

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ALBIN HEDDERGOTT

20.12.2023, 10:07

Für die Dummheit und Arroganz der "gewählten Volksvertreter " sollen die Bürger bestraft werden. Da ist kein Geld für die Landwirtschaft, für die Schulen und Kindergärten,für das Gesundheitswesen usw und sofort. Wir finanzieren Krieg, Hunger, Vertreibung, Rüstung und die gnadenlose Gier Einzelner. Wo sind wir hingekommen?

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Erwin Habisch

20.12.2023, 16:56

Landwirte sind zwar nicht unbedingt Umweltschützer. Im Gegensatz zu den Fahrern von Dienstwagen der Oberklasse nutzen sie aber kaum öffentliche Straßen, sondern sind weitgehend mit ihren Fahrzeugen auf landwirtschaftlichen Flächen im Einsatz. Es ist aber schon erstaunlich, dass man das ökologisch absolut kontraproduktive Dienstwagenprivileg nicht in Frage stellt während man die Landwirte abkassiert. Die Nutzer des Straßennetzes sollen mittels Mineralölsteuer die Kosten für Bau und Erhaltung des Straßennetzes zahlen. Daher ist die teilweise Befreiung der Landwirtschaft von dieser Steuer keine Subvention, sondern logisch wegen der überwiegenden Nutzung abseits öffentlicher Straßen.

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Angelika Heitmann

21.12.2023, 19:52

Ich kenne wirklich keine Organisation in Deutschland, die so gut organisiert, mächtig und nachdrücklich mit u.a. Traktorenformationen in Berlin und in den Landeshauptstädten gegenüber der Politik ihre Interessen vertritt. Ich schlage vor, dass die Umweltverbände im Gegenzug vielleicht große Fotos der durch die Verwendung von giftigen Pflanzenschutzmittel getöteten Insekten und Pflanzen, beim Pflügen nicht eingehaltene Gewässerrandstreifen und dadurch getötete Lebewesen sowie von industriell massenweise schlecht gehaltenen Kälbern, Kühen, Hühnern etc. etc. etc. bei den Demonstationen plakativ mitführen sollten. Da könnte man schon eine schöne Sammlung von Fotos zusammen bekommen. Das wäre dann im Gegenzug zur Traktorenfront einmal eine beeindruckende und sicherlich schockierende Darstellung der Umwelt- und Tierschutzverbände gegenüber der politisch Verantwortlichen! Aus dem Artikel " Was für die Bauern auf dem Spiel steht" aus dem Wirtschaftsteil der FAZ vom 19.12.2023 möchte ich gerne folgende für sich sprechende Schlusspassage des Artikels zitieren: " Die Interessenvertretung " Freie Bauern" hat vorgeschlagen, die Milliarde aus dem Tierhaltungsumbauprogramm zu verwenden, um die Haushaltslöcher zu stopfen. " Die sinnlose Investitionsförderung für Stallbaumaßnahmen, die angeblich dem Tierwohl dienen, aber vom Markt nicht oder zumindest nicht in dem Umfang nachgefragt werden, wird niemand vermissen", sagte Bundessprecher Alfons Wolff." Meine abschließende Bewertung dazu: Es geht halt nur um das schnelle Geld, Tierwohl und bestmögliche Schonung / Erhalt der natürlichen Umwelt, Gewässerschutz sowie Klimaschutz in der Landwirtschaft können da bleiben, wo der Pfeffer wächst. Leider beugt sich die Politik viel zu oft diesem Landwirtschaftsdiktat.

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Matthias Luy

22.12.2023, 17:48

Kluge und zutreffende Analyse, lieber Pierre!

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Peter Barthel

31.12.2023, 11:46

Liebe Angelika, neue Fronten aufzubauen halte ich für wenig sinnvoll. Das in der Landwirtschaft vieles verkehrt läuft und massenhaft Pestizite versprüht werden, hat Ursachen, auf die die Bauern auch nur begrenzt Einfluss haben. Die Agrarflächen werden in Deutschland u.a. durch Siedlungsbebauung und Naturschutzmaßnahmen jährlich weniger. Wie soll da eine extensive Landwirtschaft betrieben und ausgebaut werden? Was bringen schockierende Bilder, wenn die Ursachen generell nicht angegangen werden. Der BUND hat doch dieses Jahr das Beispiel mit dem ausgebrannten Riesenschweinestall gebracht, der trotz Gerichtsbeschluß gesetzwidrig betrieben wurde. Statt eine Breitseite gegen die gesamte Bauernschaft zu schießen, wäre es sinnvoller, die namentlich zu benennen und gegen die vorzugehen, die bewusst gegen Gesetzte und Vorschriften verstoßen. Da muss ein ständiger Austausch am runden Tisch stattfinden und regional projektbezogen geschaut werden, was sinnvoll ist. Nicht nur zeitlich begrenzt. Die Frage ist auch, wieviele Lebensmittel wollen wir in unserem Land erzeugen und sind wir bereit, den Preis dafür zu zahlen. Wie schnell eine internationale Krise zu Knappheit führen kann, hat auch der Speiseölhamsterkauf zu Beginn des Ukrainekrieges gezeigt.

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