EU-Renaturierungsgesetz: Ursula von der Leyen knickt vor Lobby ein

Berlaymont-Gebäude der EU-Kommission. Foto: Europäische Union 2016.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Angriffe auf den Europäischen Green Deal im Schatten des Ukraine-Krieges

Auf Druck unter anderem von Europaparlamentariern der konservativen Europäischen Volkspartei hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die für 23. März angekündigten Rechtsakte zur Pestizidreduktion und zur Wiederherstellung der Natur kurzerhand von der Tagesordnung genommen. Ich liefere Ihnen hier im Blogbeitrag Hintergründe und aktuelle Informationen aus Brüssel.

 

Das Green Deal – Versprechen

Zum Schutz der Biodiversität sehen der Europäische Green Deal und darauf aufbauend die EU-Biodiversitäts- und Farm-to-Fork-Strategien unter anderem rechtliche Maßnahmen zur Renaturierung und zur Pestizidreduktion vor (siehe auch diesen Naturschätze.Retten-Blog). EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans wollte das sogennante Naturschutz-Paket eigentlich bereits im Herbst 2021 vorstellen. Dort musste er es aber verschieben, weil die Rechtsakte noch nicht ausreichend ausgereift waren.

Am Mittwoch vergangener Woche (23. März) sollte es dann eigentlich so weit sein. Die seit langem feststehende Tagesordnung des Treffens des Kollegiums der Kommissare sah für diesen Tag die Beratung und Veröffentlichung des Kommissionsvorschlags eines EU-Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur sowie zur Anpassung der Richtlinie vor, die die nachhaltige Nutzung von Pestiziden regelt (Sustainable Use Of Pesticides Directive).

Cover der geleakten Verordnung zur Wiederherstellung der Natur

Zu beiden Gesetzesakten kursierte übrigens im Vorfeld ein „Leak“, nicht nur in Brüsseler Kreisen. Der Entwurf zur Pestizid-Reduktion wurde dabei von Umweltschutzorganisationen (etwa dem Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN Europe) als nicht ausreichend ambitioniert kritisiert, um einen Systemwandel einzuleiten und das in der Farm-to-Fork-Strategie verkündete 50%-Reduktionsziel zu erreichen.

Den Entwurf einer Verordnung zur Wiederherstellung der Natur hatte ich selbst prüfen können. Dieser zeigt zwar in die richtige Richtung und enthält einige gute Elemente; aber auch hier ist der Entwurf weit von dem von Umweltschutzorganisationen wie unserem Dachverband BirdLife Europe geforderten Ambitionsniveau entfernt. Außerdem enthält der Entwurf mehrere handwerkliche Mängel, die eine effektive Einklagbarkeit verhindern (mehr zum Thema zum Beispiel in der Aufzeichnung des Webinars von BirdLife Europe am 10. März: The Rewards of Nature Restoration; eine virtuelle Ausstellung zur Renaturierung finden Sie hier).

 

Die abgesagte Veröffentlichung am 23. März

Ein paar Tage vorher wurde deutlich: die EU-Kommission wird sich dem Druck der Lobby beugen und die beiden Dossiers nicht wie vorgesehen vorstellen. Am 23. März selbst stellte sie in der mittäglichen Pressekonferenz stattdessen eine (ebenfalls kritikwürdige, doch dazu nicht hier) Kommissionsmitteilung zur Ernährungssicherheit vor. Auf die Rückfrage einer Journalistin machte sie klar, dass die beiden Naturschutz-Dossiers nicht behandelt würden, und es auch noch keinen Ersatztermin gäbe.

Virtuelle Ausstellung zur Renaturierung von BirdLife Europe

Der NABU hat, genau wie seine Dachverbände BirdLife Europe und das Europäische Umweltbüro EEB, das Verschieben am vergangenen Mittwoch scharf kritisiert (siehe unsere Pressemitteilung hier). Inzwischen kursierte in einer der Brüsseler Medien der Hinweis, dass in einer noch unveröffentlichen Tagesordnung für das Kollegium-Treffen der Kommissare am 22. Juni das Naturschutz-Paket vorgesehen sei. Allerdings ist dieser Termin nicht bestätigt und auch noch weit hin, so dass derweil noch viel passieren kann. Vor allem eröffnet der Zeitraum der Anti-Umweltschutz-Lobby genügend Möglichkeiten, weiter Einfluss auf die eh unzureichenden Entwürfe zu nehmen.

 

Der Kampf der konservativen Lobby und das missbrauchte Ernährungssicherheits-Narrativ

Was führte dazu, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Gesetzesentwürfe von der Tagesordnung nehmen ließ? Mehrere Punkte, kann ich mit der Brüsseler Brille sagen:

  • Alles beginnt (mal wieder, wie schon bezüglich der EU-Taxonomie und dem delegierten Rechtsakt zu Atom/Gas, oder auch bezüglich der Direktzahlungen bei den letzten EU-Haushalts-Verhandlungen) mit Frankreich’s Präsident Emmanuel Macron (der derzeit mitten im Wahlkampf um seine zweite Legislatur steht). Nach dem Angriff Putin’s auf die Ukraine bot Frankreich, gerade auch der EU-Ratspräsidentschaft vorsitzend, die Bühne und setzte das Thema Intensivierung und Ernährungssicherheit auf die Agenda des informellen Agrarrates Anfang März. Eingeladen war natürlich auch die mächtige französische Agrarlobby, die, ähnlich wie der Deutsche Bauernverband, das ohnehin nur zarte Ergrünen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) durch den Europäischen Green Deal bzw. die EU-Farm-to-Fork-Strategie grundsätzlich kritisch sieht.
  • Hier wurde das Narrativ, wir müssten in Zeiten des Ukraine-Kriegs Naturschutzpolitik zurückstellen, um mehr zu produzieren, erfolgreich gesät. Aufgegriffen wurde dieses Narrativ willfährig von Abgeordneten der Europäischen Volkspartei EVP. Am 10. März forderten u.a. der CDU-Abgeordnete Norbert Lins, Vorsitzender des Agrarausschusses, und EVP-Fraktionsvorsitzender Manfred Weber, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, die beiden (und andere Umwelt-) Gesetze zu verschieben (siehe die Ablichtung des Briefes hier im Tweet von MdEP Anna Deparnay-Grunenberg). Ein entsprechender Änderungsantrag zu einer unverbindlichen Resolution hatte einen Tag später übrigens keine Mehrheit im Europaparlament gefunden (siehe meinen Tweet hierzu).
  • Da half es nichts, dass mehrere Umweltminister*innen (auf Twitter teilten dies zumindest die belgische und dänische Ministerin mit) und zahlreiche Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen des Europaparlaments (hier der Link zu einem Brief im Vorfeld und der Verurteilung der Verschiebung durch 50 MdEPs im Nachgang, initiiert von MdEP Jutta Paulus) an die Kommission appellierten. Auch die auch vom NABU unterstützte Last-Minute-Aktion der EU-Umweltschutzorganisationen rund um das #RestoreNature-Bündnis, die bereits zur EU-Konsultation gemeinsamt aktiv geworden waren, verhallte leider. Dass sich von Freitag vor geplanter Veröffentlichung übers Wochenende allein mehr als 10.000 Bürger*innen beteiligten, und die Kommission mit einem Brief aufforderten, Kurs zu halten, ist trotzdem ein tolles und wichtiges Zeichen.

Schaut man genauer hin, ist klar, dass dieses Narrativ missbraucht wird, denn explizit geht es den konservativen (Agrar-)Lobbyisten nicht um die Ernährung hungerleidender Menschen, sondern um das Beibehalten des business as usual, insbesondere um zusätzliche Subventionen für (Schweine-)Tierhalter, um an den derzeitigen Produktionsformen festhalten zu können.

  • Ignoriert wird, dass es das Aussetzen von Maßnahmen gegen die Natur- und Klimakrise ist, was unsere Lebensmittelsicherheit gefährden kann (siehe dazu schon unsere Pressemitteilung vom 11. März). Der letzte IPCC-Bericht vom 28. Februar war diesbezüglich unmissverständlich: wenn wir nicht schleunigst radikal handeln, und explizit auch natürliche Ökosysteme wiederherstellen, ist unsere Existenz gefährdet.
  • Ignoriert wird auch, dass die geplanten Gesetze gar keinen unmittelbaren Einfluss auf die Lebensmittelsicherheit in Zeiten des Krieges haben können, alleine schon vom zeitlichen Horizont nicht. Schließlich dauert das Gesetzgebungsverfahren im Rat und Parlament mit anschließenden Trilogverhandlungen erfahrungsgemäß mindestens 1,5 Jahre, und erst danach kann es an die Umsetzung in den Mitgliedstaaten gehen.
  • Ignoriert wird schließlich, dass eine Vorsorge für Ernährungssicherheit für Menschen in Zeiten des Krieges vor allem an zwei Punkten ansetzen muss: der Menge an Getreide (bzw. der dafür verwendeten Ackerfläche), die wir an Tiere für die Fleischproduktion verfüttern, und die Menge an Getreide, die wir zur Beimischung für sogenannte Bio-Treibstoffe (die nichts mit „Bio“ zu tun haben) verwenden. Diese beiden Punkte sind wichtig, da sie Teil der Lösung sein müssen, sollen aber nicht Gegenstand dieses Kurz-Updates aus Brüssel sein (hierzu gibt es wissenschaftliche Artikel und Untersuchungen, etc.).

EVP-Brief, der zum Verschieben der Naturschutz-Gesetze aufruft

Bleibt zu hoffen, dass sich Ursula von der Leyen auf die Sachargumente besinnt, und dass ein Aufgeschoben kein Aufgehoben dieser beiden Gesetze bedeutet. Sie als Leserinnen und Leser brauchen wir in diesen Tagen. Bitte ordnen Sie die genannten Aspekte richtig ein und machen Sie als kritische Öffentlichkeit weiter Druck. Herzlichen Dank hierfür, bleiben Sie den Naturschätze.Retten-Blogs treu!

Raphael Weyland

2 Kommentare

Jörg

31.03.2022, 17:39

Es ist eine absolute Schande, wie die (eh viel zu langsame und zu schwache) Weiterentwicklung des Naturschutzes mal wieder mit Hilfe von total abstrusen Argumenten blockiert wird. Ich würde mir vom Nabu und allen anderen Naturschutzverbänden grundsätzlich ein etwas deutlicheres und forscheres Auftreten in politischen Angelegenheiten wünschen. Wenn ich mir anschaue, wie aggressiv Bauern- und andere Lobbyverbände auftreten - und mit diesem aggressiven Auftreten meist auch Erfolg mit ihren Belangen haben - sind die Naturschutzvertreter nur 'zarte Blümchen' dagegen.

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Beate Schubert

31.03.2022, 17:48

Da wird ein Krieg instrumentalisiert, um dringend notwendigen Schutz von Natur und Klima auszuhebeln. Da geht es nicht um die Not leidenden Menschen. Ihre grausame Situation dient nur als Vorwand , um dringend benötigte Veränderungen in der Agrarwirtschaft zu verhindern, die eigentlich zum Schutz von Biodiversität und Klima unaufschiebbar sind. Das ist erbärmlich! Auch hier werden wir früher oder später unter den Folgen dieser Agrarpolitik zu leiden haben.

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