Angriffe auf das Wiederherstellungsgesetz – Berechtigte Bedenken oder bewusste Irreführung?

Copyright: NABU / Frank Derer

Während Behörden und Beamte in ganz Europa engagiert an den ersten Wiederherstellungsplänen arbeiten, möchten einige wenige Politiker das neue Gesetz am liebsten wieder abschaffen. Welche Argumente benutzen sie dafür und was steht uns 2026 bevor?

Fake News begleiten die Wiederherstellung der Natur

Wer die Entstehung der EU-Wiederherstellungsverordnung (W-VO) von Anfang mitverfolgt hat, erinnert sich, dass sie schon in ihrer Brüsseler Kinderstube einem Trommelfeuer aus Falschbehauptungen ausgesetzt war. Genützt hatte es nichts. Bei der finalen Abstimmung im Europäischen Parlament verweigerten sich sogar über 20 Prozent der EVP-Abgeordneten Manfred Webers Blockadehaltung (beziehungsweise seiner Vorgabe für die Anträge rechter Parteien zu stimmen, statt eigene einzubringen).

Bei den anschließenden Diskussionen um die Ratsposition Österreichs konnte man dann beobachten, wie in der dortigen nationalen Debatte alle längst widerlegten Falschbehauptungen erneut in die Schlacht geführt wurden. Und abermals führte dies nur dazu, die Unterstützer:innen der W-VO zu mobilisieren.

Wir hatten gehofft, uns solche Spielchen in Deutschland ersparen zu können, denn wie in Österreich steht auch in Deutschland die große Mehrheit der Bevölkerung hinter diesem „Gesetz zur Rettung der Natur“. Stattdessen wollten wir auf das Finden von effizienten Lösungen für alle Beteiligten konzentrieren. Und während hunderte Beamte und Beamtinnen in Bundes- und Landesministerien engagiert und kompetent daran arbeiten, genau solche Lösungen zu finden, müssen sie erleben, wie die Hausleitungen einiger Landesagrarministerien den Prozess sabotieren.

Wo finden sich diese Forderungen und Falschbehauptungen

Die gute Nachricht: Nur eine kleine Gruppe aus Waldbesitzenden und CDU-Landesagrarminister:innen fordert aktuell die Abschaffung dieses neuen Gesetzes zur Rettung der Natur. Konkret sind es die Agrarminister:innen aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Zwei von ihnen (Hessen und Sachsen) sind gleichzeitig Umweltminister. In Bayern sind die Ministerien zwar getrennt, aber auch Umweltminister Glauber schießt hier quer.
Diese Minderheit – und das ist die schlechte Nachricht – ist allerdings sehr gut darin, sich Gehör zu verschaffen. Hier eine kleine Historie:

  • Auf der Frühjahrs-Agrarministerkonferenz (AMK, TOP 6) forderten die CDU-Landesagrarminister:innen erstmals in einer Protokollerklärung die Abschaffung der W-VO (für einen Beschluss hätte es die Einigkeit aller Bundesländer gebraucht)
  • Mitte Juni forderten die CDU-Landesagrarminister:innen dann in zwei Briefen an die Europäische Kommission (GD Umwelt, GD Mare, GD Agri) und den Bundeslandwirtschaftsminister „die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur in der nächsten Omnibus-Verordnung vollständig aufzuheben“.
  • Ende Juni legten Waldbesitzende (AGDW), Familienbetriebe Land und Forst (FABLF) und Deutscher Bauernverband (DBV) in einem Brief an das Kanzleramt nach. Dieser stellt bisher den traurigen Höhepunkt bei Ausmaß und Absurdität der Falschbehauptungen dar.
  • Auch auf der Herbst-AMK (TOP 11) wurde erneut via Protokollerklärung die Abschaffung der W-VO gefordert, diesmal mit mehr „Argumenten“.

Die häufigsten Argumente und Narrative gegen die W-VO – ein paar Beispiele

  • Irreführend:
    „die Ziele sind gut, aber die Maßnahmen sind zu ambitioniert / die Verordnung ist nicht umsetzbar“
    Richtig ist:
    dass sich die Mitgliedsstaaten in der W-VO gemeinsame Ziele gegeben haben. Mit welchen Maßnahmen die Ziele erreicht werden, entscheiden die Mitgliedsstaaten und in Deutschland vor allem die Bundesländer allerdings selbst! Dieses Leugnen der eigenen Handlungsspielräume und Verantwortung ist besonders häufig in der Landespolitik zu beobachten.
    Die W-VO schlägt lediglich eine nicht-abschließende Liste möglicher Maßnahmen (typology of measures) vor, welche beispielsweise auch „den besseren Vollzug bestehender Gesetze“ oder „Steueranreize“ einschließt.
    Im Übrigen finden sich die meisten Ziele der W-VO teils seit Jahrzehnten in den Strategien und Aktionsplänen von Bund und Ländern – in der Regel ohne, dass sie erreicht wurden (denn sonst hätten wir ja nie ein Handeln auf EU-Ebene gebraucht).
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  • Falsch:
    „Die WV-O schafft mehr Bürokratie und Berichtspflichten für Landnutzer:innen“
    oder speziell aus dem Brief von AGDW, FABLF, DBV: „Schon die theoretische Erhebung dieser Daten [wie Brutvogelbeständen oder Totholzmengen] würde eine Personaldichte erfordern, die weder in den Bundesländern noch in den Kommunen gedeckt werden kann.“
    Richtig ist:
    dass es in der W-VO keine neuen Berichtspflichten auf Betriebsebene gibt – es sei denn Landesagrarminister möchten solche zusätzlichen Verpflichtungen einführen. Feld- und Waldvogelindex sowie Totholzanteil werden in Deutschland seit fast 20 Jahren erhoben (natürlich auch nicht auf Betriebsebene).
    Trotzdem ist die Erstellung des ersten deutschen Wiederherstellungsplanes für Bund und Länder natürlich ein Kraftakt, der auch erhebliche Ressourcen bindet. Dass teilweise so getan wird, als ‚hätte man in dieser Zeit nun wirklich und endlich mal die Natur so richtig wiederherstellen können, wenn doch nur keinen Wiederherstellungsplan schreiben müsste‚, ist trotzdem Unsinn.
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  • Irreführend bis falsch (aus den Briefen der Agrarminister:innen):
    „Die Vorgaben zu Umfang und Umsetzungszeit [der Wiederherstellung von entwässerten Moorböden] sind völlig unrealistisch“
    „In Ländern mit kleinstrukturierten Besitzverhältnissen sind Flurneuordnungsverfahren Grundvoraussetzung für eine Wasserstandshebung. Sie dauern nicht selten 10 Jahre und länger.“
    „Ackerflächen auf Moorböden [haben] aktuelle Verkehrswerte von teilweise über 100.000 Euro pro Hektar“
    Richtig ist:
    Bayern, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben sich bereits ambitioniertere Flächenziele gegeben (womit alle weiteren Einordnungen eigentlich hinfällig sind, aber dennoch …),
    bei der Wiederherstellung von Moorböden zählt die W-VO allein den Maßnahmenbeginn und nicht ihre Dauer.
    Der Situationsbericht des DBV gibt für 2023 im Bundesdurchschnitt einen Kaufpreis von 33.400 Euro je Hektar für landwirtschaftliche Flächen an. Werte von 100.000 €/ha finden sich eher bei Ackerland im Umkreis von München oder der Fehmarnbeltquerung. In jedem Fall würde man so teure Flächen wohl als letztes oder garnicht vernässen.
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  • Falsch bis irreführend (häufig seitens AGDW, FABLF, DBV):
    es sollen historische Nutzungsformen und Naturzustände wiederhergestellt werden und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur werden dabei nicht berücksichtigt.
    Richtig ist:
    dass die W-VO in Art. 4 und 5 den Ansatz der FFH-Richtlinie übernimmt. Das hat nichts mit historischen Zuständen zu tun, wie auch das BfN schon 2023 klargestellt hat.
    Der Klimawandel wird noch nur vereinzelt als pressure“ für die Lebensraumtypen berichtet und dürfte eher der Tropfen sein, der das Fass aus Habitatzerschneidung und Nährstoffeintrag zum Überlaufen bringt. Die Kommission hat dem Thema schon 2013 eine Leitlinie gewidmet. Noch davor machte die LANA Vorschläge. Dass diese Debatte gerade jetzt wieder geführt wird, hat also nichts mit dem Wunsch nach besonders modernem und dynamischem Naturschutz zu tun. Trotzdem widmet das BfN der Frage in weiser Vorraussicht ein neues F&E-Vorhaben, dessen Ergebnisse wir abwarten sollten.
    Die W-VO berücksichtigt den Klimawandel jedenfalls gleich mehrfach, beispielsweise als Ausnahme vom Verschlechterungsverbot (u.a. Art. 4 (14-16), Art. 5 (11-13), Art. 12 (4b)), und durch die Vorgabe, dass voraussichtliche Veränderungen der Umweltbedingungen aufgrund des Klimawandels“ bei Umfang und Auswahl von Wiederherstellungsgebieten berücksichtigt werden sollen (z.B. Art. 14 (2)). Die meisten Indikatoren sind darüber hinaus sowieso flexibel genug (zum Beispiel Bestäubervielfalt, statt individueller Arten).

Fake News, Irreführung oder nur berechtigte Sorgen und andere Meinung?

Nicht alles, was uns seitens des Naturschutzes nicht gefällt, ist automatisch eine Falschbehauptung. Dass Begriffe wie ‚Ernährungssicherheit‘ und ‚Nachhaltigkeit‘ sehr unterschiedlich ausgelegt und verwendet werden, sollte in einer pluralistischen Gesellschaft niemanden verwundern. Und Diskussion über die „Belastung der betroffenen Landnutzer:innen“ muss man nicht nur aushalten, sondern sie sind wichtig, um effiziente und konfliktarme Lösungen zu finden. Auch Waldbesitzende haben dabei durchaus berechtigte Bedenken, die wir im NABU nachvollziehen können und die sich sicherlich ausräumen ließen. Ironischerweise verhindern aber die vielen Falschbehauptungen den genau dafür nötigen Diskurs.

Aber wann wird die Grenze zur bewussten Irreführung überschritten? Ein gutes Beispiel ist die Frage zur Finanzierung der nötigen Wiederherstellungsmaßnahmen. Für den Artikel 4 der Wiederherstellungsverordnung hat die LANA eine Finanzbedarfsschätzung von 1,7 Milliarden pro herausgegeben, welche sofort in den zuvor erwähnten Briefen aufgegriffen wurden – allerdings sehr unterschiedlich:

CDU-Landesagrarminister:

„Bereits jetzt zeichnet sich allein für Art. 4 der W-VO in Deutschland ein geschätzter Finanzbedarf von über 1,7 Milliarden Euro pro Jahr ab. Dieser Bedarf übersteigt bereits die zur Verfügung stehenden Finanzmittel um ein Vielfaches und der tatsächliche Finanzbedarf für die Durchführung der W-VO wird diese Summe wegen des Finanzierungsbedarfs in Bezug auf die Land-, Küsten- und Süßwasserökosysteme um ein Vielfaches übersteigen.“

Das Zitat der Minister:innen ist vor allem durch den fehlenden Kontext missverständlich. So enthält der Finanzbedarf auch bereits bestehende Finanzmittel und entspricht nicht der trotzdem noch großen Finanzlücke. Auch ist diese Schätzung kaum neu, denn da der Art. 4 der W-VO auf FFH-Lebensraumtypen zielt, speist sich die Finanzbedarfsschätzung vor allem aus dem entsprechenden Prioritären Aktionsrahmen und ist nur unwesentlich höher. Zudem wollen wir die FFH-Richtlinie ja eigentlich sowieso und schon seit langem umsetzen?

AGDW, FABLF, DBV:

„Allein die Bürokratiekosten eines einzigen Artikels der Verordnung belaufen sich auf rund 1,7 Milliarden Euro – Mittel, die in zahlreichen sinnvollen Projekten besser investiert wären als in zusätzliche Bürokratie.“

Hier wird es nun schlicht bewusst falsch, denn die 1,7 Milliarden Euro enthalten vor allem Förderung für Landnutzende und Projekte. Spannend dabei ist, dass man eine Berechnung deutscher Behörden nimmt, sie komplett entstellt und dann an eine Behörde (das Kanzleramt) schickt. Wie man so wenig Respekt vor der Arbeit deutscher Behörden im Kanzleramt bewertet, wissen wir nicht. Von der LANA gab es unterdessen keine Versuche, diese Umdeutung ihrer Arbeit wieder einzufangen und auch sonst verbreiteten sich diese Aussagen ungeprüft in Medien und Sozialen Netzwerken.

Natürlich müssen aber weitere finanzielle Mittel bereitgestellt werden – auch aus dem EU-Haushalt und der Gemeinsamen Agrarpolitik. Trotzdem kommen EU-Gesetze aber selten vollfinanziert aus Brüssel. In der Regel geben sich die Mitgliedsstaaten durch EU-Recht Ziele, die sie dann auch größtenteils selbst finanzieren.

Fazit – was erwartet uns beim deutschen Wiederherstellungsplan und wie umgehen mit Fake News?

Anfang nächsten Jahres findet die offizielle Beteiligung zur Rohversion des Entwurfes des deutschen Wiederherstellungsplan statt. Das Dokument wird lang und enthält sowohl Bundes- und Landesmaßnahmen. Damit bietet es viel Angriffsfläche für erneute Verdrehungen. Das Fehlen der nötigen Integrität vorrausgesetzt, mag es für manche Akteure verlockend sein hier erneut kleine Aspekte aus dem Kontext zu reißen, zu verdrehen und zum Drama aufzubauschen.

Und auch wenn die W-VO nicht mit dem aktuellen Umwelt-Omnibus über die Vereinfachungsklippe in den Abgrund aus weniger Natur- und Umweltschutz stürzt – die Legislaturen von Europaparlament und Bundesregierung haben erst begonnen. Es wird also weitere Angriffe geben. Werden wir dann seitens des Naturschutzes wieder damit beschäftigt sein reaktiv und mit viel weniger Reichweite Fakten richtigzustellen? Und werden wir dadurch weniger Zeit für das Bewerben unserer eigenen Ansprüche und Vorschläge haben? Schauen wir einfach zu wie sich Falschbehauptungen verbreiten?

Die Europäische Kommission und auch viele Bundesländer haben Strategien und Leitlinien für den Umgang mit Fake News entwickelt. Ein häufiges Element dieser Initiativen ist, dass „Falschbehauptungen eine gesamtgesellschaftliche Antwort erfordern“. Journalist:innen müssen kontextualisieren statt Falschbehauptungen als „Meinung“ abzudrucken. Ministerien sollten sich überlegen, ob sie Stakeholder, die sich einem Fakten-treuen Diskurs verweigern mit exklusiven Terminen und Plätzen auf Podiumdiskussionen belohnen. Bei all dem gilt es sich nicht zu sehr in den fachlichen Details der FakeNews selbst zu verlieren. Beispielsweise schreibt die Kommission sehr treffend:

„Desinformation ist falscher oder irreführender Inhalt, der mit der Absicht verbreitet wird, zu täuschen oder wirtschaftliche bzw. politische Vorteile zu erlangen und der der Öffentlichkeit schaden kann.

Diese Motive und ihren gesellschaftlichen Flurschaden gilt es ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, denn wer Recht hätte, müsste nicht lügen. Dies kann nicht alleine Aufgabe von Naturschutzverbänden sein.
Wichtig ist nun die W-VO auf ein breiteres Fundament zu stellen und sie so in Verwaltungen und den Köpfen der Menschen zu verankern. Vor allem aber muss sie schnell in der Landschaft Fuß fassen, um zu beweisen, dass sie wirkt und dass man vor ihre keine Angst haben braucht.

 

Stephan Piskol

Referent für Renaturierung und natürlicher Klimaschutz

3 Kommentare

Matthias Luy

10.12.2025, 14:16

Danke, Stefan, für die ausführliche Darstellung des status quo und seiner Historie. Eine sehr gute Zusammenstellung der Narrative und wertvoll, dass du Aussagen mit Originalzitaten aus den Dokumenten unterlegt hast!

Antworten

Stephan Piskol

11.12.2025, 15:43

nächstes Mal schauen wir wieder nach vorne :) Finde diese Rückblicke garnicht so hilfreich, aber bestimmte Dinge müssen mal abgeräumt werden.

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Volker Gräf

10.12.2025, 16:41

Ich gratuliere euch zu eurem unermüdlichen Einsatz. Don Quichote mit seinen Windmühlen ist nichts dagegen. Zitat: Eine Lüge ist um die Welt gereist, während die Wahrheit sich noch die Schuhe anzieht. Ich hoffe, die W-VO kommt ohne zu große Schrammen doch noch durch.

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