30 Prozent Schutzgebiete: Kaum Fortschritte erkennbar

30 Prozent Schutzgebiete: Kaum Fortschritte erkennbar

Was ist in den letzten zehn Monaten passiert beim effektiven Flächenschutz in Deutschland? – nicht viel, kann man zusammenfassend sagen. 

Zuletzt berichteten wir Anfang September 2023 über den Stand des Pledge & Review Prozesses. 

In unserem letzten Blogbeitrag Europa tritt beim Flächenschutz auf der Stelle – wie weit sind wir auf dem Weg zum 30-Prozent-Ziel? (nabu.de) berichteten wir über das atlantische biogeographische Seminar. Hier trafen sich die Mitgliedstaaten der EU, die Anteile an der atlantischen biogeographischen Region haben, um sich über den Stand der Umsetzung der Flächen- und Erhaltungsziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 austauschten.  

Ein Update: Das kontinentale biogeographische Seminar in Prag 

Vergangene Woche, vom 25.-27.6.2024 ging es nun in die nächste Runde. Die Mitgliedstaaten mit Anteilen der Kontinentalen, Alpinen, Pannonischen und Steppischen Regionen sowie die der Region des Schwarzen Meers trafen sich in Prag um über Fortschritte, Lösungsansätze und gute Beispiele zu sprechen (Continental region (biogeoprocess.net)).  

Im Seminar wurden folgende drei Themen behandelt:   

  • Stand der abgegebenen Versprechen (Pledges): Diese muss jedes Land abgeben, um innerhalb der jeweiligen biogeographischen Region auf die Flächenziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 zu erreichen (30 Prozent geschützte Flächen an Land und im Meer, ein Drittel davon unter striktem Schutz).  
  • Potential von OECMs (Other effective area-based conservation measures), um die Flächenziele zu erreichen. 
  • Gelungene Wiederherstellungsmaßnahmen für Grünland in Schutzgebieten.  

Wo stehen wir beim quantitativen Flächenziel auf dem Weg zu 30 Prozent effektiven Schutzgebieten? 

Kurz gesagt: In Deutschland ist seit März 2023 nicht viel voran gegangen. Wir haben also noch nicht geklärt, wo genau das letzte Drittel der 30 Prozent Fläche liegt (bisher wurden etwa 17% gemeldet). Im Seminar tauschten sich die Mitgliedstaaten nun dazu aus, welche Vorgehensweisen gut funktionieren und wie man Probleme bei der Ausweisung neuer Schutzgebiete oder der Meldung von existierenden Schutzgebieten angehen kann. Es bleibt abzuwarten, ob der Versuch der EU-Kommission den sehr stockenden Prozess so wieder in Fahrt zu bringen aufgeht. In Deutschland müssen die Bundesländer Flächen für den Prozess an den Bund melden, dieser wiederum bündelt die Informationen und gibt diese an die EU weiter.  

Wo stockt es nun? Sehen die Länder keine Priorität in dem Prozess oder weist der Bund nicht nachdrücklich genug auf das international festgesetzte Ziel hin?  

Wo die restlichen Flächen liegen, ist bisher nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass nun auch   OECM-Gebiete besprochen werden – wörtlich übersetzt „andere effektive flächenbezogene Naturschutz-Maßnahmen“. Dazu gehören Gebiete, die keiner staatlichen Schutzgebietskategorie unterliegen, über klar definierte Kriterien aber trotzdem für die Flächenziele gezählt werden können. Weitere Informationen dazu hier: OECMs können Naturschutzmaßnahmen ergänzen – Naturschutz und Landschaftsplanung (nul-online.de) 

OECMs sind International keine neue Idee, in Deutschland und Europa aber noch kaum bekannt oder umgesetzt. Bisher gibt es in Deutschland keine systematische Erhebung potenzieller OECMs. Ob diese das große Loch von über zehn Prozent der Flächenmeldung schließen und auch einen erheblichen Beitrag zur Zielerreichung des strikten Schutzes abgeben können, bleibt abzuwarten.

Wie steht es um die Qualität der bereits gemeldeten Schutzgebiete?  

Bei dem Prozess geht es auch darum, die unterschiedlichen Schutzgebietskategorien innerhalb der EU und damit auch in Deutschland auf einen gemeinsamen Standard anzuheben. Die Schutzgebiete innerhalb der 30 Prozent sollen alle klare Schutz- und Erhaltungsziele, ein gut geplantes und wirksames Management sowie ein zur Messung der Zielerfüllung angemessenes Monitoring erhalten. Davon sind die meisten Schutzgebiete in Deutschland noch weit entfernt. Selbst bei Natura-2000-Gebieten, an die sich diese Vorgaben anlehnen und bei denen die Erfüllung eigentlich in den zugehörigen EU-Verordnungen festgelegt ist, kommt Deutschland mit der Umsetzung nicht hinterher, was sich auch in den zahlreichen Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wiederspiegelt (Natura 2000: Warum Vertragsverletzungsverfahren Deutschland antreiben müssen (nabu.de)).

An Maßnahmenplanung und -umsetzung mangelt es auch in Naturschutzgebieten. Viele deutsche Nationalparke sind noch Entwicklungsnationalparke, die Kernzone muss noch vergrößert und die Eingriffe verringert werden. Auch in den Pflege- und Entwicklungszonen von Biosphärenreservaten besteht noch ein hoher Druck durch nicht auf die Schutzziele abgestimmte Nutzung. Dazu berichteten und diskutierten wir auch auf unserem NABUtalk Anfang des Jahres: NABUtalk: Schutzgebiete müssen Vielfalt schützen! – NABU

Erfreulich ist, dass die Wiederherstellung als unumgänglicher Teil der Lösung erkannt wurde 

Beispielsweise verschlechtert sich der Zustand von Grünland-Lebensraumtypen in Deutschland und Europa zunehmend, obwohl diese Biotope von herausragender Bedeutung für die Artenvielfalt sind. Auch speichert extensiv bewirtschaftetes Grünland Kohlenstoff, schützt gegen Erosion und hilft dabei Wasser zu speichern. Im Seminar wurden deshalb Erfahrungen zur Wiederherstellung von Grünland aus verschiedenen erfolgreichen LIFE-Projekten im biogeographischen Raum ausgetauscht.  

Für Deutschland ist dieses Thema aus mehreren Gründen sehr relevant. Zum einen wartet Deutschland aktuell auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Vertragsverletzungsverfahren wegen des Verlusts von Lebensraumtypen der artenreichen Mähwiesen in Deutschland (Informationen dazu hier:  EU verklagt Deutschland wegen Grünlandverlust – NABU). Außerdem wurde mit der Verabschiedung der Wiederherstellungsverordnung auf europäischer Ebene nun auch festgelegt, dass Lebensraumtypen in Natura 2000-Gebieten, die sich in einem schlechten Zustand befinden, durch Wiederherstellungsmaßnahen in einen guten Erhaltungszustand zurückversetzt werden müssen. 

Wie aber kann Deutschland es noch schaffen seinen Versprechen nachzukommen und 30% seiner Fläche unter effektiven Schutz zu stellen? 

Eines der wesentlichen Probleme bei der Umsetzung von Natura 2000 und anderen effektiven Schutzgebieten in Deutschland sind fehlende Kapazitäten, finanziell, vor allem aber auch personell.  

In gleich zwei Beiträgen beleuchtete die Fachzeitschrift Naturschutz und Landschaftsplanung diese Problematik in den letzten Monaten ausführlich und bot dazu praxisorientierte Lösungsansätze.  

  1. Die Probleme liegen eigentlich auf der Hand:  Unsere Landschaft muss immer vielfältigere Aufgaben erfüllen und unterliegt multiplen Krisen. Somit fallen in den Naturschutzverwaltungen immer mehr Aufgaben an, die Zeit für jede Einzelne wird knapper. Auch wird zu wenig interdisziplinär gearbeitet, von Wasser über Forst- und Landwirtschaft bis zum Naturschutz wird in den Verwaltungen nicht systematisch gemeinsam geplant und gearbeitet. Komplexes Förderrecht und finanzielle Einschränkungen machen die Aufgaben zusätzlich schwieriger. Auch werden die Mitarbeitenden nicht ausreichend gefördert, logischerweise führt all dies zu Unzufriedenheit und Frustration (Quelle: jedicke-et-al-2024-NuL (uni-freiburg.de) ) 
  1. Ein wichtiger Teil der Lösung muss es sein, die Mitarbeitenden in den Behörden zu entlasten, im ersten Schritt durch zwischen den Fachverwaltungen/-behörden abgestimmte und vereinfachte Prozesse, sicherlich aber auch durch zusätzliches Personal. Außerdem muss dem Fachkräftemangel im Naturschutz nachhaltig begegnet werden. Hier muss eine Ausbildungsoffensive gestartet werden, schon in den Universitäten und bei Ausbildungen muss ein Umdenken stattfinden. Auch Fort- und Weiterbildungen sind nötig, um Mitarbeitende für neue Aufgaben zu befähigen und den Quereinstieg einfacher zu ermöglichen. Dies sollte bundesweit koordiniert stattfinden, sodass die Bundesländer im Prozess voneinander profitieren können. Diese und weitere Teile der Problemlösung benötigen dringend eine EU-Naturschutzfinanzierung (Quelle: Teil 2: Lösungsansätze – ein Aufruf zu einem notwendigen Reformprozess – Naturschutz und Landschaftsplanung (nul-online.de)). 

Ein Ausblick 

Der Prozess zur Meldung und vor allem zur qualitativen Verbesserung und Erhaltung von Schutzgebieten ist ein wichtiges Puzzleteil im Kampf gegen die Artenkrise. So wurde es in der EU-Biodiversitätsstrategie und auch im globalen Weltnaturabkommen erkannt und festgelegt. Am Ende helfen fachliche Seminare, Studien und Beiträge aber nur wenig, wenn der politische Wille nicht da ist, EU-Vorgaben zu priorisieren, umzusetzen und durchzugesetzt.  Die Ausweisung von 30 Prozent der Fläche, die wirksam zum Schutz von Biodiversität erhalten und gemanagt wird, ist keine einfache Aufgabe. Es braucht deshalb Anstrengungen und Zusammenarbeit von allen Beteiligten – von der konkreten praktischen Umsetzung in den Gebieten über die unteren Behörden bis hin zu Landes- und Bundesministerien. Die Bundesregierung wird ohne die Unterstützung und Meldung von Gebieten aus den Ländern keine 30 Prozent Flächenkulisse an die EU melden können. Andersrum wird es für die Länder zunehmend schwieriger Erhaltungs- und Entwicklungsziele zu erreichen, wenn sie bei der Umsetzung von Maßnahmen nicht besser von der Bundesebene unterstützt werden. 

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