Die Wiederherstellungsverordnung wird 1 –  doch noch gibt es zum Feiern wenig Grund

Die Wiederherstellungsverordnung wird 1 – doch noch gibt es zum Feiern wenig Grund

Am 18. August 2024 trat das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur in Kraft. Noch bevor es irgendeine Wirkung in der Landschaft entfalten konnte, möchten einige es am liebsten wieder abschaffen. Aber ist so viel Drama gerechtfertigt?

Worum geht es bei dem Gesetz?

Die Wurzeln des EU-Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur, in Deutschland die Wiederherstellungsverordnung (W-VO), reichen weit zurück. Bereits 2019 erklärte die UN-Generalversammlung das kommende Jahrzehnt (also die 2020er-Jahre) zur UN-Dekade für Ökosystemwiederherstellung. Von dort nahm der Fokus auf diese aktive Trendumkehr des Biodiversitätsverlust seinen Weg in den EU-Green Deal und schließlich in die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030.

Das Ziel, unsere Ökosysteme wiederherzustellen, ist allerdings noch viel älter. Schon seit 1992 steht es im Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) (Artikel 8. (f)). Allerdings ist es hier, wie auch anderswo, ungenau formuliert, nicht mit konkreten Fristen untersetzt oder es fehlt die rechtliche Verbindlichkeit. Kurzsichtig handelnde Regierungen konnten die Natur so leicht ignorieren. Auch dieser 30 Jahre währende kollektive Mangel an Verantwortung hat letzten Endes ein neues Rechtsinstrument nötig werden lassen. In einem kurzen Moment der Klarheit, konnten sich vor einem Jahr auch die Politiker*innen der EU-Mitgliedsstaaten auf diese Erkenntnis einigen.

Und so verwundert es nicht, dass auch die 680-seitige Folgenabschätzung der neuen Verordnung erneut zu dem Ergebnis kam: „Weiter so“ (Baseline-Szenario) ist keine Option. Von den übrigen untersuchten Politikoptionen wurde am Ende ein zweistufiger Ansatz gewählt. Dadurch erhalten Mitgliedsstaaten weitere Flexibilität, indem sie für einen Teil der Indikatoren auch nationale Wiederherstellungsziele, sogenannte zufriedenstellende Niveaus, setzen dürfen (in vorherigen Blog-Beiträgen findet sich auch ein Überblick aller Ziele, den Artikel 4 zu FFH-Lebensraumtypen und Landwirtschaft).

Wie ist der Umsetzungsstand?

In den ersten Monaten nach Inkrafttreten sorgte das neue Gesetz zunächst für Irritationen. Aus den Verhandlungen war zwar ein fairer und mehrheitsfähiger Kompromiss hervorgegangen – aber kein leicht verständlicher Gesetzestext. Immerhin lichtet sich dieser Nebel dank diverser Informationsportale, Leitlinien und Informationsveranstaltungen langsam.

So hat die Europäische Umweltagentur (EEA) ein „Reference Portal“ mit den offiziellen Informationen zu jedem Artikel der Verordnung eingerichtet. Viele Inhalte stammen aus bestehenden Dokumenten – ein Zeichen, dass die W-VO gut in bestehende Gesetze integriert ist. Auch an den Durchführungsbestimmungen für ein Bestäubermonitoring wird gearbeitet (Entwurf und Konsultation im Juli, finales Dokument Ende August). Der Beginn des Monitoring ist für 2027 vorgesehen, wobei wir natürlich schon genug wissen, um erste Wiederherstellungsmaßnahmen festzulegen. Denn wie bei allen Zielen der W-VO ist es schwer vorstellbar, dass wir aus Versehen zu viel Natur reparieren.

In Deutschland hat das BMUKN eine Infoseite mit Zeitstrahl, Beteiligungsoptionen und FAQ eingerichtet. Für die fachliche Arbeit und die Erstellung des deutschen Wiederherstellungsplanes gibt es eine Bund-Länder-Koordinierungsgruppe. An dieser beteiligen sich neben dem BMUKN, anderen Bundesministerien (BMLEH (Landwirtschaft und „Heimat“), BMV (Verkehr), BMWSB (Wohnen und Raumordnung) …) und dem BfN auch die vielen Bund-Länder-Arbeitsgruppen/-gemeinschaften. Sie erarbeiten zusammen den deutschen Wiederherstellungsplan.

Wie steht es um den deutschen Wiederherstellungsplan?

Seit April liegt nach einer öffentlichen Konsultation im Februar auch das einheitliche Format für den nationalen Wiederherstellungsplan als finales Dokument vor. Darin legen die Mitgliedsstaaten dar, wie sie die Ziele der einzelnen Artikel erreichen wollen (Teil B) und tragen ihre Wiederherstellungsmaßnahmen (Teil C) ein. Wiederherstellungsmaßnahmen sind dabei auch politisch zu verstehen, denn von der Kategorie „ermöglichende und unterstützende Maßnahmen“ dürfte die größte Wirkung ausgehen. Dabei handelt es sich unter anderem um:

  • Neue nationale und subnationale Gesetze
  • Die bessere Umsetzung und Durchsetzung bestehender Gesetze
  • Markt- oder Steueranreize oder Kompensationszahlungen, z. B. für Verdienstausfälle

Anders gesagt: Die Schaffung neuer bzw. die Aufstockung bestehender Förderinstrumente und die Umsetzung bereits beschlossener Gesetze, Strategien und Aktionspläne zählen genauso als Wiederherstellungsmaßnahme wie konkrete Projekte zur Auenrenaturierung oder begonnene Flurneuordnungsverfahren zur Wasserstandsanhebung auf Moorböden. Wichtig ist allein die Wirkung und das Erreichen der Ziele der W-VO.

Die Wiederherstellungspläne dienen der EU-Kommission als Kontrollinstrument, um sicherzustellen, dass alle Mitgliedsstaaten das gleiche Ambitionsniveau zeigen. Es handelt sich also nicht um ein prosaisches Strategiedokument oder um einen flächenscharfen Entwicklungsplan, sondern um ein trockenes Berichtsformat mit vielen Zeilen und Textfeldern. Was bürokratisch erscheinen mag, ist schlichtweg die normale Grundlage staatlichen Handelns – vor allem, wenn verschiedenste Regionen und Gesellschaften auf ein gemeinsames Ziel zuarbeiten. Der große Fortschritt: Es wird erstmals systematisch vorausgeplant, statt im Nachhinein zu berichten.

Im Frühjahr 2026, so der aktuelle Zeitplan des BMUKN, soll die offizielle Öffentlichkeitsbeteiligung starten. Dann wird ein echter und hoffentlich umfassender Einblick in die Ambitionen von Bund und Ländern möglich sein.

Welchen politischen Gegenwind gibt es?

Insgesamt läuft die Umsetzung der Wiederherstellungsverordnung so, wie man es von einem neuen EU-Gesetz erwarten würde: etwas uninspirierend und unambitioniert, aber durchaus ernsthaft bemüht. Und während eigentlich alles irgendwie vor sich hin zu laufen schien, starteten drei große Landnutzungs- bzw. Landbesitzverbände mit Unterstützung aus der Politik Anfang des Jahres überraschend eine Kampagne gegen die Wiederherstellungsverordnung.

Deren High- bzw. Lowlights waren unter anderem:

In all diesen Initiativen wird leider auch sehr stark auf Irreführung und seitens der Landnutzer*innen auch auf grobe Falschbehauptungen zurückgegriffen. Diese wollen wir hier nicht weiterverbreiten, aber zwei Beispiele sollen dennoch den Stil der Briefe verdeutlichen:

  • Die Landnutzungsverbände behaupten, dass „schon die theoretische Erhebung der Daten [„von Brutvogelbeständen über die Insektenvielfalt bis hin zu detaillierten Mengen an liegendem und stehendem Totholz“] eine Personaldichte erfordern [würde], die weder in den Bundesländern noch in den Kommunen gedeckt werden kann.“
    Richtig ist, dass sowohl Totholzanteile (in der Bundeswaldinventur) als auch der Wald- und Feldvogelindex (in der deutschen Nachhaltigkeitsberichterstattung und im Indikatorenbericht) bereits seit 20 Jahren etabliert sind. Das Monitoring der Bestäuberpopulationen wird in Deutschland an das nationale Insektenmonitoring angelehnt, das bereits vor der W-VO vom BfN entwickelt wurde und unter anderem Ergebnis des Aktionsprogramms Insektenschutz von 2019 ist.
  • Die CDU-Landesagrarminister behaupten, „Ackerflächen auf Moorböden [haben] aktuelle Verkehrswerte von teilweise über 100.000 Euro pro Hektar“.
    Richtiger scheint, wie ein Abgleich mit dem Situationsbericht des DBV zeigt, dass das wohl die absolute Ausnahme sein dürfte und man diese Flächen wohl mindestens spät bzw. auch gar nicht wiedervernässen würde (die Wiederherstellungsverordnung ist weit weg von einem 100%-Wiedervernässungsziel). In jedem Fall haben sich alle drei moorreichen Bundesländer mit CDU-Agrarressorts bereits ambitionierte Wiedervernässungsziele gegeben, als es die W-VO vorschreibt.

Unseren Standpunkt zu diesen Nebelkerzen durften wir kürzlich auch im Tagesspiegel Background darlegen. Im Kern zeigt der Mangel an echten Argumenten und Vorschlägen aber, dass es nicht um Fachdetails, sondern um Grundsatzfragen geht. Die Wiederherstellungsverordnung wird als strategische Bedrohung betrachtet, die es im Keim und mit allen Mitteln (wieder) zu ersticken gilt. Man möchte wieder zurück zu einer Politik der reinen Lippenbekenntnisse und Absichtserklärungen. Wie fatal das wäre, zeigen auch die vielen nicht oder nur halbherzig umgesetzten Strategien auf Bundes- und Landesebene.

Fazit

Während man das Ziel dieser Initiativen zumindest aus demokratischer Sicht erst einmal als legitim hinnehmen kann, so ist die Wahl der Mittel äußerst bedenklich. Dabei gäbe es durchaus Dinge, die sich an der Umsetzung oder Durchführung der Verordnung in Deutschland kritisieren ließen. Beispielsweise sind Stand und Inhalt der Diskussionen der verschiedenen Bund-Länder-Arbeitsgruppen völlig undurchsichtig. Und mit Blick auf die Beteiligung gibt es vor allem in den Bundesländern teils deutlich Luft nach oben. Ein Blick in andere EU-Mitgliedsstaaten zeigt hier, dass es durchaus besser geht. Auch scheint sich die Debatte größtenteils auf das Berichten von allem ‘was bereits gemacht wird‘ zu konzentrieren, statt weiteren Handlungsbedarf zu identifizieren.

Ironischerweise erschweren aber all diese Falschbehauptungen, Irreführungen und politischen Angriffe auf die W-VO einen echten Dialog und damit auch zielführende Beteiligungsformate. Für Diskussionen über einen fairen Interessenausgleich und die  effizienteste, unbürokratischste Wiederherstellung der Natur bleibt dadurch wenig Raum.

Die Umweltverbände stehen unterdessen vereint hinter dem Gesetz. Gleichzeitig wird klar: Ein beschlossenes Gesetz ist kein Grund, sich auf der anstehenden Umsetzung auszuruhen. Sowohl für die Notwendigkeit der Wiederherstellung unserer Ökosysteme, ihre vielfältigen Zusatznutzen für unsere Gesellschaft, wie auch für die besten und konfliktärmsten Lösungen muss weiter geworben werden.

Stephan Piskol

Referent für Renaturierung und natürlicher Klimaschutz

1 Kommentar

Ulrich Schulte

13.08.2025, 15:49

lieber Nabu, wenn man Jahr aus die Negativen Veränderungen in der Argralandschaft erlebt, dann wäre es eigentlich nur logisch, dass auch die Landwirtschaft ein interesse an einer Wiederherstellung und ökologischen Vielfalt habe müsste. Landschaften, die vielfältig sind sind reselienter gegen die kommenden Herausforderungen des Klimawandels. Ich verstehe nicht, das die meisten Bauern das nicht kapieren und immer nur innere Verlustängste haben. Wenn wir jetzt nicht in Richtung Wiederherstellung der Natur handelt, dann wird Landwirtschaft durch den Klimawandel Existenzen verlieren.

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