100 Tage EU-Wiederherstellungsgesetz – (An)Gespanntes warten auf die nächsten Schritte

100 Tage EU-Wiederherstellungsgesetz – (An)Gespanntes warten auf die nächsten Schritte

Die EU-Wiederherstellungsverordnung ist vor 115 Tagen in Kraft getreten. Die zwei Jahre, in denen Deutschland seinen nationalen Wiederherstellungsplan entwerfen soll, sind bereits 15% verstrichen. Was braucht es nun für eine schnelle Umsetzung?

Aktueller Stand

In der Politik stellen die ersten 100 Tage von neuen Regierungen und Vorhaben eine Art Schonzeit dar. In ihr wird zwar hart gearbeitet, geplant und abgestimmt, aber hinsichtlich konkreter Ergebnisse und Details ist man in dieser Zeit noch nachsichtig. Bei der neuen EU-Wiederherstellungsverordnung ist diese Zeit nun abgelaufen und so häufen sich auch bei uns die Nachfragen:
Was ist denn nun mit der Verordnung?“, „Wo kann man sich bei der Erstellung des Wiederherstellungsplan einbringen?“ oder „Wieso kann man immer noch Stadtbäume fällen?“.

In der Tat ist es etwas still geworden, um ein Gesetz, welches mit solch dringenden rechtlichen und naturwissenschaftlichen Fristen einhergeht. Hinter den Kulissen wird aber natürlich hart an der Umsetzung gearbeitet. So wurden nun vier Begleitvorhaben aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz durch das BfN vergeben, die juristische (Los 1) und naturschutzfachliche Fragestellung (Los 2 und 3) sowie die Öffentlichkeitsbeteiligung (Los 4) unterstützen sollen.

Auch die Umweltminister:innen der Länder haben sich auf ihrer 103. Konferenz in Bad Neuenahr-Ahrweiler zum Wiederherstellungsgesetz positioniert. So fordern sie – wie auch der NABU und weitere Umweltverbände – (in TOP 8 Punkt 9) die Einrichtung eines eigenen Wiederherstellungsfonds im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (siehe Empfehlungen unseres Dachverbandes BirdLife Europe). Außerdem soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet werden, auf der idealerweise auch die übrigen betroffenen Fachministerkonferenzen (z.B. AMK, BMK) vertreten sind (TOP 13 Punk 4).

Weiterhin bat die UMK um eine „flankierende gesetzliche Regelungen zur Zuständigkeit in der Durchführung der W-VO“ (TOP 13 Punk 3). Auch Steffi Lemke hatte im Tagesspiegel Background bereits geschlussfolgert, dass „das EU-Renaturierungsgesetz so schnell wie möglich in die nationale Gesetzgebung umgesetzt werden [müsse]“. Vor der Bundestagswahl wird das nun aber natürlich nichts mehr.

Wann wird die Umsetzung greifbar?

Die UMK-Beschlüsse zu Governance, Rechtsrahmen und Finanzierung zeigen den Kern der aktuellen Debatte, welche auch NABU Rheinlandpfalz und BUND Rheinlandpfalz in ihrem Impulspapier und -vortrag bei der UMK betont haben (siehe auch PM NABU RLP). So macht das Papier unter anderem folgende Vorschläge:

  • Alle Ressorts in die Verantwortung nehmen
    Die Wiederherstellung unserer Ökosysteme ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie erfordert partizipative Beteiligungsprozesse mit echten Gestaltungsspielräumen, um die nötige Akzeptanz sicherzustellen.
    Im Naturschutz besteht aktuell ein großes Vollzugsdefizit. Grund dafür ist auch ein sektoraler Ansatz und die fehlende Mitwirkung anderer Ressorts. Moderne Naturschutzpolitik muss ihren Instrumentenkasten daher um die Werkzeuge und Hebel aller Ministerien erweitern. Ohne die proaktive Mitwirkung und Verantwortungsübernahme von Agrar-, Bau-, Verkehrs-, Energie-, Klima- und Finanzressorts in Bund und Ländern wird die Umsetzung der Wiederherstellungsverordnung nur schwer gelingen (organisatorisches Mainstreaming). Gerade die messbaren Indikatoren der Verordnung ermöglichen dabei eine solche Verantwortungsübernahme und Erfolgskontrolle. Neben dem Einbringen von eigenen Maßnahmen sowie der Integration von Renaturierungsbedarfen in Förderinstrumenten und Fachgesetzen (programmatisches und regulatorisches Mainstreaming) müssen die entsprechenden Ministerien auch um Akzeptanz der ihnen nahestehenden Nutzergruppen werben oder bei Bedarf Falschinformationen entgegenwirken.
  • Rechtliche Rahmenbedingung schaffen und modernisieren
    Naturschutzrecht ist auf das Bewahren ausgelegt. Viele Renaturierungsmaßnahmen aber gehen zumindest zu Beginn mit baulichen Eingriffen oder Änderungen in Land- und Meeresnutzung einher. Die entsprechenden Verfahren sind für die aktuellen Herausforderungen oft nicht mehr zeitgemäß. So werden wertvolle Personal- und Finanzressourcen gebunden.
    Um die Trendumkehr beim Naturverlust rechtzeitig einleiten zu können, muss die Wiederherstellung unserer Ökosysteme genauso beschleunigt werden, wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Dazu gehört neben Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung auch, Flächen von besonderer Bedeutung für den Schutz der Ökosystemfunktionen schneller und effektiver bereitzustellen und zu sichern (siehe z.B. zweiteiligen NABU-Rechtsgutachten (Teil 1, Teil 2)).
    Entsprechende rechtliche Anpassungen können nicht nur im Bundesnaturschutzgesetz, dem Wasserhaushaltsgesetz oder dem Raumordnungsgesetz auf Bundesebene erfolgen. Auch in den entsprechenden Landesgesetzen können rechtliche Hürden abgebaut werden.
  • Finanzierung
    Die Finanzierungslücke bei Schutz und Wiederherstellung besteht nicht erst seit dem Inkrafttreten der Wiederherstellungsverordnung. Sie nicht zu schließen, hat nun allerdings weitere Konsequenzen. Wiederherstellungsmaßnahmen umzusetzen, ist dabei effizienter als Geld für drohende Vertragsstrafen zurückzustellen. Ebenso entsteht Effizienz aus den diversen gesellschaftlichen Zusatznutzen der Maßnahmen z.B. für die Klimafolgenanpassung.
    Die Wiederherstellungsverordnung selbst erfordert die „Angabe der Subventionen, die sich negativ auf die Erreichung [ihrer] Ziele und die Einhaltung der Verpflichtungen […] auswirken“ (Art. 15 (3) v)). Diese sind dann auch schrittweise und sozialverträglich abzubauen.
    Darüber hinaus sollten bestehende Finanzierungsinstrumente wie das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) oder die nationalen Artenhilfsprogramme in der nächsten Bundesregierung fortgeführt und erweitert werden. Auch über die Weiterentwicklung von Honorierungsmöglichkeiten für ökologische Leistungen im Privatsektor (z.B. durch Steuererleichterungen) sollte diskutiert werden.

Maßnahmen umsetzen statt nur berichten

Gerade für große und föderal organisierte Mitgliedsstaaten ist der Zeitrahmen für die Erstellung des Wiederherstellungsplanes mit Blick auf die nötigen Abstimmungs- und Beteiligungsprozesse durchaus eine Herausforderung. Gleichzeitig sind viele Verpflichtungen der Wiederherstellungsverordnung schon aus anderen EU-Richtlinien und nationalen Strategien bekannt:

  • So sieht bereits die nationale Biodiversitätsstrategie von 2007 eine Trendumkehr bei Feldvögeln (Artenvielfalt und Landschaftsqualität) vor. Seitdem ging es trotzdem weiter bergab.
  • Auch die kürzlich eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (INFR(2023)2179) und ergangenen Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (C-47/23 und C-66/23) zu FFH- und Vogelschutzrichtlinie zeigen die starke Synergie mit bestehendem Recht, denn sie erfordern Maßnahmen, welche gleich auf mehrere Ziele der Wiederherstellungsverordnung anrechenbar sind.
  • Nicht zuletzt enthielt das Übereinkommen über die biologische Vielfalt bereits 1992 die Verpflichtung zur Wiederherstellung von Ökosystemen (CBD, Artikel 8.f).

Die neue EU-Verordnung konkretisiert also vor allem bestehende Verpflichtungen, setzt einheitliche europäische Standards und schafft eine neue Verbindlichkeit.

Folglich gibt es weder einen Grund noch eine Rechtfertigung dafür, nicht parallel zu Planung und Berichterstattung auch schon mit der Umsetzung zu beginnen. Dazu sollten Sofortprogramme aufgelegt und bestehende Ansätze oder Förderkonzepte skaliert werden, denn Wiederherstellung findet nicht nur Organigrammen, sondern vor allem in der Landschaft statt.

Auch Bundesländer und Zivilgesellschaft gefordert

Aktuell wird die neue Wiederherstellungsverordnung nicht immer mit der Euphorie begrüßt, die sie verursachen sollte. Bei Mitarbeitenden von Behörden trifft sie teils auf Verunsicherung, „wie das alles zu schaffen sein soll“. Manchen Naturschützer:innen fällt beim erstmaligen genauen Lesen wahlweise auf, dass entweder „viele Ziele und Fristen ruhig auch ein bisschen ambitionierter hätten sein müssen“ oder das „Naturschutzgesetze sowieso maximal zur Hälfte umgesetzt werden„. All diese Bedenken sind berechtigt, aber schaffen eher eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wichtiger wären konstruktive Vorschläge wie die Verordnung für alle Beteiligen aus Behörden, Naturschutzverbänden sowie Land- und Meeresnutzung zum Erfolg wird. Umso besser ist es, wenn es diese Vorschläge schon gibt, denn dann können wir sie ja jetzt auch endlich mal umsetzen – am besten gleich morgen und nicht erst in zwei Jahren.

 

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