So stellt sich die EU die Zukunft der Landwirtschaft vor – kommt die Natur unter die Räder?

In den letzten Wochen ging es heiß her in Brüssel. So wurde ein erster Aufschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) vorgelegt. Im MFR wird der Finanzrahmen der EU für die kommenden fünf Jahre festgelegt und somit auch über das zur Verfügung stehende Agrarbudget entschieden. Weiterhin wurde von dem neuen EU-Agrarkommissar Christoph Hansen die „Agrivision” vorgestellt. Darin wird eine Vision für die Landwirtschaft 2040 dargestellt und es werden die Politikfelder erläutert, die Hansen in den kommenden vier Jahren angehen will. Als Grundlage dienten die Ergebnisse des Strategischen Dialogs, der Ende 2024 in Brüssel stattfand. Dieses Gremium legte (ähnlich der Zukunftskommission Landwirtschaft in Deutschland) einen ambitionierten und durch einen breiten Konsens gesellschaftlicher Vertreter*innen gestützten Fahrplan für die Landwirtschaft vor. Was bedeuten MFR und Agrivision nun für den Agrarnaturschutz? 

Beginnen wir mit dem übergeordneten Thema Finanzierung. Von 2023 bis 2027 stehen etwa 387 Mrd. Euro als Gesamtagrarbudget zur Verfügung, wovon etwa 6, 2 Mrd. Euro jährlich an Deutschland gehen. Die Frage, die momentan viele beschäftigt, ist, wie hoch das Agrarbudget für die Zeit nach 2027 ausfallen wird. Doch die EU hat andere Pläne: Sie plant einen umfassenden Umbau der Haushaltstruktur ohne spezifische Budgets. So ist es momentan noch unklar, ob es überhaupt ein eigenständiges Agrarbudget geben wird. Nationale Budgets sollen die alten Töpfe ersetzen und so für mehr Spielraum in den Mitgliedsstaaten sorgen. Höher wird das Budget wohl nicht werden, denn neben der Rückzahlung von Schulden, die durch den NextGenerationEU-Fonds in Höhe von 20 Prozent fällig werden, werden die Prioritäten durch die komplexe Weltlage voraussichtlich anders gesetzt werden.  

Aus Sicht des Naturschutzes ist jedoch nicht so sehr die Höhe des Agrarbudgets entscheidend, sondern vielmehr dessen Verwendung. Wenn die Mittel der Ersten Säule der GAP qualifiziert eingesetzt würden und dadurch eine Honorierung von ökologischen Gemeinwohlleistungen in der Agrarlandschaft angegangen, wäre das hohe Budget weiterhin zu rechtfertigen. Werden die Mittel jedoch weiterhin zu großen Teilen als pauschale Flächenprämien gezahlt (aktuell etwa 67 Prozent der Ersten Säule), ist der immense Einsatz von Steuermitteln hier aus unserer Sicht nicht länger vertretbar.   

Im Strategischen Dialog werden entsprechend zwei weitere Finanztöpfe gefordert: ein sozialökologischer Transformations- und ein Renaturierungsfonds. Beide werden weder im MFR-Aufschlag noch in der Agrivision genannt und demnach auch in Brüssel aktuell nicht in Betracht gezogen. Aus der Position des Naturschutzes ist das fatal – zusätzliche Gelder wären angesichts der immensen Herausforderungen dringend notwendig.  

In der Agrivision wird außerdem die Akquise privater Finanzmittel (sogenannte „Nature Credits”) genannt, um Naturschutz in der Landwirtschaft finanzieren zu können. Hierzu ist jedoch außer dem Vorhaben, einen Biodiversitätsmarkt auf EU-Ebene aufzubauen, noch nichts weiter bekannt. Grundsätzlich ist der Ansatz begrüßenswert, doch herrschen noch viele Unklarheiten und das Thema steht noch ganz am Anfang. Es wird voraussichtlich Jahre dauern, einen erfolgreichen privaten Markt aufzubauen.   

Ziele und Visionen 

In der Agrivision werden vier Ziele genannt:  

  • Ein attraktiver Agrar- und Ernährungssektor, der Einkommen sichert. 
  • Ein wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger Agrar- und Ernährungssektor, der globalen Herausforderungen gewachsen ist. 
  • Ein zukunftsfähiger Agrar- und Ernährungssektor, der innerhalb der planetaren Grenzen funktioniert. 
  • Eine Agrar- und Ernährungswirtschaft, die Lebensmittel wertschätzt und faire Arbeits- und Lebensbedingungen sowie lebendige und gut vernetzte ländliche Gebiete fördert. 

Es wird deutlich, dass mit der Agrivision ein ausgeglichener Ansatz verfolgt werden soll, der die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – gleichrangig behandelt. Großen Wert legt die Europäische Kommission dabei auf Dialogverfahren und Bottom-up-Ansätze sowie die Integration der Belange der Interessensgemeinschaften bei der Umsetzung. 

Die Agrivision bedient ein breites Themenspektrum. Es geht um Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit, globale Ernährungssicherung, die Zukunft der Tierhaltung sowie um faire Arbeitsbedingungen. Das Ganze wirkt jedoch leider wenig visionär und zielgerichtet, eher wie ein Sammelsurium bzw. Auflistung unterschiedlicher Themen. „Der Agrivision fehlt die Vision”, so kritisiert es auch das EEB (European Environmental Bureau), und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Aus naturschutzfachlicher Sicht sind die Dinge, die fehlen, besonders offensichtlich – so fällt am deutlichsten das Nicht-Vorhandensein der Ziele der Farm-to-Fork-Strategie auf. 

Aus NABU-Sicht ist es richtig, alle drei Säulen der Nachhaltigkeit zu adressieren. Umso wichtiger wäre es dann jedoch in der nächsten Zeit, dass nicht eine unter die Räder gerät: die Ökologie!

Bild 1 NABU/Volker Gehrmann: Gerät die Ökologie unter die Räder?

Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU 

Im Strategischen Dialog wird klar benannt, dass die pauschalen Flächenprämien auslaufen müssen. Es soll weiterhin eine Einkommensgrundstützung für bedürftige Betriebe (beispielsweise kleine Betriebe, Gemischtbetriebe, benachteiligte Gebiete) geben, darauf aufbauend aber nur noch qualifizierte finanzielle Mittel. Dies würde ein deutliches Anwachsen von Agrarnaturschutzfinanzierung in der Ersten Säule der GAP bedeuten.   

In der Agrivision sieht es anders aus. Es wird zwar noch eine vereinfachte Konditionalität („Eintrittsbedingungen”, jetzige GLÖZ-Standards) erwähnt, jedoch soll es eine Einkommensgrundstützung für alle Betriebe geben, die „zur Ernährungssicherung beitragen” und die Produkte produzieren, die zur „Autonomie” beitragen – was dies genau bedeutet, bleibt jedoch offen. Die Bedeutung von Honorierung von Ökosystemleistungen wird zwar herausgestellt, deren Zukunft jedoch nicht weiter konkretisiert. Ein klares Bekenntnis zum Umbau der GAP ab 2028 fehlt bedauerlicherweise in der Vision.    

Insgesamt soll das GAP-Politik-Design weg von Vorschriften und hin zu Anreizen und mehr Flexibilität gehen. Hier wird besonderer Wert daraufgelegt, ein neues Ineinandergreifen von Ordnungsrecht und Anreizen einzuführen. Dieses übergreifende Thema kommt im politischen Diskurs oft zu kurz – klare Regelungen, welche Grundanforderungen wir an die Landwirtschaft stellen und was darüber hinaus gefördert werden soll, sind erstrebenswert. Auch als NABU setzen wir uns entsprechend für klare gesetzliche Vorschriften und darüber hinausgehende Förderprogramme ein.
 

Natur- und Klimaschutz 

Das dritte Kapitel der Agrivision widmet sich dem Natur- und Klimaschutz. Darin werden das Wirtschaften innerhalb der „planetaren Grenzen”, das Erreichen der Klimaziele und des LULUCF-Sektors sowie der One-health-Ansatz als übergeordnete Ziele genannt.     

Externe Inputs, wie Dünge- und Pflanzenschutzmittel, sollen reduziert werden. Wie auch im strategischen Dialog werden keine Zielzahlen der Reduktion genannt (anders als in der F2F-Strategie). Auch folgen der Aussage keine konkreten Maßnahmen, die zu einer verlässlichen Reduktion führen würden. „Gefährliche Pflanzenschutzmittel” sollen reduziert werden, der Fokus liegt jedoch auf der besseren Bereitstellung von biologischen Pflanzenschutzmitteln. Es ist keine Rede von Förderung, geschweige denn von Vorschriften zur Senkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Im Bereich Düngung wirkt es eher wie die Beibehaltung des Business- as-usual. Einzig konkret genannt wird die geplante Evaluation der Nitratrichtlinie für Ende 2025. Aus naturschutzfachlicher Sicht reicht das jedoch nicht aus, um eine ambitionierte Düngepolitik zu verfolgen.    

Es scheint, als wäre die Abkehr vom Green Deal mit seinen konkreten Zielvorgaben im Bereich Landwirtschaft nun damit besiegelt.  Wolfgang Burtscher, Generaldirektor der Abteilung Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission, erklärte, dass pauschale Reduktionziele nicht sachgerecht seien für die sehr diverse europäische Landwirtschaft. Zwischen den Mitgliedsstaaten sowie auf regionaler Ebene lägen große Unterschiede und mit pauschalen Zielen werde man niemandem gerecht. Aus Sicht des NABU ist dies allerdings nicht nachvollziehbar, da nun jegliche Richtwerte, Ziele und Wege zum zukünftigen Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln fehlen. Es bliebe damit beim Status quo. 

Interessant ist jedoch ein neuer Ansatz, der in der Agrivision angedeutet wird: ein Benchmarking-System, also ein Nachhaltigkeitsvergleichssystem auf Betriebsebene. So können Betriebe besser einschätzen, wo sie im Bereich Klima, Biodiversität, Boden oder Wasser im Vergleich zu anderen Betrieben stehen und wo Verbesserungsbedarfe vorhanden sind.  

Einig sind sich der Strategische Dialog und Agrivision in dem Punkt, dass bereits bestehende Umweltgesetze stärker umgesetzt werden sollen, wie beispielsweise die Wasserrahmenrichtlinie, NATURA 2000 und die Nitratrichtlinie. Von der Einführung weiterer Gesetze wird in der Agrivision jedoch deutlich Abstand genommen.   

Insgesamt bleibt das „Naturkapitel“ der Agrivision sehr schwach. Wichtige Themen werden zwar genannt, jedoch nicht mit Zielen, Strategien, Maßnahmen oder finanziellen Mitteln hinterlegt.

Ernährung  

Beim Thema Ernährung wird der strategische Dialog sehr deutlich und fordert die aktive Steuerung der Änderung der Nachfrage-/Konsumgewohnheiten. Es wird klar benannt, dass die aktuellen Konsummuster ungesund und schlecht für Natur und Klima sind. Ebenso, dass bisher der Fokus auf Informationsbereitstellung für Kund*innen lag, dies aber offensichtlich nicht der entscheidende Hebel sei.

In der Agrivision fehlt diese Klarheit der Position im Bereich Ernährung und Konsum jedoch leider völlig.

Tierwohl 

Tierwohl bzw. „Animal Welfare“ wird an unterschiedlichen Stellen zumindest erwähnt. Es werden positive Aspekte betont, wie zum Beispiel die Bedeutung von Rindern auf der Weide. Negative Auswirkungen der Tierhaltung bleiben allerdings unerwähnt. Als einzige Lichtblick bleibt, dass ein noch zu bestimmendes Komitee einen Fahrplan für die Zukunft der Nutztierhaltung in der EU erarbeiten soll.  

Weitere Themen 

Weitere wichtige Themen, wie der Generationenwechsel und die gezielte Förderung von Junglandwirt*innen, faire Preise und Einkommen für die Landwirtschaft, eine europäische Wasserresilienzstrategie, faire Arbeitsbedingungen und die Entwicklung vitaler ländlicher Räume sind ebenfalls Teil der Agrivision. Neben vielen guten Ansätzen stehen jedoch die Wettbewerbsfähigkeit, die Exportorientierung, die Nutztierhaltung und die globale Ernährungssicherung deutlich im Fokus. Dabei wird leider nur wie nebenbei erwähnt, dass all dies nur bei gleichzeitigem Schutz von Klima, Artenvielfalt und der natürlichen Ressourcen zu erreichen sei. Wie diese riesigen Problemfelder gelöst werden sollen, bleibt jedoch offen. 
 

Unser Fazit 

Die Agrivision bleibt, was den Natur- und Klimaschutz angeht, enttäuschend – vor allem auch im Vergleich mit dem Strategischen Dialog. Zumindest ist dem Naturschutz ein eigenes, wenn auch schwaches, Kapitel gewidmet. Ob Kommissar Hansen es ernst damit meint, die im Hinblick auf diesen dringend notwendigen Transformationsschritte dennoch anzugehen, wird sich beim kommenden Paket zur Vereinfachung der GAP und beim Aufschlag zur GAP-Reform Mitte des Jahres zeigen. Bald wird auch mehr Klarheit darüber bestehen, welche Priorität die Budgets der Gemeinsamen Agrarpolitik im EU-Haushalt künftig genießen werden – und welche finanziellen Spielräume Kommissar Hansen überhaupt hat, um alle Ansprüche seiner Vision zu erfüllen. 

 

1 Kommentar

Maarten Sillekens

04.03.2025, 13:31

Danke für den Diskurs: Die EARA hat gute Vorschläge dazu: (www.eara.farm), die mit weniger Bürokratie auskommen als manchen Vorschlägen im Artikel. Bäuerinnen & Bauern möchten lieber unser Ökosystem gut managen, als sich mit Bürokratie auf Detail-Ebene zu befassen. Ein Plädoyer für ganzheitliches Management zur Landregeneration.

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