EU-Renaturierungsgesetz: Spitz auf Knopf vor wichtiger Abstimmung
Populistischer Vorwahlkampf der Europäischen Volkspartei auf Kosten der Natur
Am Donnerstag früh stimmt der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments über das EU-Renaturierungsgesetz ab. Es steht Spitz auf Knopf, die Europäische Volkspartei (EVP) unter Manfred Weber (CSU) heizt die Stimmung mit Populismus und Falschmeldungen auf. Wir liefern Ihnen hier aktuelle Informationen, und werden für Sie bei der Abstimmung in Straßburg vor Ort sein.
Bewusste Irreführung durch die Europäische Volkspartei
Die EVP schreckt in ihrem ideologischen Kreuzzug gegen das EU-Renaturierungsgesetz derzeit nicht einmal vor sogenannten „Fakenews“ zurück, wie die folgende Auswahl an Scheinargumenten beweist.
- Schon früh eingeschossen hat sich die EVP auf die Ziele für Agrarökosysteme. So trägt sie zum Beispiel vor, das EU-Renaturierungsgesetz führe dazu, dass ganze Dörfer abgerissen würden für die Wiedervernässung von Mooren. Diese Aussage entbehrt jeder Grundlage. Nirgendwo im Gesetzestext findet sich ein derart hartes Ziel zur Wiedervernässung von Mooren. Tatsächlich sollen nach dem Kommissionsvorschlag 30% der ehemaligen Moorböden in der Agrarlandschaft bis 2030 wiederhergestellt werden, davon nur 1/4 durch Wiedervernässung. Dieses Ziel ist an die Mitgliedstaaten gerichtet, die volle Flexibilität haben, welche Gebiete sie auswählen. Die „nur“ wiederhergestellten, nicht wiedervernässten Flächen lassen sich in der Regel sogar weiter nutzen. Es ist absurd zu glauben, dass Deutschland für die wiederzuvernässenden Gebiete ausgerechnet Dörfer oder Städte auswählt, ob 100 Jahre alt oder nicht.
- Eine weitere Falschbehauptung in diesem Zusammenhang ist der Vorwurf, Landwirte würden gezwungen, 10% ihrer produktiven Flächen aufzugeben. Tatsächlich möchte das EU-Renaturierungsgesetz eine Trendumkehr bezüglich der artenreichen Landschaftselemente und der Agrarbiodiversität. Eine konkrete Zahl findet sich in der materiellen Verpflichtung aber nicht (siehe hierzu auch diese ausführliche Analyse von Oliver Moore). Außerdem verkennt der Vorwurf, dass bereits jetzt Landschaftselemente über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) Pflicht sind, und somit durch Subventionen abgedeckt werden. Noch viel wichtiger: die Landschaftselemente sind Schlüssel, um überhaupt Ernährungssicherheit zu gewährleisten, denn sie stellen wichtige Ökosystemleistungen zur Verfügung. So verhindern sie Bodenerosion, sorgen für Schatten, stellen Raum für Bestäuber zur Verfügung, und speichern Wasser.
- Derzeit behauptet die EVP auch gerne, dem Gesetz liege keine gründliche Gesetzesfolgenabschätzung (Impact Assessment) zu Grunde. Diese Behauptung ist falsch. Tatsächlich kommt der Kommissionsvorschlag, wie von den Better Regulation Guidelines vorgeschrieben, mit einer ausführlichen Gesetzesfolgenabschätzung. Insgesamt umfasst diese, aufgeteilt auf mehrere Dokumente, knapp 700 Seiten. In der Gesetzesfolgenabschätzung wurde auch das Verhältnis zu bestehendem EU-Umweltrecht untersucht. Das Ergebnis: Das EU-Renaturierungsgesetz schließt eine bestehende Lücke und ist erforderlich, um die Naturkrise anzugehen. Das Gesetz hat außerdem das – von uns oftmals als auf Bürokratiekostenabbau fixiert kritisierte – „Regulatory Scrutiny Board“ passiert. Anschließend wurde es kollegial von allen EU-Kommissar*innen beraten und angenommen, auch von solchen der Europäischen Volkspartei.
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Anstatt den Gesetzestext mit konkreten Änderungsvorschlägen selbst nach den eigenen Vorstellungen nachzubessern, schiebt die EVP in ihrer Kommunikation nun die Schuld auf Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans. Dieser solle den Gesetzesvorschlag zurückziehen und einen Neuen vorlegen. Diese Argumentation ignoriert, dass es Kernaufgabe von Abgeordneten ist, als gewählte Vertreter*innen im Parlament Gesetzesarbeit zu machen. Sich einfach aus den Verhandlungen zurückzuziehen, nachdem diese bereits konstruktiv begonnen wurden, ist schiere Arbeitsverweigerung und eine Verdrehung der demokratischen Prinzipien. Alternative Lösungsmodelle schlägt die EVP nicht vor, sondern nur hohle Phrasen wie „wir müssen in Zukunft schauen“.
Übrigens: diese polarisierende Kampagne der EVP nützt weder der Natur noch der Landwirtschaft. Sie zerschlägt mühsam aufgebaute Brücken. Außerdem steigert sie das Misstrauen in die Europäische Union und ihre Institutionen.
Unterstützung durch zahlreiche Unternehmen
Auf der anderen Seite finden sich zahlreiche Unternehmen, welche die Bedeutung der Natur betonen und sich für ein ambitioniertes EU-Renaturierungsgesetz stark machen.
- Zu diesen zählen die beiden europäischen Branchenverbände für Erneuerbare Energien, Solar Europe und Wind Europe. Letzterer kommentierte auf Twitter sogar die EVP-Darstellung, das Gesetzesvorhaben gefährde die Energiewende, als grundlegend falsch. Aus NABU-Sicht ist dies ein gelungenes Beispiel, die Energiewende nicht gegen Naturschutz auszuspielen.
- Außerdem deutlich für das EU-Renaturierungsgesetz ausgesprochen hat sich der Europäische Jagdverband FACE. Aus NABU-Sicht ist dies ein schönes Beispiel dafür, dass die EVP gegen die Interessen der eigenen Wählerschaft vorgeht, schließlich dürfte die Jagdlobby vielfach konservativ sein.
- Auch erwähnt werden soll hier als eines der vielen gemeinsamen Business-Statements die Initiative „Our nature, our business„. Hinter dieser versammeln sich mehr als 90 große Unternehmen, von Nestlé über Heidelberg Materials bis hin zu Ikea. Auch wenn der NABU nicht unbedingt mit allen diesen Unternehmen kooperieren würde: offenbar haben die Unternehmen verstanden, dass eine intakte Natur elementar auch fürs Wirtschaften ist.
Unserer Analyse nach steht derzeit etwa die Hälfte der Europa-Abgeordneten im Umweltausschuss auf Seite des EU-Renaturierungsgesetzes, die Hälfte lehnt dieses ab. Ablehnung kommt dabei vor allem von der CDU/CSU, FDP und extrem rechten Parteien. Jeder Abgeordnete hat natürlich bis zum Schluss die Wahl und die Pflicht, seinem eigenen Gewissen zu folgen. Die zur Abstimmung vorgelegten Kompromissvorschläge enthalten gegenüber dem Kommissionsvorschlag bereits zahlreiche Zugeständnisse. Die Abstimmung am Donnerstag ist entscheidend, denn einen neuen Gesetzesvorschlag wird es zeitnah nicht geben. Wer das EU-Renaturierungsgesetz ablehnt, muss sich daher vorwerfen lassen, zum Scheitern eines der wichtigsten Gesetze gegen die Natur- und Klimakrise der letzten Jahrzehnte beigetragen zu haben.
Gemeinsamer Blogbeitrag von Stephan Piskol und Raphael Weyland, Berlin/Brüssel.
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1 Kommentar
Jörg
13.06.2023, 10:08Ist es nicht möglich, rechtlich gegen die Lügen dieser Partei(en) vorzugehen?
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