NABU-GAP-Ticker: Finde den Unterschied – was fordern die protestierenden Landwirte? Und was der NABU?
26.November 2019. Heute rollen die Trecker zur Proteststernfahrt vieler Landwirte nach Berlin. Wir haben uns sieben Kernforderungen der Initiatoren aus dem Aufruf der Initiative Land schafft Verbindung genauer angesehen und sie mit denen des NABU verglichen. Wir haben Erstaunliches festgestellt.
Die Initiatoren fordern:
1) Das Aussetzen des Agrarpakets und ergebnisoffene Neuverhandlungen. Der NABU fordert dagegen dessen Umsetzung, aber eine bessere Honorierung von Landwirten.
Der NABU begrüßt die Eckpunkte des Insektenschutzprogramms sowie die angekündigte zusätzliche Umschichtung in der EU-Agrarpolitik (beides Elemente des sogenannten Agrarpakets) und fordert eine schnelle Umsetzung. Allerdings greifen gerade die finanziellen Maßnahmen viel zu kurz. In Deutschland wäre wesentlich mehr Geld notwendig, um Landwirte angemessen und gezielt für über das Ordnungsrecht hinausgehende Naturschutzmaßnahmen zu honorieren. Außerdem verpasst das Agrarpaket die Chance, die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) dafür zu nutzen, den Betrieben bei der Umstellung zu helfen und EU-weit für faire Bedingungen zu sorgen (vgl. nächster Punkt).
Die Bundesregierung schätzt die Finanzierungslücke im Naturschutz auf insgesamt eine knappe Milliarde Euro pro Jahr. Überwiegend betrifft das Agrarumweltmaßnahmen und Vertragsnaturschutz, die aus der GAP bezahlt werden müssten. Was jetzt die Proteste mit auslöst, ist eine minimale Umschichtung von pauschalen Flächenprämien (Direktzahlungen der „Ersten Säule“) auf gezielte Förderung von Umweltmaßnahmen in Höhe von gut 70 Millionen Euro im Jahr 2020. Das sind ganze 1,5 Prozent der Flächenprämien, oder rund 4,50 Euro pro Hektar, die umverteilt werden auf die Betriebe, die bestimmte Maßnahmen für die Umwelt umsetzen. Damit wird Deutschland 6 Prozent der gesamten Ersten Säule in die Zweite Säule umschichten, erlaubt sind von der EU derzeit 15 Prozent.
2) Einheitliche Richtlinien für die Landwirtschaft in der gesamten EU. Keine deutschen Alleingänge. Der NABU fordert genau das: Starke einheitliche Umweltstandards auf EU-Ebene über die laufende GAP-Reform. Doch hier versagt die Bundesregierung bisher weitgehend.
Die deutsche Landwirtschaft muss im EU-Binnenmarkt konkurrieren und kann keinen Wettlauf um die niedrigsten Standards gewinnen. Daher böte die laufende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik die Chance, Standards europaweit festzulegen. Leider hat die Europäische Kommission einen Vorschlag vorgelegt, der den Mitgliedstaaten weitgehende Freiheiten bei der Auslegung gibt. Die Bundesregierung sieht weitgehend tatenlos zu, wie die EU-Agrarminister diesen Vorschlag in den laufenden Verhandlungen weiter zerfleddern. Mitte Dezember verhandelt Angela Merkel über den künftigen EU-Haushalt. Dort muss sie starke Umweltstandards als Bedingung für Agrarförderung durchsetzen, genauso wie eine verbindliche Zweckbindung von 15 Miliarden Euro pro Jahr für Naturschutzmaßnahmen. Ansonsten droht neben weiterem Artensterben auch ein unfairer Wettbewerb mit EU-Staaten, die noch weniger Geld für den Naturschutz ausgeben wollen, wo es keine Volksbegehren gibt und keine Agrarpakete.
3) Die neutrale Erforschung des Insektenrückgangs (Anteil von z.B. LEDs, Mobilfunkanlagen, Windräder, Flächenversiegelung). Außerdem: Die unabhängige Überprüfung der Nitrat-Messstellen sowie die Anzahl der Messpunkte auf einen europaweiten Standard auszuweiten. Der NABU setzt sich immer für Forschung und transparentes Monitoring ein. Aber auch für eine Anerkennung der wissenschaftlichen Ergebnisse in der Politik.
Der aktuelle Stand der Wissenschaft fordert dringendes Handeln im Bereich der Landwirtschaft. Ein ständiges Verweisen auf andere mögliche Verursacher (die ebenfalls in der Pflicht stehen) hilft nicht weiter. Ebensowenig wie das Kopf-in-den-Sand-stecken bei EU-Vertragsverletzungsverfahren wie derzeit beim Düngerecht oder dem Grünlandverlust. Immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mahnen eine grundlegende Agrarreform in Europa an. Und die ist nur alle sieben Jahre möglich. Forschung ja, Zeitspiel nein! Die NABU-Forderungen zur Düngeverordnung finden sich übrigens hier.
4) Importierte Waren, die nicht dem EU-Standard entsprechen, als solche zu kennzeichnen. Ebenso die Herkunftskennzeichnung bei Rohwaren und verarbeiteten Lebensmitteln. Der NABU will sogar noch mehr: Für Importe müssen die gleichen Standards gelten wie für EU-Produkte, entlang der gesamten Lieferkette. WTO und die Handelsabkommen der EU müssen entsprechend angepasst werden.
Der NABU will aber auch, dass die EU ihre Märkte für nachhaltig erzeugte Produkte gerade aus den ärmsten Ländern öffnet.
5) Bei politischen Entscheidungen zu Umwelt-, Klima- und Tierschutzmaßnahmen, den Erhalt der regionalen Lebensmittelproduktion in den Vordergrund zu stellen und zu stärken. Einverstanden, hierzu wäre eine Umschichtung der GAP-Förderung notwendig, damit Investitionshilfen und Projekte finanziert werden können.
Natürlich müssen auch hier die fachlich nötigen Umweltstandards eingehalten werden. Regional ist nicht automatisch naturverträglich und klimaneutral.
6) Dass gesellschaftliche Wünsche wie mehr Tierwohl, extensivere Bewirtschaftung (und damit geringerer Ertrag und Gewinn), die Ausbreitung der Wölfe und Umweltmaßnahmen finanziell von der Gesellschaft getragen werden. Ja, wobei auszuhandeln ist, welcher Teil des Mehraufwands davon vom Steuerzahler (über Förderung) und welcher über den Verbraucher (über ökologisch und sozial gerechte Preise) vergolten werden sollte.
Der NABU meint, dass nach einer Übergangszeit mit entsprechenden Umstellungshilfen kein Steuergeld mehr lediglich für die Einhaltung von allgemein geltenden EU-Umwelt- und Tierwohlstandards fließen sollte. Für gezielte Naturschutzmaßnahmen, die sich nicht in allgemeine Gesetze fassen lassen, sollte es für Landwirte attraktive Einkommensanreize geben („Geschäftsfeld Naturschutz“). Keinsfalls sollte die Förderung mehr pauschal pro Hektar verteilt werden, dies ist erwiesenermaßen ungerecht, ineffizient und schafft falsche Anreize. Ein großer Teil der Flächenprämie versickert ja in Richtung Verpächter sowie in den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Bereich. Dies ist nicht nur teuer, sondern schadet der Akzeptanz von Agarförderung insgesamt.
7) Die Bürokratie und Dokumentationspflicht zu vereinfachen. Der NABU will Bürokratie und Kontrollen auf ein Mindestmaß reduzieren, das nötig ist um systematischen Betrug am Steuerzahler zu verhindern.
Statt Mikromanagement muss es eine gute Beratung für Landwirte geben, welche Maßnahmen am besten wirken und wie diese umgesetzt werden können.
FAZIT
Die allermeisten Forderungen, die das Protestbündnis vorbringt, sind gar nicht so weit weg von dem, was der NABU fordert. Wenn die Politik sich – auch aufgrund der Blockade des Deutschen Bauernverbands – nicht den entsprechenden Reformen verweigern würde, wären viele Punkte vielleicht längst umgesetzt. Natürlich: Beim Kernpunkt der schärferen Umweltauflagen gibt es Dissens. Jedoch sind im persönlichen Gespräch viele Landwirte bereit, derartige Standards einzuhalten, wenn sie Planungssicherheit, Hilfen für den Übergang und eine ökonomische Perspektive bei diesem Systemwechsel erhalten. Doch dies verweigert ihnen bisher die Politik – mit fatalen Folgen für die Betriebe, für die Natur und die ganze Gesellschaft.
Der NABU-GAP-Ticker
Was steht auf dem Spiel für Insekten, Bauernhöfe und unsere ländlichen Räume? Was sagt Julia Klöckner in Brüssel? Wie stimmen unsere Abgeordneten ab? Was passiert hinter den Kullissen? Im NABU-GAP-Ticker informieren wir über die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarpolitik – denn wir meinen, die Zeit der Hinterzimmerdeals ist vorbei. Es geht um viel – und die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, wie der Milliardenpoker um die Gemeinsame Agrarpolitik der EU abläuft. Abonnieren Sie diesen Blog, um auf dem Laufenden zu bleiben, stellen Sie Fragen und diskutieren Sie mit uns über die Kommentarfunktion. Hintergrundinfos auf www.NABU.de/agrarreform2021. Folgen Sie uns auch auf Twitter: @NABU_biodiv – #FutureOfCAP
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1 Kommentar
Martin Schmid
06.12.2019, 17:44Hallo Herr Kreiser, es freut mich, als mit protestierendem Bauern, dass Sie so viele Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und uns Landwirten heraushören und nicht wie manche Andere uns unterstellen, wir wollen mehr spritzen, alles mit Gülle zuschütten und Tiere quälen - danke dafür. Vor Allem die Gemeinsamkeit über die Verantwortung der Gesellschaft eint uns. Aber wir möchten nicht über die Steuerzahler unsere gesellschaftlichen Leistungen entlohn haben, sondern über die Verbraucher -über den realen Preis von gesundem und regionalem Lebensmittel. Freihandelsabkommen und einheitliche Standards haben Sie angesprochen, aber die größten und mächtigsten Akteure, den Lebensmitteleinzelhandel, lassen Sie in Ihrer Argumentation außen vor. Der LEH generiert nicht nur die Nachfrage mit dem Anpreisen von 6 Wochen abgehangenem argentinischem Rindfleisch, dass nach tausenden von Kilometern in Kühlschiffen über den Atlantik zu uns kommt, sondern der LEH nutzt auch deren Vormachtstellung bei Verhandlungen über Absatz und Preise unserer Erzeugnisse gnadenlos aus. Das Kartellrecht greift hier nicht, weil es eigentlich den Handel vor den Herstellern schützt. Im Lebensmittelsektor ist diese Situation aber auf den Kopf gestellt. Wenn wir einheitliche Produktionsstandards haben und die nahezu Monopolstellung des LEH auflösen können, erzeugen wir die Lebensmittel genauso wie sie Gesellschaft sich wünscht. Beim Umbau der Landwirtschaft zuerst bei den Bauern anzufangen ist aber, das Pferd von hinten aufgezäumt und das Ergebnis ist ein Strukturbruch. Lassen Sie uns gemeinsam (trotz des weiterhin bestehenden) an den Punkten LEH und Freihandelsabkommen zusammenarbeiten, damit wir Bauern auch in Zukunft mit Leidenschaft und Sachverstand Euer Essen produzieren können.
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