Kommissionsvorschlag zur Herabstufung des Wolfs ist verfehlt!

Wolf am frühen Morgen auf dem Truppenübungsplatz Munster Nord in der Lüneburger Heide. Foto: Jürgen Borris

Unwissenschaftlich, der Weidetierhaltung nicht dienlich, und gefährlicher Präzedenzfall für weniger statt mehr Naturschutz!

Heute hat die Europäische Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen, den Wolf aus der Liste der streng geschützten Arten der Fauna-Flora-Habitat- (FFH-) Richtlinie der EU zu streichen. Warum wir dieses Vorgehen kritisieren, können Sie hier lesen.

Was ist der Sachstand?

Es war zu erwarten, dass Ursula von der Leyen den Schutzstatus des Wolfs auch in der FFH-Richtlinie aufweichen will. Schließlich hat sie die ähnliche Entscheidung, den Schutzstatus des Wolfs von streng geschützt auf geschützt herabzusenken, schon für die völkerrechtliche Ebene der Berner Konvention vorangetrieben (siehe hierzu meinen Naturschätze.Retten-Blog vom letzten September). Diese Entscheidung ist am 6. März rechtskräftig geworden.

Nun hat die EU-Kommission über den Weg für den nächsten Schritt entschieden und ihren Vorschlag vorgelegt. Rechtstechnisch möglich gewesen wäre nach der Systematik der FFH-Richtlinie vor allem ein zweistufiges Vorgehen.

  • Im ersten Schritt hätte deren Artikel 19 auf das untergesetzliche Rechtsetzungsverfahren des Lissabon-Vertrags angepasst werden müssen, beispielsweise durch das Ersetzen der in Art. 19 FFH-Richtlinie vorgesehenen Rats-Einstimmigkeit durch das aktuelle Komitologieverfahren eines delegierten Rechtsaktes. Artikel 19 FFH-Richtlinie ist die Bestimmung, die geschaffen wurde, um Anhangsänderungen an der Richtlinie durchzuführen, soweit diese wissenschaftlich nötig werden, also genau das, worum es hier geht. Dieser Schritt wäre ein eher technischer, der von der Debatte über den Wolf losgelöst hätte behandelt werden können, und der auch bereits vor der Bern-Entscheidung getroffen hätte werden können.
  • In einem zweiten Schritt hätte dann ein entsprechender Delegierter Rechtsakt vorgelegt und zügig beschlossen werden können. Als Jurist hätte ich dieses Vorgehen präferiert, weil es der rechtstechnisch vorgesehene und saubere Weg ist, und Klarheit auch für die Zukunft geschaffen hätte.

Die Kommission hat sich aber nicht für dieses Vorgehen entschieden.

  • Stattdessen hat sie heute angekündigt (vielsagend: an einem Freitag Nachmittag um 16:15 Uhr, um nicht zu viel Pressereaktionen zu bekommen), mit ihrer Gesetzesänderung direkt den Wolf aus Anhang IV der Richtlinie zu streichen, und ihn in deren Anhang V aufzunehmen. Die Pressemitteilung der Kommission (hier abrufbar) betont die Notwendigkeit des „günstigen Erhaltungszustands“, das ist richtig und wichtig, auch wenn sonst die Planungen der Kommission bisher nicht bekannt sind.
  • Insgesamt hat die Kommission mehrfach betont, dafür zu sorgen, dass es zu einem „targeted amendment„, also einer begrenzten Änderung der Richtlinie kommt (vorstellbar wäre etwa ein Zurückziehen des Kommissionsvorschlags bei weitergehenden Änderungen, oder eine entsprechende Absprache mit den Ko-Gesetzgebern). Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission selbst ist dementsprechend schlank (hier abrufbar).

Zur Erinnerung: Gegenüber dem deutschen Umweltministerium hat die EU-Kommission zugesichert, dass eine Gesetzesänderung nur den Wolf betreffe („the wolf and only the wolf“). Dies war sodann mit entscheidend dafür, dass Deutschland im Rat grünes Licht für die Entscheidung zur Herabstufung des Wolfs in der Berner Konvention gab.

 

Warum ist der Vorschlag falsch und hilft in der Sache nicht weiter?

Der Vorschlag ist sachlich falsch, weil er nicht auf wissenschaftlicher Grundlage fußt.

  • Maßgeblich ist für Anhangsänderungen dabei der Begriff des günstigen Erhaltungszustands. Hier wurde nicht einmal der FFH-Bericht abgewartet, der uns genau diese Zahlen hätte liefern können.
  • Außerdem hat die EU-Kommission auch nicht die in ihren eigenen Richtlinien zur besseren Rechtsetzung vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung vor Veröffentlichung des Gesetzesvorschlags durchgeführt. Zudem findet sich keine den Better-Regulation-Guidelines entsprechende Gesetzesfolgenabschätzung bei dem Vorschlag.
  • Der zu ändernde Rechtsakt, die FFH-Richtlinie, wurde im Jahr 2015 und 2016 von der EU-Kommission indes in einem sogenannten Fitness Check umfangreich, transparent und partizipativ überprüft und für „fit for purpose“ und für weiter erforderlich erklärt (weiterer Informationen auf unserer Internetzpräsenz).

Der Kommissionsvorschlag ist außerdem fachlich falsch, weil er reine Klientelpolitik auf Kosten der Natur ist.

  • Die Anhangsänderung bietet keine Aussicht dafür, dass dies die Zahl der Wolfsrisse signifikant verringern wird (weitere Informationen zu den fachspezifischen Fragen hier auf unserer Internetzpräsenz).
  • Auch nach Herabstufung schreibt das EU-Recht weiterhin vor, dass der Wolf in einen günstigen Erhaltungszustand gebracht und gehalten werden muss. Ein Freifahrtschein zur Jagd besteht also auch nach Herabstufung nicht.
  • Mit einer entsprechenden Gesetzesänderung würden zudem bürokratische Folgemaßnahmen nötig, denn es müsste ein neues (normales statt strenges) Schutzregime geschaffen werden, um die genannten Voraussetzungen zu gewährleisten. Wie dies im föderalen Gefüge aussehen soll, ist bisher nicht diskutiert, bindet also neue Verwaltungskapazitäten.

Und schließlich hilft die Entscheidung den Weidetierhalter*innen nicht. Diese brauchen Unterstützung beim Herdenschutz. Das wird auch nach der Herabstufung des Wolfs so sein, denn selbst wenn man hilfsweise einmal annimmt, dass die Zahl der Wölfe von nun stagnierte, braucht es immer noch Schutzmaßnahmen, genau wie jetzt. Bund und Länder sollten sich daher endlich der Frage widmen, wie man entsprechende Förderpolitiken (etwa die Gemeinsame Agrarpolitik der EU) ausgestalten und nutzen kann, um unbürokratisch der hiervon betroffenen Nutzergruppe zu helfen.

 

Was kommt jetzt?

Der Kommissionsvorschlag wird nun den Ko-Gesetzgebern Rat und Parlament weitergeleitet. Wie die begrenzte und zielgerichtete Änderung erfolgt, muss sich erst zeigen. In der Sache ist auch den „Wolfs-Gegnern“ nicht damit gedient, jahrelange Kämpfe grundlegender Natur zu führen, sondern schnell Klarheit zu haben.

Mir selbst ist, als Naturschützer, Rechtsanwalt und NABU-Mitarbeiter, der sich bereits 2015/2016 am Fitness Check der EU-Naturschutzrichtlinien beteiligt hat, vor allem das Folgende wichtig:

  • Seit mehr als drei Jahrzehnten ist die FFH-Richtlinie eine Erfolgsgeschichte. Dank ihr konnten Arten wie der Luchs in Europa vor der Ausrottung bewahrt werden. Ihre Ziele sind mangels ausreichender Umsetzung längst nicht erreicht.
  • Die FFH-Richtlinie sorgt für einheitliche Standards in der gesamten EU, bietet flexible Ausnahmeregelungen, und dank der zu ihr ergangenen Rechtsprechung Planungssicherheit.
  • Die FFH-Richtlinie ist auch das Kern-Instrument der EU, um die Verpflichtungen aus der EU-Biodiversitätsstrategie und dem Montrealer Weltnaturschutzabkommen zu erreichen.

Den durch das EU-Naturschutzrecht geregelten Natur- und Artenschutz machen wir nicht als Selbstzweck. Er sichert unsere Lebensgrundlagen, sorgt für wichtige Ökosystemleistungen, und macht uns resilienter in Zeiten der Natur- und Klimakrise. Wir erwarten daher von der Bundesregierung und den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, den Kommissionsvorschlag abzulehnen. Wir können es uns nicht leisten, das EU-Naturschutzrecht abzuschwächen.

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