Höchste Zeit zu handeln für Cem Özdemir
Ein Jahr Ampel-Regierung, ein Jahr Koalitionsvertrag, ein Jahr grüne Hausspitze im Bundeslandwirtschaftsministerium, ein Jahr “Hausfreundschaft mit dem Bundesumweltministerium” – ist jetzt alles besser geworden für den ökologischen Umbau von Landwirtschaft, Waldnutzung und Fischerei?
Die Hoffnungen waren groß als der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung vorlag und Cem Özdemir zum Landwirtschaftsminister berufen wurden. Um es vorweg zu nehmen: Außer Ankündigungen ist noch nicht viel passiert.
Gemeinsame Agrarpolitik
Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart „dass die Begleitverordnungen zum nationalen Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit dem Ziel des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der Einkommenssicherung angepasst werden“. Aus NABU-Sicht ist dieses Versprechen gebrochen worden: Der Strategieplan wurde zwar nach heftiger Kritik der EU-Kommission neu eingereicht, die Chance zu Nachbesserungen war da. Dennoch muss man substantielle Verbesserungen aus Umweltsicht mit der Lupe suchen.
Doch es kam noch schlimmer: In Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine starteten Agrarverbände in Brüssel und Berlin eine Lobbykampagne zur Rücknahme der wenigen ökologischen Fortschritte der letzten GAP-Reform im Bereich Fruchtfolge und Biodiversitätsflächen. Erst knickte die EU-Kommission ein, dann Cem Özdemir: Für das Jahr 2023 wurde die Auflage 4 Prozent nicht-bewirtschafteter Flächenanteile ausgesetzt – mit dem völlig haltlosen Argument der weltweiten Ernährungssicherung. Auch das Aussetzen der Fruchtfolgeregelung, wodurch ein weiteres Jahr der Anbau von Silomais auf Silomais möglich wird, treibt die Umweltkosten des Ackerbaus weiter in die Höhe – ohne zur Ernährungssicherung beizutragen. Sicher ist jedoch, dass die Wiederherstellung der Biodiversität damit weiter aufgeschoben wird und es steht zu befürchten, dass Insekten und Vögel in der Agrarlandschaft weiter abnehmen werden.
Im Koalitionsvertrag steht außerdem, dass die GAP im laufenden Prozess weiter angepasst und, dass das Ministerium noch 2023 einen progressiven Vorschlag für die EU-Agrarpolitik nach 2027 entwickeln wird. Hier kommt aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium eher Erwartungsmanagement als ermutigende Signale.
Pflanzenschutz
Auch beim EU-weit vereinbarten Ziel der Risikoreduktion von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent bis 2030 liegt noch viel Arbeit vor dem Minister. Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung, „den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern und die Entwicklung von natur- und umweltverträglichen Alternativen fördern.“ Dies soll geschehen über eine Weiterentwicklung des NAP (Nationaler Aktionsplan Pflanzenschutz), durch neue Regelungen zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in Wasserschutzgebieten, das Verbot von Glyphosat bis Ende 2023 und die Einführung eines digitalen Herkunfts- und Identifikationssystem für Nährstoff- und Pflanzenschutz. Bisher bleibt das Ministerium Maßnahmen in diesem Bereich schuldig. Es gab zwar ein Auftaktreffen zur Weiterentwicklung des NAP, umgesetzt bzw. vorgelegt wurde von den anderen Punkten aber noch nichts. Positiv ist das angekündigte Exportverbot für gesundheitsschädlichen Pestizide, die in Deutschland verboten sind, umweltgefährdende Stoffe sind bisher allerdings von dieser Regelung ausgenommen. Bisher ist es allerdings auch hier nur bei einer Ankündigung geblieben.
Auf europäischer Ebene setzt das Ministerium sich erfreulicherweise für die Umsetzung der SUR (Sustainable Use Regulation – Richtlinie zur Nachhaltigen Nutzung von Pflanzenschutzmitteln) ein, durch die das Risiko und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent sowie auch die Abhängigkeit von chemisch-synthetischen Mitteln reduziert werden sollen. Angesichts der auch hier massiven Gegenkampagne von Seiten der Agrarlobby wäre aber ein wesentlich stärkeres Engagement angebracht.
Tierhaltung
Bei der Reduktion der Tierzahlen geht es bisher nur sehr langsam voran, auch wenn für den Umbau der Tierhaltung für die nächsten 4 Jahre immerhin insgesamt eine Milliarde Euro im Haushalt eingeplant ist. Bei der Umsetzung der flächengebunden Tierhaltung fehlen bisher Vorschläge des Ministeriums. Noch vor knapp einem Jahr auf der Internationalen Grünen Woche im Berlin war dies eines der wichtigsten Themen des Ministers. Die jetzt vorgelegte Tierhaltungskennzeichnung alleine hilft – trotz einiger Lücken – beim Tierwohl, wird aber kaum dazu beitragen können, die Tierdichten in den Intensivregionen zu senken. Dies ist jedoch unabdingbar wollen wir Treibhausgasemissionen und Biodiversitätsverlust eindämmen.
Bild 1: Volker Gehrmann
Wald
Erfreulich ist, dass es eine Novellierung des Bundeswaldgesetztes geben soll. Allerdings lässt der Prozess verwundert zurück. Zur Diskussion für das Bundeswaldgesetz gibt es lediglich einen Termin für die Stakeholder, wohingegen für die gleichzeitig anlaufende Waldstrategie reichlich Stakeholdertermine zur Verfügung stehen. Es wäre wünschenswert, wenn das Ministerium hier seine Kraft in Zukunft stärker auf den Gesetzesprozess fokussiert.
Positiv zu bewerten sind die Maßnahmen zur Honorierung von Ökosystemleistungen im Wald, die im letzten Monat vorgestellt wurden und zum einen naturnahem Waldumbau beitragen sollen.
Fischerei
Jahrelang haben sich Landwirtschafts- und Bundesumweltministerium in zentralen Fragen der Fischereipolitik neutralisiert. Das soll sich im Zusammenspiel grüner Hausspitzen ändern. Nach einem Jahr stellen wir fest, so wirklich ist Cem Özdemir noch nicht in der neuen Verantwortung angekommen. Dabei drängt die Zeit: Sinkende Bestände, frustrierte Fischereibetriebe und reihenweise verfehlte Umweltziele schreien nach Antworten. Immerhin gibt es erste Gespräche mit Vertretern der Fischerei und zuletzt auch den Umweltverbänden. Doch vom „ins Tun kommen“ sind wir weit entfernt. Auch die Leitbildkommission Ostseefischerei als Vorbereitung der Zukunftskommission Fischerei aus dem Koalitionsvertrag läuft gerade erst an. Eine Legislatur des Dialogs aber reicht nicht. Beim Verhandeln der Fangquoten beim EU-Fischereirat Mitte Dezember könnte Deutschland zeigen, ob es die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsel verstanden hat. Wie positioniert sich das grün geführte Ministerium zur Frage verlängerter Schonzeiten für den vom Aussterben bedrohten Aal oder verfrühte Rufe nach höheren Quoten für den Kabeljau? Und wie weiter mit dem Ostseeschweinswal? Weil auch Deutschland zu wenig für seinen Schutz tut, hat die EU Notmaßnahmen mit Gebietsschließungen verhängt. Immerhin ein erster Schritt zu fischereifreien, nutzungsfreien Flächen in Schutzgebieten, eine weitere Verpflichtung des Koalitionsvertrags, deren Umsetzung sich der Minister gemeinsam mit Steffi Lemke zur Aufgabe machen muss.
Das Fazit
Die Hoffnungen waren groß, dass ein Wechsel in der Führung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und die parteipolitische Farbgleichheit der Häuser für Umwelt und Wirtschaft für einen echten Aufbruch sorgt. Der russische Angriffskrieg, erheblicher Gegenwind im EU-Agrarministerrat und der ein oder andere Koalitionspartner machte es Cem Özdemir sicher sehr schwer, den Koalitionsvertrag schnell umzusetzen. Da Klima- und Biodiversitätskrise darauf leider keine Rücksicht nehmen und ungebremst voranschreiten muss Cem Özdemir 2023 auf die Überholspur wechseln – auch bei Themen, die politisch schmerzhaft und konfliktreich sind. Die Unterstützung großer Teile der Gesellschaft wäre ihm dabei aber sicher.
- NABU-Bilanz der Internationalen Grünen Woche - 6. Februar 2023
- Höchste Zeit zu handeln für Cem Özdemir - 13. Dezember 2022
- NABU-Agar-Blog: Grünlandschutz in der neuen GAP ist europaweit mangelhaft - 14. Juli 2022
8 Kommentare
Jörg
14.12.2022, 13:07Es ist unterste Schublade, was diese Regierung bisher bewerkstelligt hat, dabei hatte ich solch grosse Hoffnung in die Grünen gesetzt. Ich kann meine Frustration absolut nicht in Worte fassen.
AntwortenAngelika Heitmann
20.12.2022, 10:46Das gezogene Fazit ist sehr richtig. Die Politik mit ihren Interessenverknüpfungen und den falschen Rücksichten kann von großen Teilen der Gesellschaft wohl nicht mehr nachvollzogen werden. Insofern sehen Teile der Gesellschaft wohl das Ganze und bewegen sich nicht mehr im Klein-Klein-Bereich der politischen Interessen. Wichtig ist die Feststellung, dass der Klimawandel und der leider dabei so oft vergessene massive Artenschwund durch menschliche Handlungsweisen ( Abholzen der Wälder, Nutzung der wenigen Ausgleichsflächen in Deutschland noch als landwirtschaftliche Flächen etc. etc. ) und die Duldung der oft naturzerstörenden industriellen Landwirtschaft unter dem Deckmantel der Nahrungsmittelsicherheit zu einer unaufhaltsamen Zerstörung unseres Ökosystems auf dem Planeten Erde führen werden. Es tut mir um die Pflanzen und Tiere leid, die unter der schon jahrtausende währenden menschlichen Unvernunft und Raffgier leider zuerst zerstört werden bis es als ausgleichende Gerechtigkeit wohl die Menschheit erreichen wird. Ich als älterer Mensch kann die jungen Menschen verstehen, die sich das nicht mehr gefallen lassen wollen. Sie müssten ihren Protest nur weniger juristisch angreifbar aber weiter vehement vertreten und aufpassen, dass sie nicht in die Kriminalität gedrängt werden bzw. in die Mühlen der Justiz geraten. Die Gefahr ist hier groß! Hier könnte der NABU m.E. ein Auffangbecken zum gewaltlosen aber klaren Widerstand auch für diese idealistisch gesinnten und an der Politik verzweifelnden jungen Menschen bilden, wenn es mehr friedliche Aktionen des NABU gegen die verfehlte Natur- und Artenschutz Politik der Parteien und noch mehr klare Worte hierzu wie im obigen Artikel gäbe. Es ist doch gut, dass der NABU auch auf dem Klageweg schon Erfolge für den Umweltschutz erzielen konnte. Weiter so!
AntwortenChristelle und Willi
20.12.2022, 15:10Hallo Herr Özdemir, bitte handeln Sie zu Wohle der Tiere. Versteuerung mit 19% MwSt. und Vegetarische Produkte bitte auf 7%, dass wäre doch mal der erste Schritt.
AntwortenTheo Mispelkamp
20.12.2022, 17:26Cem Ötzdemir klasse!!! Mein Mann obwohl nicht meine Partei ist.Er kann ja nicht zaubern was sehr lange Jahre die Vorgänger Parteien vermasselt haben,und von der Oposition ausgebremst wird.Nun zum Wald wieder die alte Regierung seit den 80 ziger Jahren weiß die Politik wie lebenswichtig der Wald ist.Aber jetzt wo das Kind im Brunnen gefallen ist, ist Holland in NOT!!!! Das ist nicht mehr umzubiegen was mit dem Klima jetzt .u. mit den Plastik Müll in den Ozeanen passiert.Nach meiner Meinung hat es der Mensch nicht verdient auf diesen Planeten zu Leben. Was ich noch als Kind .u. Jugendlicher erlebt habe. 50-60 Jahre wen es oft geschneit hatte war der Qualm so schwarz vom heitzen, das der Schnee vor unserem Haus grau war.Alles ohne Maske und Vorschriften
AntwortenBeate Völker
20.12.2022, 20:57Mein Vertrauen in die Grünen- Politik bröselt seit Jahren weg.
AntwortenMarek
21.12.2022, 03:32Sehr gut und kurz gefasst. danke Laura. LG Marek
AntwortenMarek Drong
21.12.2022, 03:34Sehr gut zusammen gefasst. Dankeschön Laura LG Marek
AntwortenSusanne Stümer
21.12.2022, 11:26Die Landwirtschaft könnte einen entscheidenden Beitrag zu Klimaschutz und Biodiversität sowie Artenschutz leisten. Es ist sehr enttäuschend, dass die Möglichkeiten von politischer Seite so wenig unterstützt und genutzt werden. Agrarwende war ein vielversprechender Slogan! Enttäuschend ist die erreichte Realität.
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