Verbände-Appell: Nachhaltigkeit muss neue EU-Agenda prägen
Anlässlich des Gipfels zur Zukunft der EU veröffentlicht der DNR ein neues Leitbild für Europa
Seit dem Donnerschlag des Brexit-Votums der Briten am 24.06.2016 (wir berichteten) sind einige Monate vergangen, und noch immer schlingert die EU herum, ohne dass der neue Kurs erkennbar wäre.
Am 16.09.2016 treffen sich nun – mit Ausnahme der britischen Premierministerin Theresa May – die Staats- und Regierungschefs der EU zum „Future of Europe – Summit“ in Bratislava. Dort wollen sie die Debatte über die Zukunft der EU fortsetzen. Leider nicht aufgegriffen wurde bisher die Idee eines Europäischen Konvents oder einer ähnlichen Plattform, und so müssen die Vorstellungen der Unionsbürgerinnen und -bürgern außen vor bleiben. Auch ansonsten war die Debatte über die bedeutsame Richtungsentscheidung hin zu mehr oder weniger EU eher still, ob auf Berliner oder auf Brüsseler Ebene.
NGOs möchten EU-Debatte vorantreiben
Nun aber melden sich zumindest die Nichtregierungsorganisationen lautstark zu Wort. Über die verschiedenen Dachverbände aktiv und engagiert beteiligt sind auch die Natur- und Umweltschützer des NABU.
Bereits am 30.08.2016 schickten die auf EU-Ebene als
„Green 10“ organisierten Verbände, darunter BirdLife Europe, das Europäische Umweltbüro EEB sowie das Brüsseler Greenpeace- und WWF-Büro einen offenen Brief u.a. an den Präsidenten der EU-Kommission. Die Organisationen erinnern daran, dass die Interessen der Menschen und unseres Planeten wieder die Agenda der EU prägen müssen. Hierfür können die UN-Nachhaltigkeitsziele eine schon bestehende Richtschnur bilden. Zusätzlich wird in dem Brief auf die Kernprobleme des Biodiversitätsschwundes und die damit zusammenhängende Landwirtschaftspolitik verwiesen und mutiges Handeln gegen den Klimawandel eingefordert. Die CETA-Verhandlungen werden als Negativbeispiel für intransparentes EU-Handeln gegen den Bürgerwillen angeprangert.
In Ergänzung dieses offenen Briefes lancierten 177 europäische und mitgliedstaatliche Organisationen am 12.09.2016 ein gemeinsames Statement. Dieses fordert ebenfalls, ein neues Europa für die Bürgerinnen und Bürger und den Planeten sowie einen ausgewogenen Wohlstand zu schaffen. Auch hier gehört der NABU zu den Organisationen, welche die Erklärungen gezeichnet haben. Zu den prominenten Unterstützern gehört außerdem der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors, der in seiner Amtszeit die Europäische Integration vorantrieb.
DNR-Leitbild für ein nachhaltiges Europa
Mit seiner – auch an Bundeskanzlerin Angela Merkel verschickten – Erklärung vom 15.09.2016 wendet sich der DNR im Vorfeld des Gipfels in Bratislava nun an einen der derzeit einflussreichsten Mitgliedstaaten der EU.
Der DNR kritisiert, dass die derzeitige Agenda der meisten Regierungschefs und der EU weder zukunftsfähig sind noch dass sich damit den Bürgerinnen und Bürgern ein Mehrwert der EU vermitteln lässt. Schließlich zielen sie alleine auf Wirtschaftswachstum und Deregulierung ab. Der Verband fordert daher, die Bürgerinnen und Bürger wieder in den Mittelpunkt der Politik zu stellen. Dafür müssen Demokratiedefizite beseitigt, echte Transparenz von Entscheidungsfindungen geschaffen und auch der Gesetzesvollzug ernst genommen werden. Nur so lässt sich der Unzufriedenheit der Bevölkerung sowie Europaskeptizismus Einhalt gebieten. Dies gilt vor allem auch für den von den EU-Bürgerinnen und Bürgern geschätzten, bisher aber vernachlässigten Bereich der Umweltpolitik.
Jetzt ist der Moment, den Kurs zu korrigieren
Der Titel des Gipfels der Europäischen Staats- und Regierungschefs ist dieses mal leider nicht bloß eine leere Phrase. Tatsächlich könnte es um die Zukunft der EU gehen, mit weitreichenderen Konsequenzen. Dabei ist die EU der einzig verfügbare Rahmen, dem zugetraut werden kann, Herausforderungen wie Flüchtlings- oder Klimakrise und auch den Biodiversitätsverlust für seine halbe Milliarde Bürger anzugehen. Auch wenn die Antworten, welche die EU auf diese Herausforderungen bisher bietet, oft nicht so ambitioniert sind, wie wir uns das wünschten: es ist nicht vorstellbar, dass einzelne und zerstrittene Nationalstaaten effektivere Lösungsansätze für diese Probleme liefern könnten. Daher dürfen die Staats- und Regierungschefs nicht der Versuchung unterliegen, die Schwäche der EU für ihre Partikularinteressen auszunutzen. Eine noch schwächere Union, die sich noch weniger um Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung kümmert, führt zu noch mehr Vertrauensverlust und endet im individuellen nationalstaatlichen Kollaps. Eindrücklich stellt dies Ariel Brunner vom NABU-Dachverband BirdLife Europe in seinem Appell vom 08.09.2016 fest.
Die Idee Europas wieder aufleben lassen
Hoffen wir also, dass die vielen guten Ideen und Forderungen erhört werden. Eine Anpassung der „Juncker-Agenda“, institutionelle Änderungen hin zu mehr Nachhaltigkeit, wie sie jüngst auch der ehemalige Direktor der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission Karl Falkenberg vorschlug, und das Angehen einzelner „Hotspots“ wie eben die Europäische Landwirtschaftspolitik wären erste konkrete Schritte.
Ich bin mir sicher, diese würden helfen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die EU und die europäische Idee insgesamt zu stärken.
Raphael Weyland
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