Naturschutz Beiträge

Neue Wildnis – Warum wir das Wilde brauchen

Das Erleben verwildernder Natur spielt in Nationalparks und anderen Wildnisgebieten eine große Rolle. Da Natur- und Wildnisbildung zu ihren originären Aufgaben gehören, haben Großschutzgebiete mehr und mehr Erlebnis- und Bildungsangebote entwickelt. Sie reagieren damit auch auf eine wachsende gesellschaftliche Sehnsucht nach dem Wilden. Aktuelle Bevölkerungsumfragen des Bundesamtes für Naturschutz zum Naturbewusstsein zeigen, dass das Interesse an Wildnis in den letzten Jahren stark angestiegen ist: Mittlerweile finden drei Viertel aller befragten Bürger Natur umso besser, je wilder sie ist. Fast achtzig Prozent möchten mehr Wildnis in Wäldern und meinen, dass abgestorbene Bäume und Totholz in den Wald gehören. Wildnisgebiete werden zudem als unverplante Freiräume in einer zunehmend technisierten Welt wertgeschätzt. Knapp acht von zehn Befragten sind dementsprechend der Auffassung, dass Wildnisgebiete auch für den Menschen zugänglich sein sollten.

Brüchige Wildnismythen

Wenn uns Wildnis in den Sinn kommt, träumen wir meist von großen, grandiosen, ursprünglichen und unberührten Naturlandschaften in den unendlichen Weiten Amerikas, wo wilde Natur nach dem Motto „Natur sein lassen“ noch weitgehend „unverfälscht“ erlebt werden kann. Auch die US-amerikanischen Naturphilosophen, die sich als erstes für den Schutz wilder Naturlandschaften einsetzten, verbanden mit der Wildnis menschenleere, seit Urzeiten ungenutzte Landschaften. Der Wildnispionier John Muir betrachte sie gar als „Gottes Tempel in der Natur“. Solche primären Wildnisse sind auch heute oft noch die großen Vorbilder der europäischen Wildnisdebatte. Sie entfalten ein vielschichtiges Psychotop Wildnis, das unsere Vorstellungen von wilden Landschaften umfassend prägt und unser Naturschutzhandeln grundlegend leitet. Die klassischen Wildniskriterien „Naturnähe“ und „Unversehrtheit“ spielen hierbei mental eine große Rolle.

Mit den immer stärkeren Eingriffen des Menschen in die Ökosysteme der Welt, die im Laufe der Industrialisierung und Globalisierung nicht mehr nur lokal oder regional das Gesicht der Erde modifizierten, wurde das klassische Wildnisverständnis immer brüchiger. Im Zeitalter des Anthropozäns ist die Erde nun so stark vom Menschen verändert, dass es keinen Sinn mehr macht, Wildnis mit Begriffen wie „unverfälscht“, „unberührt“ oder „ursprünglich“ zu konnotieren. Ob Klimaerhitzung, Schadstoff- und Nährstoffeinträge, Bioptopvernichtung oder Artenmigration: Die Auswirkungen menschlichen Handels sind global, überall verbreitet und weitgehend irreversibel geworden.

Wildheit versus Naturnähe

Hilflose Versuche in amerikanischen Nationalparks, die Ursprünglichkeit durch Kalkung versauerter Flüsse, Löschen brennender Wälder und Eliminierung invasive Arten zu erhalten, führten zu einer Debatte über das althergebrachte Wildniskonzept. Es zeigte sich, dass die beiden früher konvergierenden Zielperspektiven „wildness“ (Wildheit) und „naturalness“ (Naturnähe) aus dem Gleichtakt geraten sind und zunehmend zum Dilemma werden: Wenn man historische Naturlandschaften erhalten möchte, muss man intensiv gestaltend in die Natur eingreifen. Setzt man hingegen auf Verwilderung, lässt sich nicht mehr vorhersagen, in welche Richtung sich die Natur verändert. Eine solche „berührte“ Wildnis ist immer das Ergebnis natürlicher Prozesse vor dem Hintergrund des nicht revidierbaren globalen Einflusses menschlichen Handelns. Es wäre dann töricht, im Rahmen von Wildnis z.B. „Urwälder“ wieder entstehen lassen zu wollen. Die Natur der Wildnis im Anthropozän ist zukunftsoffen und nicht determinierbar.

 

Modernes Wildniskonzept

Da das alte Wildnisverständnis nicht mehr tragfähig ist, wurde vom Bundesamt für Naturschutz eine Neubestimmung vorgenommen, die eine Wildnis als ausreichend großes, unzerschnittene, nutzungsfreies Gebiet definiert, das dazu dient, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu gewährleisten. Nun stehen nicht mehr „Unversehrtheit“ und „Naturnähe“ im Mittelpunkt, sondern der Prozess der Verwilderung selbst. Wildnis kann deshalb auch in ehemals genutzten Landschaften wie Forstplantagen, aufgegebenen Tagebauen, Militärarealen oder Industriebrachen entstehen. Handlungsleitend ist allein die Maxime „Natur Natur sein lassen“. Damit kann Wildnis auch wertvolle Hinweise für einen zukunftsfähigen Umgang mit unserer Mitwelt geben: Als Referenzfläche zeigt sie, wie Natur auf die neuen Lebensbedingungen im Anthropozän von selbst reagiert. Deshalb ist es ein großer Fehler, wenn in neuen Wildnisgebieten z.B. „nicht heimische“ tote Fichtenbestände abgeräumt werden, um einem vermeintlich „natürlichen Wald“ Platz zu machen. Sterbende Monokulturen sind Hotspots der Verwilderung, hier wachsen die ersten nicht gepflanzten Zukunftsbäume.

Bildungspotenziale des Wilden

Mit ihrer Fokussierung auf das Wilde bergen moderne Wildnisse ein großes Bildungspotenzial. Das hat schon der amerikanische Naturphilosoph David Henry Thoreau im 19. Jahrhundert erkannt, als er schrieb, dass die Welt ohne das Wilde der Natur nicht auskommt: „In wildness is the preservation of the world”. Die Ökosystemforschung hat seine Erkenntnis mittlerweile vielfach empirisch untermauert und mit dem Konzept der planetaren Leitplanken von Johan Rockström und Pavan Sukhdev in konkrete Handlungsmaximen umgesetzt. Nun wird immer deutlicher, dass Gesellschaft und Ökonomie nur auf dem Fundament einer intakten Biosphäre gedeihen können. Von den 17 globalen Zielen der UN für eine nachhaltige Entwicklung sind die vier grünen Basisziele „Leben an Land“, „Leben unter Wasser“, „Maßnahmen zum Klimaschutz“ sowie „Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen“ deshalb von zentraler Bedeutung. Ohne ihre Erfüllung können die anderen 13 Ziele nicht erreicht werden. So zeigt sich, dass das Wilde der Natur letztlich alles andere trägt. Dem Erhalt der biologischen Vielfalt kommt deshalb eine wichtige Rolle bei der Sicherung unserer Lebensgrundlagen zu.

Aufgabe der Wildnisbildung

Für Bildungsaktivitäten in Nationalparks und anderen Wildnisgebieten erwächst aus den Erkenntnissen von Naturphilosophie und Ökosystemforschung eine große Verantwortung: Da sich die Natur hier frei entwickeln darf, zeigt sich das Wilde der Natur in besonderem Ausmaß. Wenn die Schutzgebiete im Sinne von „Natur Natur sein lassen“ gemanagt werden, lässt sich in ihnen der Kontrast zwischen wilden Naturkräften und zivilisatorischem Alltag am intensivsten erleben. Die Wildnisbildung bietet hierfür das passenden pädagogische Werkzeug, indem sie sich mit dem Schlüsselthema des Wilden befasst, originäre Naturerfahrung anhand konkreter Phänomene ermöglicht und dabei die Nachhaltigkeits-Perspektive des Mensch-Natur-Verhältnis fokussiert. Aufgabe der Wildnisbildung ist es demnach, anhand des originären Erlebens konkreter Phänomene verwildernder Natur zur Reflexion des Verhältnisses von Mensch und Natur anzuregen. Hierbei kann ihr eine Didaktik des Einfachen behilflich sein, die versucht, im Rahmen des Minimal Impact mit möglichst wenig Hilfsmitteln auszukommen und die Natur selbst „sprechen“ zu lassen.

Da wilde Phänomene nicht nur in großen Schutzgebieten, sondern auch in kleineren Verwilderungsräumen erfahrbar sind, lässt sich Wildnisbildung nicht nur in Nationalparks durchführen, sondern überall da, wo die Natur wieder verwildert. Je nach Größe und Verwilderungszustand weist jedes Gebiet verschiedene Erlebnis- und Bildungsqualitäten auf. Am eindrucksvollsten ist hierbei sicherlich – wie vom Wildnisexperten Gerhard Trommer mehrfach beschrieben – das einfache Unterwegssein in einer großräumigen Wildnis mit der Erfahrung der „Solitude“, der Natureinsamkeit unter dem Sternenhimmel.

Zum Weiterlesen

Berthold Langenhorst (2021): Wildnisbildung im Anthropozän – Verantwortung für das Wilde, In: Lindau, A.-K.; Mohs, F.; Reinboth, A.; Lindner, M. (Hrsg.): Wilde Nachbarschaft. Wildnisbildung im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (S. 93-116). München: oekom-Verlag, Link: Fachbeitrag zum Herunterladen

Ein neuer Montag im November

Montag, 22.11.2021, Jungendburg Hessenstein. Eine Gruppe BFDler*innen  steht im Burghof, es ist kalt. Die Stimmung ist recht durchmischt, Von nervös über neugierig bis gelassen ist alles dabei. Mit ein paar Kennenlern-Spielen wird die Stimmung gelockert.

Es werden Fragebögen ausgeteilt, mit der Aufgabe eine Partner*in zu interviewen, um Sie/ihn dann im Gemeinschaftsraum der Burg der Gemeinschaft vorzustellen. Das Spiel Funktioniert. Die Stimmung wird freudiger, vor allem gesprächiger.

Weiter geht es mit dem setzen grundsätzlicher Regeln, klären letzter Fragen und schlussendlich einer Vorstellung des Tagesplans, welcher sicherlich genügend Freizeit vorsieht.

Nach einem Abendessen beginnt das Abendprogramm. Es gibt eine Quizshow, die am Ende auch skeptische Geister begeistert. Mit kreativen Namen wie Team „Sarah allein im Heidelberger Zoo“ , „Das FaulTeam“ oder dem besonders kreativen Team „BFD“ ging es um Natur, Tiere und weiteres.

Lieber schlau als Blau

Liebes Tagebuch…

Nach einem gehaltvollen Frühstück und müde ein Lunchpacket zusammenstellen, ging es mit dem Reisebus in den Wildtierpark. Dort trafen wir Isa, die uns durch den Park führte und uns über Wölfe informierte. Zwischen Zähneklappern und unruhigen Blättergeraschel konnten wir unser Wissen über Wölfe deutlich erweitern. Neben den Wölfen gab es auch noch Ziegen, Rotwild, Wildschweine und noch einige andere einheimische Wildtiere zu entdecken. Wildschweine gab es sogar in verschiedenen Formen. Von kleinen dünnen, bis zu großen dicken und andersherum war alles vertreten. Das Highlight war es, die sowohl majestätischen, als auch flauschigen Wölfe bei der Fütterung zu erleben.

Kleine Wildschweinferkels

Mufflons

Reh streicheln

Es gab Wölfe zu sehen

Nachdem alle endgültig durchgefroren waren, ging es endlich wieder zurück auf die kuschelig warme Burg, wo wir anschließend noch einen Film über die Jagd gesehen haben. Die Leute, die zu erschöpft von der Tour durch den Tierpark waren und auf den Stühlen einschliefen, wurden durch einen lauten Knall aus dem Film geweckt. Danach war jeder wieder aufmerksam und hell wach. Zumindest für die nächsten 10 Minuten.

Der Film sorgte sogar noch beim darauffolgendem Abendessen für Diskussionen, aber wir waren uns alle einig, dass der Film nicht wirklich zur Meinungsfindung beigetragen hat.

Zitat des Abends beim Abendessen: „Das Vegetarische schmeckt besser, das schmeckt weniger nach Arsch.“

Gestärkt ging es weiter zu einer Runde Capture the Flag, welches komplett im Chaos versank, bis wir es endgültig nach draußen verlegten. Hierbei war Lena kein gutes Vorbild, da sie diejenige war, die am meisten Geschummelt hat. Bevor es jedoch losging, musste die tückische Tyrannei der Textilien durch die tapfere Hannah beendet werden, sodass dessen Überreste uns als Kopfschmuck dienen konnten. Nach einer epischen Schlacht, gewann das glorreiche Team Rot.

Schlaffer Montag

Das zweite Seminar stand in den Startlöchern und man traf sich teilweise schon in der Bahn Aufgrund von Verspätungen, Ausfällen oder anderen Umständen. Am Bahnhof in Viermünden traf man auch neue Gesichter und es wurden blitzschnell die Namen ausgetauscht. Nach dem schon bekannten Weg zur Ortsmitte, wurde der Marsch zum Bus Richtung Burg Hessenstein angetreten. Der Bus kam überraschenderweise pünktlich an der richtigen Haltestelle und die 5minütige Fahrt begann. Alles erschien reibungslos von der Stange zu gehen, jedoch am Fuße des Berges angekommen, traf es uns wie ein Rechen in der Wiese und Lena stand nicht mit dem Bus parat. Der Schock stand uns allen förmlich ins Gesicht geschrieben und wie paralysiert starrten wir uns gegenseitig an. Durch ein rasches Telefonat wurde uns rasant bewusst, dass sich niemand bei Lena gemeldet hat, um Bescheid zu geben, dass sie mit der Bahn anreisten. Plötzlich tauchte ein Gefährt auf, worin man zweifellos Paul erkennen konnte. Die Fenster wurden binnen eines Wimpernschlages heruntergekurbelt und er sah in bedrückte Gesichter. „Soll ich jemanden mitnehmen?“ doch alle BFDler blieben schweigsam. Der Stolz überwog allerdings bei allen und keiner stieg ein. Also wurde der Aufstieg mit Gepäck angetreten. Oben angekommen war deutlich zu erkennen, wie eine riesen Last von den Schultern der BFDler viel. Nun befanden wir uns wieder in der bekannten Burg Hessenstein und wir trafen uns im Rittersaal. Es wurde uns direkt preisgegeben, dass wir die Burg für uns alleine hätten.

Die Zimmer wurden im wahrsten Sinne des Wortes bezogen danach fanden sich alle im Rittersaal ein. Man freute sich über das lang ersehnte Widersehen, dennoch war vielen die Müdigkeit unverkennbar ins Gesicht geschrieben. Es begann das erste Kennenlernspiel, wo man durchaus noch neue Information über alle anwesenden erfuhr. Zwischendurch wurde noch ein weiteres Spiel angekündigt, welches sich über mehrere Tage ziehen sollte. Das „Mörderspiel“ bestand darin ein zufällig gezogenes Ziel durch die Übergabe eines Gegenstandes kaltblütig und gewissenlos zu „ermorden“.  Im weiteren Verlauf des Tages kam es in Kleingruppen zu hitzigen Diskussionen über unser Thema „Praktischer Natur- und Tierschutz“.

Worldcafe als Einstieg ins Thema

Dies zog sich allerdings, wie ein alter Kaugummi und die Müdigkeit und das Verlangen nach schlaf holte die meisten bereits vor dem ersehnten Abendessen ein.

Nach der dringend nötigen Stärkung fanden sich alle im Düsterwald ein. Spannende Partien „Werwolf“ wurden gespielt oder es erhitzte sich die Gemüter bei „UNO“ oder „Halli-Galli“. Wir haben den Abend dann noch entspannt ausklingen lassen, um gestärkt in den ersten richtigen Tag zu starten.

Unsere Sendermilane haben wieder den Vogelsberg erreicht

Erfreuliches ist zu berichten: Unsere Sendermilane Isolde, Noah und Max haben wieder den Vogelsberg erreicht und konnten in den letzten Tagen bei Paarungsflügen und Horstbauaktivitäten beobachtet werden.

Max erreichte den Vogelsberg bereits am 28.02. und besetzte wie 2017 und 2018 jenes Brutrevier bei Stockhausen im östlichen Vogelsberg, in dem er nun im mindestens dritten Jahr in Folge zur Brut schreiten wird. Nachdem aus dem Brutjahr 2017 ein flügger Jungvogel aus der Brut hervorging, brüteten Max und seine Partnerin im letzten Jahr erfolglos. Für den 1.200 Kilometer langen Heimzug von Salamanca bis in den Vogelsberg brauchte er 12 Tage.

Noah wiederum hat am 04.03. den Vogelsberg erreicht und für den 1.800 Kilometer langen Heimzug aus der Extremadura ganze 12 Tage benötigt. Er hat sich abermals für sein traditionelles Brutrevier bei Bobenhausen II in der Nähe von Ulrichstein entschieden – jetzt bereits im mindestens vierten Jahr in Folge (2016, 2017, 2018, 2019). In den letzten Jahren brüteten Noah und seine Partnerin jeweils erfolgreich. Es scheint sich dieses Jahr abzuzeichnen, dass es zu einem Horstwechsel kommt.

Isoldes Sender fiel ja bereits 2018 mehrfach aus (wir berichteten), so dass wir zuletzt wieder einmal nicht genau wussten, wo sich der Vogel aufhält. Noch ehe der Sender sich wieder bei uns meldete und den aktuellen Aufenthaltsort verriet, konnte ein besenderter Vogel bei Salz im südlichen Vogelsberg beobachtet werden. Isolde scheint wieder auf ihrem traditionellen Horst Platz zu nehmen, auf dem sie 2016, 2017 und 2018 erfolgreich brütete. Der Vogel ist wohlauf, ganz im Gegensatz zum Sender, der seine „besten Zeiten“ ganz offensichtlich hinter sich hat und sich nur noch unregelmäßig meldet.

Unser Projekt „On tour mit Milan“ hinsichtlich der Untersuchung des Zug- und Überwinterungsverhaltens besenderter Vogelsberger Rotmilane endet in den kommenden Tagen, so dass wir uns zeitnah an die Auswertungen der Ergebnisse aus den letzten drei Winterhalbjahren machen werden. Viele spannende Erkenntnisse sind dabei zusammengekommen. Darüber werden wir in den kommenden Tagen nochmals berichten, zumal mehrere Publikationen geplant sind.

 

Heimzug der besenderten Vogelsberger Rotmilane im Februar und März 2019