Übers Ziel hinaus geschossen?

Turteltaube Hope, die am vierten Mai auf der maltesischen Insel Comino besendert worden war, hatte sich vom sechsten bis zum 31. Mai im Süden Siziliens aufgehalten. Wir waren daher davon ausgegangen, dass ihr Flug von Malta nach Sizilien schon die letzte Etappe ihres Frühjahrszugs darstellte und sie auf der Insel zur Brut schreiten würde. So hatte ich hier an früherer Stelle geschrieben, dass Hope Sizilianerin sei.

Der Flug von Hope übers Mittelmeer von Sizilien zurück nach Nordafrika am ersten Juni.

Nun sieht es allerdings sehr danach aus, als hätte ich mich darin geirrt, denn in der Nacht auf den ersten Juni war Hope – für mich völlig unerwartet – über das Mittelmeer nach Süden zurück nach Nordafrika geflogen. Seither hält sie sich etwa 50 km westlich der libyschen Hauptstadt Tripolis in Agrarland mit Feldern und Olivenhainen auf.

Versuchen wir Hopes Zugbewegungen zu verstehen. Sicherlich kann ausgeschlossen werden, dass sie nach nur knapp einem Monat auf Sizilien Anfang Juni schon wieder ihre Rückreise ins Winterquartier angetreten hat. Viel wahrscheinlicher ist es, dass unsere Kollegen auf Malta mit Hope einen Vogel der nordafrikanischen Population und damit der dort beheimateten Turteltauben-Unterart arenicola mit einem Sender versehen haben.

Comino, 4. Mai 2020

Turteltaubenweibchen Hope nach ihrer Besenderung auf Comino. Der kurze Flügel und die eher fahle Oberseite deuten darauf hin, dass sie der nordafrikanischen Unterart arenicola angehören könnte; Foto: Nicholas Galea, BirdLife Malta.

Dafür spricht, dass sie eine für diese Sub-Species typische, recht geringe Flügellänge, sowie eine eher blass sandfarbene statt fuchsrote Mantelfärbung aufwies. All dies würde bedeuten, dass Hope auf ihrem Frühjahrszug nach Überquerung der Sahara nach Norden über ihr Brutgebiet in Nordafrika, dem eigentlichen Ziel ihrer Reise, hinausgeschossen war und so übers Mittelmeer mit Zwischenstop in Malta bis nach Sizilien geflogen war.

Dieses als „Overshooting“ bezeichnete Phänomen ist in Kreisen von Ornithologen und Vogelbeobachtern durchaus bekannt und bringt zum Beispiel immer wieder im Frühjahr einige eigentlich in Südeuropa beheimatete Arten bis nach Deutschland. Dabei scheinen sowohl Wetterbedingungen wie etwa Rückenwindverhältnisse eine Rolle zu spielen zu können, als auch der genetisch programmierte Zugtrieb.

Im übrigen war bereits Turteltaube Nicola, die wir 2016 im Frühjahr auf Malta als ersten Vogel im Projekt besendert hatten, ein Jahr später auf dem Frühjahrszug 2017 ähnlich über ihr Brutgebiet in Apulien hinausgeschossen. So war sie Anfang Mai bis nach Norditalien in die Nähe von Bologna geflogen. Nicola war allerdings schon nach etwa fünf Tagen wieder umgekehrt und zügig an ihren Brutplatz vom Vorjahr zurückgekommen.

Sicherlich wüssten wir nur zu gerne, was Hope dazu veranlasst hatte bis nach Sizilien zu fliegen. Auch die Fragen wie und wann sie sozusagen ihren Irrtum bemerkte und sich dazu entschloss wieder umzukehren würden wir natürlich gerne beantworten können. In jedem Fall zeigt sich, wie uns die Besenderung der Zugvögel helfen kann, immer weitere Aspekte ihrer interessanten Bewegungen auf individueller Ebene aufzudecken und zunehmend besser zu verstehen. Wir hoffen nun, dass Hope im Norden Libyens einen Partner findet und erfolgreich zur Brut schreitet, und wir gehen davon aus, dass sie dort den Rest der Brutzeit verbringen wird – aber können wir uns damit wirklich so sicher sein?

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Ben Metzger

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